Berlin. Am Anfang ist die Apokalypse: Fünf Gestalten stehen im Halbdunkel der Bühne und zitieren aus der Offenbarung des Johannes. Sie tragen russische Fellmützen und Mäntel und sprechen vom Richten und vom Rächen und vom Zorn.
Gegeben wird im Maxim Gorki Theater das Stück „Die Gerechten“ von Albert Camus. Die Apokalypse kommt darin eigentlich nicht vor, aber Regisseur Sebastian Baumgarten weiß, dass der etwas angestaubte Text von 1949 heute in ein anderes Koordinatensystem gestellt werden muss. Es geht in „Die Gerechten“ um moralische Fragen wie etwa die, ob ein Mord um einer Idee und einer besseren Gesellschaft willen zu rechtfertigen sei. Dabei bezieht sich Camus auf ein historisches Ereignis im Jahr 1905, als eine Gruppe sozialrevolutionärer Terroristen ein Bombenattentat auf den russischen Großfürsten Sergej, den Onkel des Zaren, verübte. Im Namen einer Hunger leidenden, unterdrückten Gesellschaft. Der Terrorismus unserer Zeit dagegen ist zumeist aus religiösen Überzeugungen abgeleitet, was den biblischen Einstieg in den Abend erklärt.
Eine sehr absurde Truppe
Camus’ Drama ist vor allem ein Ideen- und Denkstück, Handlung ist wenig, und die Figuren sind eher grob geschnitzte Platzhalter als echte Menschen. Sie dazu zu machen, versucht Regisseur Baumgarten dann auch gar nicht erst, sondern verschiebt alles ins Groteske. Das ist schon eine sehr absurde Truppe, die sich da in der ersten Szene zusammenfindet: Till Wonka als Hardliner Stepan, frisch aus dem Knast, auf den Boden rotzend, mit einer blutenden Wunde an der Schläfe. Er trifft im geheimen Unterschlupf der Terrorzelle auf den Kopf der Bande, Annenkow (Mazen Aljubbeh), und die ideenverliebte Bombenbastlerin Dora (Lea Draeger). Zu ihnen gesellen sich, jeder eine Handvoll Kunstschnee werfend, Woinow, der bei Jonas Dassler ein zitternder und stotternder Schisser ist, und Janek Kaljajew, der das Attentat ausführen soll. Aram Tafreshian spielt ihn als abwägenden Grübler. Er ist es dann auch, der den ersten Versuch vermasselt, weil im Wagen des Opfers auch zwei Kinder saßen. Janek kann die Bombe nicht zünden und wird dafür scharf von Stepan angegriffen.
Hätte man ihren Tod nicht in Kauf nehmen müssen, um die vielen anderen, hungernden Kinder zu retten? Und muss der Mord später mit dem Tod des Mörders gesühnt werden? In Zeiten kaltblütig und wahllos agierender Selbstmordattentäter mutet es fast rührend an, wie die sich da den Kopf zerbrechen über Schuld und Sühne im terroristischen Debattenzirkel, den Regisseur Baumgarten mangels echter Handlung zu einem flotten Gangster-Comicstrip umarrangiert. Vor gezeichneten Projektionen und zwischen gestapelten Autoreifen schickt er die Sozialrevolutionäre auf der Flucht vom Unterschlupf in die rüttelnde U-Bahn oder in ein volles Café. Die jeweilige Geräuschkulisse kommt vom Band, Zwischeneinblendungen unterstreichen das Filmische, für die Atmosphäre sorgt Daniel Regenberg, der das Ganze am Klavier mit Stummfilmbegleitungssound versieht.
Das ist ganz amüsant, so richtig ernst scheint der Regisseur seine Revoluzzer-Helden dabei allerdings nicht zu nehmen. Ernst wird es eher zwischen den Szenen. Dann treten die Akteure aus ihren Rollen heraus und zitieren Fremdtexte zum Thema. Vom Philosophen Slavoj Žižek etwa oder Sätze aus Walter Benjamins „Zur Kritik der Gewalt“. Doch es hilft nichts, der slapstickhafte Zugriff einerseits und die gedankenschweren Anreicherungen andererseits wirken in Kombination trotz des großen darstellerischen Einsatzes eher mühsam auf Jetztzeit zurechtgebogen. Vielleicht ist diesem Stück anders nicht beizukommen. Vielleicht muss man es dann aber auch nicht spielen. Zur Auseinandersetzung mit dem Terror und dem Fanatismus unserer Gegenwart hat es jedenfalls eher wenig beizutragen.
Maxim Gorki Theater, Am Festungsgraben 2, Mitte, Kartentelefon 20 221 115. Nächste Termine: 6.10. und 23.10., 19.30 Uhr.