Film

Von Perücken, Waffen und Kutschen

| Lesedauer: 5 Minuten
Gabriela Walde
Authentische Kulisse: Für seinen Film „Sonnenallee“  verwendete Leander Haußmann Kostüme und  Requisiten aus dem „Fundus Adlershof“

Authentische Kulisse: Für seinen Film „Sonnenallee“ verwendete Leander Haußmann Kostüme und Requisiten aus dem „Fundus Adlershof“

Foto: Nestor Bachmann / picture-alliance / dpa

Ist der ehemalige große Requisiten- und Kostümfundus des DDR-Fernsehens noch zu retten? Dem „Fundus Adlershof“ droht das Aus.

Regisseur Leander Haußmann weiß genau, wo er Kostüme und Requisiten für Filme wie „NVA“ oder „Sonnenallee“ bekommt, um möglich authentisch zu drehen: aus dem „Adlershofer Fundus“. Nicht irgendein Verleih, sondern hervorgegangen aus der großen Requisiten- und Kostümsammlungen des Deutschen Fernsehfunks der DDR in Adlershof. Auf dem Gelände an der Rudower Chaussee entstand damals die Ausstattungen für die zwei staatlichen Vollprogramme. Produziert wurden rund 120 Spielfilme im Jahr, Unterhaltung, Dokumentationen, Nachrichten, für Erwachsene und Kinder. Entsprechend groß und gut aufgestellt war der Ausstattungsbereich. Haußmann kannte die Möglichkeiten des Fundus über seine Mutter Doris, die zu den bekannten Kostümdesignerinnen des DDR-Films zählte. Nach der Wende arbeitete sie noch häufig als Kostümbildnerin für seine Produktionen.

Ein Verlust für die einstige Ausstattungsbranche

Heute würde Haußmann nicht mehr fündig in Adlershof. Der Fundusverleih ist verschlossen, obgleich noch ein blaues Schild auf dem Weg dorthin weist. Wer an der Tür im Keller steht, sieht das gelbe Öffnungszeiten-Schild, es ist quer durchgestrichen. Darunter geklebt ein weißer Zettel mit Krakelschrift: Vorübergehend geschlossen. Im Sommer stand der Gerichtsvollzieher vor der Tür. Die Türen sind zu, doch Kostüme und Requisiten befinden sich noch immer in den Räumlichkeiten. Irgendwo in einem der grauen Gänge im Keller steht eine Litfaßsäule mit Filmplakaten von „NVA“, „Weissensee“ und „Sonnenallee“. Noch ist ein schwebendes Verfahren anhängig, keiner weiß, wie es weitergeht mit der Sammlung. Im August wurde eine Zwangsversteigerung inseriert. Sie wurde abgesagt.

„Was hier in Gefahr ist, ist nationales Kulturgut“, meint Anne Becker. Sie kennt den Fundus ziemlich genau, sie arbeitete als eine der letzten bis Ende 1991 in der Abteilung Kostümbild des Fernsehfunks der DDR. In der Sammlung ist ein Stück ihrer eigenen Geschichte mit eingeschrieben.

Der Fundus sei noch nicht erforscht, argumentiert sie, wenn er zerstört sei, wäre das ein Verlust für die Ausstattungsbranche, die in der DDR auf hohem Niveau arbeitete. Die gesamte Infrastruktur war den Kostüm-, Masken- und Szenenbildnern vor Ort in Adlershof gegeben, man arbeitete Hand in Hand, von Gewerk zu Gewerk, Tischlerei, Deko- und Plastewerkstatt, Putzmacher, Kostüm, Schuhmacherei und Malerei machten aus Einzelteilen das große Ganze. Es gab Möbellager, Stoff-, Knopf- und Bortensammlung. „Jede Epoche, jede gesellschaftliche Schicht bis 1991 konnte mit dem Fundus ganzheitlich abgedeckt werden“, erzählt sie.

In Frankreich gelten Kostüme der Opera National als Kulturerbe

Von der Bettwäsche über die Briefmarke bis hin zum Waffenarsenal. Zum Bestand gehörten, so auf einer Inventarliste von 1993 vermerkt, historische Schlitten genauso wie Hebammentaschen und Feldpostkarten. „Das oftmals verkannte Kostümhandwerk arbeitete mit hochwertigen Stoffen und bildete Kleidermoden historisch getreu nach“, so beschreibt Jörg-Uwe Fischer vom Deutschen Rundfunkarchiv den Wert der Kollektion, die als Gesamtheit erhalten werden sollte. Warum so eine Sammlung nicht als Kulturgut schützen, denkt Becker oft. So wie in Frankreich, dort gibt es das Nationale Zentrum für Bühnenkostüme und Szenografie (CNCS). Es beherbergt 10.000 Kostüme der drei großen Institutionen Bibliotheque Nationale, Comedie Francaise und Opera National de Paris.

Mittlerweile ist es so, dass die fragilen Materialien im Fundus Pflege brauchen, in den geschlossenen Kellerräumen sei das nicht gewährleistet. „Ein schrecklicher Verfall“, meint Becker. Auf 10.000 Quadratmetern breitete sich der Fundus zu DDR-Zeiten aus, an Kleiderstangen hingen die Kostüme, in Regalen stapelten sich dicht an dicht die Requisiten. Mittlerweile fehlt ein großer Teil. 1992 wurde er an den Baumaschinenhändler Theo Henders verkauft. Die Autosammlung gab er später weg. Auch von den NVA-Uniformen sollen heute nicht mehr viele im Bestand sein. Um die Jahrtausendwende wurde die Sammlung an den bisherigen Betreiber, die SC Standort Consult, geführt durch die Familie Schultes, veräußert.

Das Filmmuseum Potsdam hat Interesse bekundet

Anne Becker hat im gleichen Gebäude ihren ALF, kurz für: Alternativen Fundus untergebracht. Sie verleiht die vorwiegend historischen Kleider an Film- und Theaterstudenten. Vor zwei Jahren fing sie an, Teile aus dem Verleih Adlershof aufzukaufen, um zu retten, was zu retten ist. Ihr Kernbestand sind Kostüme des letzten großen Ausstattungsfilmes der DDR, das Historiendrama „Marie Grubbe“, das in Dänemark im 17. Jahrhundert spielt. Bestens besetzt mit Kurt Böwe, Friedo Solter und Inge Keller. Die schmalen Kleider, Größe 34/36, der verstorbenen Diva gibt es noch. Schwer verleihbar, zu schmal die Taille Kellers, da passt keiner rein.

Becker zeigt uns die glitzernde Krone auf dem roten Samtbett. Königsmantel, Zepter, Schwert und Reichsapfel gehören dazu. Momentan gibt es Gespräche, ob das Filmmuseum Potsdam die Reichsinsignien als Teil einer kleinen Sammlung übernimmt. Dann wäre wenigstens etwas gerettet.