Schlosspark-Theater

Alles andere als ein leichter Stoff: „Der Stellvertreter“

| Lesedauer: 4 Minuten
Ulrike Borowczyk
Martin Seifert als Kardinal mit Georg Preusse als Papst Pius XII. und Mario Ramos

Martin Seifert als Kardinal mit Georg Preusse als Papst Pius XII. und Mario Ramos

Foto: imago/Raimund Müller

Philip Tiedemann inszeniert das Stück von Rolf Hochhuth fesselnd bis zur letzten Minute. Georg Preuße spielt Papst Pius XII

Im August 1942 ist der Apostolische Nuntius in Berlin tatsächlich davon überzeugt, dass die Weltanschauung der Nazis kein Grund zur Sorge darstellt. Zumindest nicht für die katholische Kirche. Die Rituale hingegen, die seien massentauglich. Und könnten ein Problem werden. Sein Besucher, der junge Pater Ricardo, ist entsetzt über diese Behauptung. Plötzlich platzt Obersturmführer Kurt Gerstein unangemeldet in die Unterhaltung der beiden. Er ist Mitglied der Bekennenden Kirche, ein Widerstandskämpfer in der Uniform der SS. Er berichtet von der Verhaftung, Ermordung, Deportation und Massenvergasung von Juden. Allein 700.000 bislang in Polen. Er fordert, dass Papst Pius XII. die Weltöffentlichkeit alarmieren muss, um weitere Gräueltaten zu verhindern. Ricardo verspricht ihm, dass der Papst handeln wird. Doch dann wird er eines Besseren belehrt.

Die Frage nach der Verantwortung der katholischen Kirche im Dritten Reich ist kein leichter Stoff für ein Theater. Dennoch hat das Schlosspark Theater nun die neue Spielzeit mit der Premiere von Rolf Hochhuths „Der Stellvertreter“ in Anwesenheit des Dramatikers eröffnet. Ausgerechnet ein Haus, dem nachgesagt wird, es würde vor allem seichtes Boulevardtheater bieten.

Fesselsnde Inszenierung von Philip Tiedemann

Nun also ein tonnenschweres, wortlastiges Schauspiel. Das fesselt in der Regie von Philip Tiedemann überraschend bis zur letzten Minute. Was sicherlich auch an der neuen Spielfassung liegt. Tiedemann hat das Stück beherzt gekürzt. Das 1963 uraufgeführte Drama ist eigentlich fünf Akte und vier Stunden lang. Nun gestrafft und verdichtet auf knappe zwei Stunden mit acht Szenen. Hohe bewegliche Elemente schaffen auf der kargen Bühne immer neue Räume. Schwarz und weiß sind die vorherrschenden Farben. Zwei Seiten einer Medaille, denkt man. Doch so einfach machen es einem weder das Stück noch die Inszenierung.

Zurück in Rom, kämpft sich Pater Ricardo (Tilmar Kuhn) durch die Hierarchie des Vatikans. Unterstützung erfährt er dabei von seinem Vater, dem Grafen Fontana (Joachim Bliese). Erst zögerlich, dann sehr entschieden, fordert auch der, Widerstand zu leisten und sich auf die Seite der Juden zu stellen. Die Geistlichkeit hingegen weigert sich, verliert sich in Taktiererei. So schwärmt der Kardinal (Martin Seifert) weltfremd von der klaren Berliner Luft. Als sei die Hauptstadt von Hitler-Deutschland ein Kurort. Überall hört Ricardo das gleiche Credo: Man helfe den Juden, wo man kann, mit Geld, Pässen, Kirchenasyl und Gebeten. Erzürnt über die Rettung von Wenigen statt Millionen, erhält Ricardo schließlich eine Audienz beim Papst. Den spielt Georg Preuße hintersinnig, sardonisch gar, stets mit salbungsvollem Ton. Nichts erinnert dabei mehr an seine berühmteste Rolle, die der Mary. Obwohl der Travestie-Star seinerzeit auch Kleider trug. Genau wie Papst Pius XII. Der ist außer sich, weil Ricardo sich einen Judenstern an die Soutane heftet. Gar sein Leben als Opfer bringen möchte, um die Schuld der Kirche an den Juden zu sühnen. Als er geht, wäscht sich der Papst die Hände in Unschuld. Wie einst Pontius Pilatus nach seinem Todesurteil über Jesus Christus.

Preußes Pius ist kein Bösewicht, der sich einfach mit Hitler gemeinmacht. Obwohl er auf den Pakt mit Reichsdeutschland von 1933 pocht. Pius ist vielmehr überzeugt, richtig zu handeln. Vor allem im Sinne des Vatikans, aber auch für Europa, sogar für die Juden. Der Heilige Vater bevorzugt halt die Diplomatie statt Nächstenliebe. Die Opfer schließt er ins Geben ein. Das schadet dem vatikanischen Aktien-Portfolio wenigstens nicht.

Diese Art des Denkens kennt man sonst von neoliberalen Karrieristen. Die erheben allerdings auch keinen moralischen Anspruch wie die katholische Kirche. Wohl auch deshalb hat Rolf Hochhuth seinem Drama den ironischen Untertitel „Ein christliches Trauerspiel“ gegeben. Eine Antwort auf die Frage nach der Mitschuld des Papstes am Holocaust kann das Stück im Nachhinein natürlich nicht geben. Die eindringliche, intensive Inszenierung indes ist unbedingt sehenswert.

Schlosspark Theater, Schloßstr. 48, Steglitz, Tel. 78 95 66 71 00, 10.9., 1.–6.10. um 20 Uhr, 7.10. um 16 Uhr