Kultur

Zwei Altmeister überzeugen an Pult und Klavier

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Matthias Nöther

Deutsches Symphonieorchester spielt Bernstein und Bartók

Auf dem Podium der Philharmonie stehen Klaviernoten, die so zerlesen und von Papierschichten überklebt sind, dass sie der Konsistenz nach dem Schall­deckel des Steinway-Flügels ähneln: Der Pianist Misha Dichter spielt mit dem Deutschen Symphonieorchester Leonard Bernsteins Klavier-Sinfonie „The Age of Anxiety“ von 1949.

Der 72-jährige US-Pianist mit polnisch-jüdischen Wurzeln brilliert an diesem Abend mit betörend kultiviertem Anschlag. Dass er sich zudem die Orchester­stellen im Umfeld seiner solistischen Einsätze in seinen Notenpart geklebt hat, scheint sich gelohnt zu haben.

Dirigiert wird das DSO von dem US-Altmeister David Zinman. Der 81-Jährige scheint an diesem Abend so etwas wie Lieblingsstücke mitzubringen: Zusammen mit Misha Dichter versucht er dem Berliner Publikum zu zeigen, dass Bernstein schon als junger Mann vor dem Welterfolg „West Side Story“ ein ernst zu nehmender klassischer Komponist war.

Angefangen bei einem leisen, doch um nichts weniger raumfüllenden Duett zweiter Klarinetten dürfen die Bläser des DSO unter Zinman das Eigengewicht eines schlichten Schönklangs voll zur Geltung bringen. Auf dieser Basis funktionieren Bernsteins simple wie schlagende Kontrapunkte bestens.

Dennoch wird selten bis nie klar, worin in dieser Musik eigentlich die Bezüge zu Bernsteins poetischer Vorlage bestehen: zu W. H. Audens bedrückendem Nachkriegsgedicht „Zeitalter der Angst“, das vom Ende der Zuversicht und des Glaubens der westlichen Gesellschaften nach dem Zweiten Weltkrieg handelt. Wer sich nicht zuvor in Bernsteins persönliche musikalische Poetik eingearbeitet hat, hört hier oft eine pauschal pastorale Stimmungsmusik, die kaum dramatische Höhepunkte aufweist. Der Schönklang des DSO ist hier nicht Ausgleich zu mitunter gepflegter Langeweile.

Dass die Themen und Motive des „Holzgeschnitzten Prinzen“ von Béla Bartók dagegen sämtlich echte musikalische Rampensäue sind, wird in den ersten fünf Minuten dieser fast einstündigen Ballettmusik aus dem Jahr 1916 klar. Mit seinem umsichtigen, unauffälligen, aber vor Erfahrung strotzenden Dirigat stellt David Zinman die Logik und Stringenz des sinfonischen Ablaufs vor die oberflächlichen, soundtrack-ähnlichen Reize dieser komplexen Partitur. Dennoch ist auch hier ohrenfällig, wie wirkungsvoll und schön klingend David Zinman das enorme klangliche Potenzial des groß besetzten DSO-Bläsersatzes zu präsentieren versteht.