Kultur

Der Dirigent lässt das Schicksal an die Tür pochen

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Felix Stephan

Tugan Sokhiev am Pult der Berliner Philharmoniker

Einige Werke der Musikgeschichte scheinen so berühmt zu sein, dass sie kaum noch im Konzertsaal anzutreffen sind. Mozarts A-Dur-Klarinettenkonzert zum Beispiel, oder auch Prokofieffs „Symphonie classique“ von 1917 – zwei Werke, die in dieser Konzertsaison nach sehr langer Zeit mal wieder auf den Programmen der Berliner Philharmoniker zu finden sind. Und das sogar in recht kurzem Abstand: zunächst Mozarts Klarinettenkonzert mit Solist Wenzel Fuchs vor zwei Wochen, jetzt Prokofieffs „Symphonie classique“, ein Werk, das in der Ära Rattle noch nie zu hören war.

Keine leichte Aufgabe also für Gastdirigent Tugan Sokhiev, der hier erwartungsgemäß jedes Risiko vermeidet. Betont gemäßigt nimmt er das Allegro-Tempo des Kopfsatzes, die Philharmoniker artikulieren derweil solide bis ruppig. Es ist ein Prokofieff ohne Nostalgie und Naivität, ohne Charme und Leichtigkeit. Dafür aber mit viel Kraft, Schärfe und einer auffälligen Portion Bösartigkeit. Und das wirkt durchaus provokant. Denn eigentlich war es ja Prokofieffs selbst erklärtes Ziel mit dieser Sinfonie gewesen, eine Hommage an Haydns Humor zu schreiben. Bei Sokhiev klingt es nun allerdings eher danach, als habe sich Prokofieff an Beethovens Wut orientiert.

Umso passender, dass Sokhiev den originalen Beethoven gleich hinterherliefert: das Dritte Klavierkonzert op. 37. Der schlanke, sehnige Streicherklang gleich zu Beginn, der forsche, schicksalsschwangere Zugriff in den Orchestertutti – all das weckt Erinnerungen an Sokhievs Auftritt mit dem Deutschen Symphonie-Orchester im Oktober 2015, als er dort noch Chefdirigent war. Doch während damals Solistin Elisabeth Leonskaja die Musiker umgehend in poeti­schere Gefilde lenkte, sitzt jetzt der US-Amerikaner Yefim Bronfman mit gewichtiger Pranke am Steinway. Und der teilt Sokhievs schicksalsträchtig-extrovertierte Beethoven-Interpretation an diesem Abend. Die intimeren Momente hebt sich Bronfman eher für die Solokadenz im Kopfsatz auf. Und natürlich für seine Zugabe: Hauchzart das „Claire de lune“ von Claude Debussy.

Sehr körperbetont dagegen wiederum Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ in der zweiten Konzerthälfte. Unter Sokhiev wirken die Philharmoniker brillant und zugleich straff organisiert. Sie bieten eine technische Hochleistungsschau, die nachhaltig beeindruckt. Die beiden reißerischen Höhepunkte: ein knackiges „Großes Tor zu Kiew“ mit extraviel Rumms der Großen Trommel und spektakulärer Tempodrosselung am Schluss.

( Felix Stephan )