Berliner Volksbühne

Wenn Frauen die Macht haben

| Lesedauer: 5 Minuten
Volker Blech
Die Weltuntergangsuhr im Hintergrund zeigt, dass es kurz vor zwölf ist. Die israelische Multimediakünstlerin und Theatermacherin Yael Bartana erinnert in der Volksbühne mit ihrem Projekt „Was, wenn Frauen die Welt regieren?“ an eine Filmsatire von Stanley Kubrick

Die Weltuntergangsuhr im Hintergrund zeigt, dass es kurz vor zwölf ist. Die israelische Multimediakünstlerin und Theatermacherin Yael Bartana erinnert in der Volksbühne mit ihrem Projekt „Was, wenn Frauen die Welt regieren?“ an eine Filmsatire von Stanley Kubrick

Foto: Reto Klar

Yael Bartana setzt in ihrer Theaterperformance „What If Women Ruled The World? fünf Expertinnen an einen Krisentisch.

Berlin. Es ist kurz vor zwölf. Die Weltuntergangsuhr tickt gnadenlos, die Präsidentin und die Ministerinnen eines pazifistischen Staates kommen am Kabinettstisch in der Volksbühne zusammen, um über eine konkrete nukleare Bedrohung zu beraten. „What if Women Ruled the World?“ („Was, wenn Frauen die Welt regieren?“) ist Yael Bartanas Performance, die sich an Stanley Kubricks Satire „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ von 1964 anlehnt.

Das Bühnenbild mit dem großen runden Verhandlungstisch und der Weltuntergangsuhr ist dem Setting des Kubrick-Films entnommen. Aber bei Bartana verhandeln ausschließlich Frauen. Es gibt nur einen Mann, der Tee ausschenkt, und zwei weitere Männer am Tisch, in der Rolle von Sekretären: eine Geschlechterverkehrung. In Manchester, wo die Uraufführung stattfand, kam ein Freund zu ihr, erzählt Yael Bartana, und sagte, „dass er jetzt versteht, was es bedeutet, wenn Frauen sexuell belästigt werden“. Die männliche Bedienung wird angebaggert. In Berlin soll es nicht ganz so vulgär zugehen, sagt die Künstlerin. Und während sie das sagt, scheinen ihre tiefbraunen Augen fröhlich zu lachen.

Frauen sind pazifistischer veranlagt als Männer

Ihr Politikexperiment „What If Women Ruled The World?“, das Realität, Fiktion und Satire verbindet, nimmt Yael Bartana schon sehr ernst. „Es ist eine fiktionale Situation, weil Frauen in der Realität nicht diese große Macht haben“, sagt sie: „Wir haben weltweit die Situation, dass zu wenig Frauen in Regierungsverantwortung sind.“ Die Frage, ob Frauen eine bessere Weltpolitik machen würden, kann sie natürlich nicht beantworten. „Es wäre auf jeden Fall eine andere Welt. Das Patriarchat existiert bereits seit Tausenden von Jahren. Es gibt also keinen Vergleichswert. Es gibt nur kleine Gemeinschaften, die von Frauen geführt werden.“ Aber es gäbe die Annahme, fügt sie hinzu, dass „Frauen pazifistischer veranlagt sind als Männer“.

In der Volksbühne finden ab Donnerstag drei Vorstellungen, die jeweils eineinhalb bis zwei Stunden dauern, statt. „Ein reales Dilemma wird in eine fiktionale Welt übertragen“, sagt Bartana. An jedem Abend wird es neben den Schauspielerinnen am Tisch auch wechselnde Expertinnen geben. Die Besetzungen sind hochkarätig und überraschend. Am Eröffnungsabend diskutieren beispielsweise Botschafterin Patricia Flor, eine Spezialistin für die Vereinten Nationen und Rüstungskontrolle im Auswärtigen Amt, Carina Van Meyn, Assistenzprofessorin am Royal Danish Defense College in Kopenhagen, die über Atompolitik und staatliche Cyberstrategien forscht, und Heather Linebaugh, die jung in die US-Luftstreitkräfte eingetreten war. Sie war im globalen Krieg gegen den Terror an Drohnenoperationen beteiligt und ist inzwischen Aktivistin für die psychologische Behandlung von Veteranen. Neben den insgesamt fünf Expertinnen sitzen fünf Schauspielerinnen mit am Tisch, so Olwen Fouéré als Präsidentin und Anne Tismer als Außenministerin. Ob es Probleme gab, die internationalen Expertinnen zu gewinnen? „Nein“, sagt Bartana, „sie lieben das Projekt.“

Yael Bartana wurde 1970 in Afula, unweit der Golan-Höhen, geboren. Ihre Großeltern waren schon in den frühen 30er-Jahren aus Polen und Weißrussland nach Palästina ausgewandert, ihr Vater kämpfte 1948 im Unabhängigkeitskrieg, aus dem der Staat Israel hervorging. Ihre Familie beschreibt sie als säkular und zionistisch. Und dann folgt wieder das schelmische Lachen. So einfach ist es doch nicht, denn es gäbe verschiedene Lager in der Familie. Das ganze Umfeld sei der Auslöser für ihre Kunst gewesen.

Ihre Arbeiten befassen sich mit Krisen und Kriegsgefahr

„Ich wollte verstehen, warum ich so aufgewachsen bin, wie nationale Identität oder die Bildung von Nationalstaaten funktioniert.“ Anfänglich habe sie alles filmisch dokumentiert. Später kamen die Fragen, die intellektuelle Durchdringung. Sie studierte in Jerusalem, war Werbefilmerin in den USA, ging nach Amsterdam. Die international gefragte Multimediakünstlerin befasst sich immer wieder mit Krisen und Kriegsgefahr. „Der Konflikt Israels mit den Palästinensern war der Ausgangspunkt für dieses Projekt“, sagt sie. Bartana scheint irgendwie davon überzeugt zu sein, dass die Frauen auf beiden Seiten den Konflikt besser lösen könnten.

Vor sechs Jahren kam sie nach Berlin, „der Liebe wegen“, wie sie sagt. Sie lebt in Prenzlauer Berg, die Volksbühne liegt quasi um die Ecke. Bartana setzt auf ein internationales Publikum, das an den Abenden locker die Verhandlungen auf Englisch verfolgen kann. Was sollen die Leute als Erkenntnis mitnehmen? „Ich möchte, dass die Leute darüber reflektieren, wie die Welt wirklich aussieht“, sagt sie: „Und auch darüber, wie es wäre, wenn Frauen nicht die Männerrollen nachahmen müssten, um eine starke Position einnehmen zu können.“