Berlin. Grimmige Türsteher, lässige DJs, feierwütiges Publikum: Die Berliner Partyszene prägt die Stadt. Etwa 40 Prozent der Touristen kommen vor allem wegen des Nachtlebens. Das sind fast fünf Millionen Menschen jährlich. Aber was machen die Menschen, die nachts als DJs in den unzähligen Clubs auflegen, eigentlich bei Sonnenlicht? Oliver Koletzki, einer der bekanntesten DJs Deutschlands, führt tagsüber sein Label „Stil vor Talent“. Einige Tage vor dem Klassentreffen der Berliner DJs – „Die 100 schönsten DJs der Stadt“ –, das Koletzki mitorganisiert, treffen wir ihn in seinem Büro an der Kreuzberger Glogauer Straße zum Gespräch. Man fragt sich, was die blühende Partyszene den Berlinern eigentlich bringt – außer Ruhestörungen und lärmende Partytouristen. Eine Bestandsaufnahme.
Berliner Morgenpost: Herr Koletzki, was ist wichtiger für Berlin – ein neuer Google Campus oder das Berghain?
Oliver Koletzki: Für Berlin – für den Ruf der Stadt – ist das Berghain wichtiger.
Das meinen Sie ernst?
Ja, das mag ein Unternehmer aus Los Angeles anders sehen als ein DJ und Label-Besitzer wie ich. Aber die Millionen Touristen, die jedes Jahr nach Berlin kommen, die kommen ja hierher wegen des Berghains, des Nachtlebens – nicht irgendwie wegen Google.
Sie selbst kommen gerade aus den USA zurück, haben in New York und San Francisco aufgelegt. Wie ist da der Ruf von Berlin?
Die schauen auf zu uns. Wir haben eine Vorbildfunktion. Die finden cool, wie tolerant und offen Berlin ist. Und natürlich, dass es hier keine wirklichen Ladenschlusszeiten gibt. Du kannst hier das ganze Wochenende durchfeiern. Berlin ist heute die Welthauptstadt der elektronischen Musik.
Elektronische Musik ist also ein Standortfaktor für Berlin?
Na klar, für die DJs und auch für die Stadt. Ich bin DJ aus Berlin, das ist eine Marke – genau wie „Made in Germany“. Berlin steht für qualitativ hochwertige Musik, die am Puls der Zeit ist. Du bist gern gesehen auf der ganzen Welt. Berlin, das ist für viele der heiße Scheiß.
Mit Ihrem Label „Stil vor Talent“ haben Sie sicherlich dazu beigetragen. Seit über zehn Jahren veranstalten Sie jedes Jahr Dutzende Partys, schicken Berliner DJs in die ganze Welt. Ihre „Stil vor Talent“-T-Shirts und -Beutel tragen Menschen von Flensburg bis Konstanz. Sehen Sie sich eigentlich als Unternehmer?
Ja, nee, weiß ich nicht. Ich finde das komisch. Ich bin ja Musiker und DJ. Unternehmer, das klingt so businessmäßig. Ich bin ja eigentlich ein Hippie. Aber klar, am Ende bin ich wohl Unternehmer – wir sind ja sogar ein Ausbildungsbetrieb.
Das klingt eher nach Exceltabellen als exzessiven Partys.
Na ja, ich habe 2005 mit meinen Kifferfreunden angefangen und dachte nie, dass das Label länger als ein Jahr überleben wird. Ich hatte nicht mal die Idee einer Firma, das war eher ein Spaßprojekt. Dann hat sich unsere Musik aber gut verkauft, „Stil vor Talent“ wurde schnell eine Marke. Mir hat das immer Spaß gemacht. Heute haben wir vier Standbeine: Wir verkaufen Musik, sind eine Booking-Agentur, verkaufen Merchandise und veranstalten Partys. So wurde aus dem Spaßprojekt eine richtige Firma mit festangestellten Mitarbeitern, Auszubildenden und Praktikanten.
Alles hat sich professionalisiert.
Ja, klar. Auch die Berliner Clubs, mit denen ich zusammenarbeite – wie das Watergate, das Sisyphos oder das Kater Blau –, die werden alle sehr professionell geführt. Das sind kleine Unternehmen, wo es um eine Menge Geld und Mitarbeiter geht.
Klaus Wowereit hat 2003 gesagt, Berlin sei „arm, aber sexy“. Der Satz ist legendär. Macht das Berliner Nachtleben die Stadt bald „reich und sexy“?
Na ja, wenn’s ums Geld geht, ist Berlin ja noch immer nicht reich. Aber reich an anderen Sachen, das schon. Nichts anderes hat Berlin so sehr nach vorn gebracht wie die elektronische Musik. Allein durch den Tourismus – wie viel Geld der nach Berlin bringt. Die ganzen Leute, die hier übers Wochenende herkommen, die ganze Gastronomie, die Hotels, die entstehen, das stärkt die Berliner Wirtschaft. Da frage ich mich schon, warum die Politiker das nicht sehen.
Sie wünschen sich mehr Unterstützung?
Ja, die steigenden Mietpreise sind auch für das Nachtleben ein riesiges Problem. In diesem Jahr haben reihenweise Clubs geschlossen oder angekündigt, dichtzumachen: das Rosi’s, der Privatclub, das Jonny Knüppel, der Bassy Cowboy Club. Auch das Watergate, einer der bekanntesten Clubs überhaupt, hat Probleme: Da wurde die Miete kurzerhand verdoppelt. Jeder kann sich privat vorstellen, was passiert, wenn bei der eigenen Wohnung die Miete verdoppelt wird.
Kultursenator Klaus Lederer hat im Fall des Privatclubs immerhin mal einen Brief an die Eigentümer des Gebäudes geschrieben, um den Ort noch zu retten.
Ja, aber das ist viel zu wenig. Und viel zu langsam. Der Berliner Boom geht ja echt schon eine Weile, und die Politik braucht so lange, um zu verstehen, dass Clubs irgendwie wichtig sind. Die ganzen kulturellen Einrichtungen in Berlin, die werden subventioniert ohne Ende, die Oper, die Komische Oper, das Staatstheater – mit über 200 Millionen Euro im Jahr. Das finde ich auch gut. Aber warum wird da so ein Unterschied gemacht? Warum werden Clubs nicht auch unterstützt? Da wird auch Kunst aufgeführt.
Langfristig überleben anscheinend die Clubs, die unternehmerisch handeln. Überall steigen die Eintrittspreise. Das Berghain macht wohl Millionen Umsätze im Jahr. Einige in Berlin schreien deshalb schon: Kommerz. Was denkt der DJ Oliver Koletzki?
Klar, es gab früher mehr illegale Partys, weil einfach mehr Platz war in Berlin – da haben wir in leerstehenden Kaufhäusern gefeiert. Das gibt es heute weniger. Ansonsten ist das hier das Paradies. Woanders ist es viel spießiger. Allein die Auswahl, die wir hier haben: Ich kenne keine andere Stadt auf der ganzen Welt, wo es so viele Clubs gibt. Du kannst hier das ganze Wochenende durchfeiern für zehn bis 20 Euro Eintritt. Das ist einmalig. Sich da zu beschweren und mit dieser dämlichen Floskel „Früher war alles besser“ zu kommen, das regt mich auf.
Trotzdem sagen viele: Das ist nicht mehr, was es mal war, in Berlin zu feiern. Techno sei heute Mainstream.
Also das kann ich wirklich überhaupt nicht verstehen. In den 90er Jahren da war Marusha, da war Westbam in den ganz normalen Top Ten. Marusha auf Eins, Westbam auf zwei und die ganzen anderen Freaks auf drei und vier. Die haben so viele CDs verkauft, die haben Millionen verdient – das waren alles Millionäre. Und heute soll Techno kommerziell sein? So ein Unsinn.
Wenn wir uns in zehn Jahren wiedertreffen: Was muss passieren, damit Berlin immer noch von seinem Nachtleben profitiert?
Wir haben ja aktuell viele Vorzüge in Berlin. Das fängt an mit den Ladenöffnungszeiten – hier musst du nicht um fünf Uhr schließen. Die Politik ist da allgemein tolerant, da können wir schon happy sein. Ich hoffe, dass das so bleibt. Wichtig ist aber, dass Orte für Kultur frei gehalten werden. Der Spreepark sollte kein neues Disneyland werden. Da könnten doch Freiräume für Kunst geschaffen werden. Genauso der Flughafen Tegel: Da wird richtigerweise darüber gesprochen, ob sich da Clubs ansiedeln können. Dafür muss man kämpfen.
Zum Schluss: Heute Abend legen Sie selbst wieder in Berlin auf. Sie veranstalten zusammen mit dem Stadtmagazin „Mit Vergnügen“ die Party „Die 100 schönsten DJs der Stadt“ – ein Klassentreffen der Berliner Szene?
Ja, es ist verrückt, dass da so viele Künstler kommen. Ich freue mich, dass DJs wie Pan-Pot, Yetti Meissner oder der Sänger Romano spielen. Jeder legt nur einen Song auf, alle sind deshalb megaaufgeregt. Das ist ja auch ein großes Wiedersehen. Du hast Zeit, an der Bar mal ein Glas Wein miteinander zu trinken.
Und für den Unternehmer Oliver Koletzki ist das eine Art Branchentreffen der Berliner Musikszene?
Nee, wenn ich an der Bar stehe, dann geht’s um Spaß – ich beschäftige mich unter der Woche genug mit dem Geschäft.
„Die 100 schönsten DJs der Stadt“, Festsaal Kreuzberg, 22. November, ab 22 Uhr, Eintritt: ab 17 Euro
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