Kultur

Das Drama hinter den Witzen

| Lesedauer: 3 Minuten
Ulrike Borowczyk

In Dennis Kellys „Girls & Boys“ am Berliner Ensemble erzählt eine Frau vom tragischen Ausgang einer Liebe

Sie beschließt mit Mitte zwanzig, es muss sich etwas ändern in ihrem Leben. Nach all den Alkohol-, Sex- und Drogenexzessen. Ein Trip durch Europa ist schon mal ein Anfang. Dann begegnet ihr das Schicksal in der Easy-Jet-Schlange. Die Stimmung ist nach endloser Warterei aggressiv. Doch ihr Traumtyp steht seelenruhig da, liest ein Buch – und ist ihr auf Anhieb unsympathisch. Bis sich zwei bildhübsche Models an ihn ranmachen, um sich so vorzudrängeln – und er sie cool abblitzen lässt. Plötzlich ist er ein Genie. Und sie schockverknallt. Es folgt ein halbes Jahr voll intensiver Leidenschaft. Sie glaubt, den Joker in der Liebeslotterie gewonnen zu haben. Dass er tatsächlich anders ist als andere Männer. Schließlich macht es ihm noch nicht mal etwas aus, dass sie witziger ist als er.

Rau und auf derbe Art lustig, beginnt Dennis Kellys Drama „Girls & Boys“. Das jüngste Stück des britischen Erfolgsautors hatte vor einem Monat am Londoner Royal Court Theatre Premiere und feierte nun im Kleinen Haus des Berliner Ensembles seine deutschsprachige Erstaufführung. Ein klug gebauter Monolog, wahrhaftig und mit starker emotionaler Wucht. Gradlinig inszeniert von der britischen Regisseurin Lily Sykes. In einer schwarzen Guckkastenbühne, die deutlich macht: Das hier ist eine Theaterproduktion. Und doch trifft den Zuschauer das reale, ungeschönte Leben mit voller Breitseite.

Es gibt nur zwei Akteure: Die Frau und das Publikum, das direkt angesprochen wird. Sie wirkt zunächst tough, ganz so, als könne ihr niemand was anhaben. Dann erzählt sie ihre Seite der Geschichte. Schnell wird klar, hinter den dreckigen, kleinen Witzen verbirgt sich tiefer Schmerz. Die Frau da vorne berichtet von einem Trauma.

Schauspielerin Stephanie Eidt ist die Frau ohne Namen, aber mit einer Biografie, die nachhallt. Männliche Gewalt zieht sich durch dieses Leben wie ein roter Faden. Zum Teil, ohne dass sich die Männer dessen bewusst sind. Etwa, als sie schwanger ist und ihm davon erzählt. Ängstlich auf jede Reaktion schauend, ist sie sofort bereit abzutreiben, um ihn nicht zu verlieren. Obwohl es ihr das Herz brechen würde.

Stephanie Eidt füllt die Rolle fulminant bis in die letzten Facetten aus. Während sie erzählt, klettert sie auf einem schwarz-weißen Gerüst (Bühne: Jelena Nagorni) herum, balanciert immer wieder am Abgrund. Live am Flügel begleitet von David Schwarz, dessen Kompositionen den Monolog pointiert kommentieren, zuweilen auch ergänzen.

Dann wird mit dem beruflichen Aufstieg der Frau und dem geschäftlichen Abstieg des Mannes das unaufhaltsame Ende der Ehe eingeläutet. Sie glaubt erst, er habe eine Affäre. Doch er will einfach nichts mehr von ihr wissen. Trotzdem verweigert er die Scheidung. Und treibt sie in die Verzweiflung. Da ist seine Gewalt psychischer Natur. Mentaler Terror. Dennis Kelly bringt es auf den Punkt: Es geht für Männer letztlich darum, immer die Kontrolle zu behalten. Egal, wie. Ist es nicht möglich, kommt es im schlimmsten Fall zu totalem Kontrollverlust, zur Tragödie. Das Stück entstand vor dem Weinstein-Skandal, vor der #MeToo-Debatte und vor Time’s Up. Und es endet so drastisch, dass man fassungslos zurückbleibt.

Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte. Tel. 28408155, Termine: 13., 24., 25. und 27.3., 20.–22.4. um 20 Uhr