Kultur

Wagner als Wagnis

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Matthias Nöther

Der Bayreuther Abend mit der Anhaltischen Philharmonie Dessau überzeugt beim Classic Open Air auf dem Gendarmenmarkt nicht immer

In der ersten Stunde von „Wagner in Licht und Feuer“ beim Classic Open Air auf dem Gendarmenmarkt sind die Voraussetzungen für Licht und Feuer noch nicht gegeben – vielmehr erstrahlt die Bühne im Glanz einer nicht mehr ganz so sengend wie am Vortag strahlenden Sonne. Auf den Fenstersimsen der Akademie der Wissenschaften, welche der Bühne des Classic Open Air gegenüberliegt, sonnen sich jene, die das Konzert vermutlich ganz gratis genießen dürfen und auch noch die Plätze mit der besten Sicht haben.

Zu Gast ist zu dieser Nacht mit Musik von Richard Wagner ist die Anhaltische Philharmonie Dessau samt Orchester, Chor und Sängerensemble unter dem Dirigenten Markus L. Frank. Natürlich gibt es die Anfangsrede des langjährigen Festivalintendanten Gerhard Kämpfe samt Seitenhieb auf die Berliner Initivative „Berlin werbefrei“, welche das Potenzial hat, dem wichtigen Classic-Open-Air-Sponsor Wall wirtschaftlich am Zeug zu flicken. Doch ansonsten geht es angenehm unkommerziell zu, auch dank der kurzen, intelligenten und doch publikumswirksamen Moderationen des Dessauer Theaterintendanten Johannes Weigand.

Er fragt erstmal ins Publikum, wer denn schon mal bei den Bayreuther Festspielen war – und danach, wer einen Klingelton mit Wagner-Musik auf seinem Handy hat. Dass bei ersterer Frage entgegen Weigands Erwartung die Handzeichen auf dem Platz überwiegen – aus dieser Beobachtung könnte man eine Studie über das moderne Kulturpublikum machen und darüber, dass die Bayreuther Festspiele einiges von ihrer Exklusivität verloren haben.

Classic Open Air am Gendarmenmarkt dagegen war nie exklusiv, und es treten auch nicht die absoluten Stars auf. Johannes Weigand kann mit seinen nüchternen Ausführungen über die Walküren das Vorurteil zerstreuen, dass Wagner nur als Rausch und nicht auch rational zu hören und zu verstehen ist – die Sopranistin Nadja Michael bestätigt die Vorurteile gegenüber angeblich rauschhaft waberndem Wagner-Gesang leider zunächst. Im emblematischen „Hojotoho“-Ruf der Brünnhilde aus dem zweiten Akt der „Walküre“ trifft sie leider entscheidende Töne überhaupt nicht und verhetzt das Tempo – wobei sich der Dessauer Generalmusikdirektor Frank in der Begleitung dieser eher willfährigen Darbietung bewundernswert flexibel zeigt.

Der Bass des Dessauer Ensembles Ulf Paulsen darf bei strahlend blauem Himmel des Minnesängers Wolfram „Lied an den Abendstern“ aus der Oper „Tannhäuser“ zum Besten geben. Seine ausgesprochen große Stimme, sein volltönender Bass sind angenehm, werden aber in dieser seiner ersten Gesangsnummer von einer nicht gerade wirklichkeitsnahen Bildung der gesanglichen Vokale getrübt.

Dagegen überzeugt das jüngste der hier zu hörenden Mitglieder des Dessauer Sängerensembles, der US-Tenor Ray M. Wade, Jr. In der Gralserzählung aus „Lohengrin“ zeigt er einen vollen und heldischen Tenor, der auch zu lyrischen Farben fähig ist.

Das Orchester und der Dessauer Opernchor, die übrigens als eines der ersten Opernensembles in Deutschland bereits in den 1890er-Jahren Wagners komplettes Mammutwerk „Der Ring des Nibelungen“ im Programm hatten, motivieren an diesem Abend mit ihrem gleichbleibend exquisiten Spiel und rundem Chorgesang die Sänger zu immer besseren Leistungen. Wagner auf dem Gendarmenmarkt – es ist weiterhin ein Wagnis, wird aber in diesem Fall in sichere Bahnen gelenkt.