Punk-Ikone Nina Hagen singt in der Apostel-Paulus-Kirche in Schöneberg den Gospel.

Vielleicht braucht es in dieser oftmals im negativen Sinne verrückten Zeit mehr von den guten Verrückten wie Nina Hagen. Die 63-Jährige hat, nach Jahrzehnten der Suche in allerlei (oftmals abstruse) Richtungen, Gott gefunden. Im Jahr 2009 ließ sie sich evangelisch taufen. Doch keine Sorge: Schrill ist Hagen, die in der Vergangenheit unter anderem an Ufos und Buddha glaubte, immer noch.

Am Sonnabend sang sie in der ausverkauften Apostel-Paulus-Kirche in Schöneberg jede Menge Liedgut, in dem der Glaube eine zentrale Rolle spielt – Songs von ihrem Album „Personal Jesus” das im Jahr 2010 erschien, ein Querschnitt aus den Genres Gospel, Blues und Country.

Nur klingt der Gospel bei der„Godmother of Punk” Nina Hagen nicht wirklich nach Kirche, sondern nach Kaschemme – im besten Sinne des Wortes. Ihre Version des frühen Gospel-Klassikers von Sister Rosetta Tharpe, „This train is bound for glory”, hat etwas von Tom Waits, von whiskeygeschwängerten Gesängen in verrauchten Bars nachts um halb drei. Hagen dichtet den Text auf Deutsch um, singt „Dieser Zug fährt Richung Freiheit, dieser Zug nimmt keine bösen Männer mit” – auch passend in einer Zeit, in der die bösen Männer überall zu sein scheinen. Bertolt Brechts „Hosianna Rockefeller” zählt für Hagen ebenfalls zum Gospel, Bob Dylan ist für sie ein Reformator des Genres. Dessen „You gotta serve somebody” macht sie genauso zu ihrem Lied wie die Rock’n’Roll-Nummer „Wham, bam, jam” von Janis Martin, die auch als „der weibliche Elvis” gehandelt wurde.

Hagen, das Mädchen aus Ost-Berlin, das von vergessenen Farbfilmen sang, den deutschen New Wave prägte, eine Vorreiterin der Neuen Deutsche Welle war, blickt mittlerweile auf eine Karriere von über 40 Jahren zurück – und ist, in all ihrer Schrulligkeit (an diesem Abend: schwarze Mähne, grünes Federdress in den Haaren, balkendicker Lidstrich) alterslos.

Zwischen den Songs – darunter eine Gänsehaut-Version des Country-Klassikers „Further on up the road” von Johnny Cash – sinniert Hagen durchaus unterhaltsam über Kindererziehung („Für Kinder muss man da sein, auch wenn sie wegen einer Geschlechtskrankheit auf der Notaufnahme landen”, spricht Warnungen aus („bloß keine Reserveantibiotika nehmen“) und macht Werbung für Patientenverfügungen (Hagen ist Schirmfrau der Initiative „Patverfü”). Ihrer Schrullen ist sie sich durchaus bewusst – so singt sie „Die Freiheit verrückt zu sein, die nehme ich mir” und nach diesem grandiosen Abend voller stimmgewaltiger Lieder über Gott, die auch bei Nichtgläubigen Freude statt Fremdscham auslösen, ist man froh, dass sie das seit Jahrzehnten tut.