Der Cellist Frank Dodge hat die Reihe Spectrum Concerts gegründet. Jetzt feiert sie 30. Geburtstag
Neulich hat er zwischen alten Unterlagen ein Flugticket aus dem Jahr 1989 gefunden. „Damit wollte ich eigentlich zurück nach New York fliegen. Doch dann konnte ich mich nicht zum Umzug entschließen und ließ das Ticket verfallen. Das ist mir im Lauf der Jahre mehrfach passiert“, erzählt Frank Dodge. Berlin hält ihn irgendwie fest, „wie ein Magnet“, und das schon seit 36 Jahren. Noch immer hat der amerikanische Cellist und Leiter der Kammermusikreihe Spectrum Concerts das Gefühl, dass er eigentlich zurück müsste.
Holz liegt neben dem Kamin in seiner Schöneberger Wohnung. Mit großformatigen Gemälden an den Wänden und tönernen Teetassen auf dem Tisch hat er es sich gemütlich gemacht. Ganz heimisch ist er in Berlin trotzdem nicht geworden. Nach all den Jahren spricht er Deutsch alles andere als akzentfrei. In New York fühlt er sich aber ebenso wenig zu Hause, in Trumps Amerika sowieso nicht. Beide Pässe hat er längst. Eigentlich hat er das Gefühl, unterwegs zu sein, sehr gern: „Ich mag diese Leichtigkeit und Beweglichkeit. Sich frei zu fühlen, ist schön.“
Konzertreihe hatte immer das Außergewöhnliche im Blick
Obwohl inzwischen unzählige Künstler aus den USA nach Berlin gezogen sind, ist Frank Dodge für viele Musikfreunde noch immer der Amerikaner in Berlin. Das liegt vor allem an seinen Spectrum Concerts, die jetzt ihr 30. Jubiläum feiern. Damit hat der Wanderer zwischen den Kontinenten von Anfang an Klangbrücken gebaut. Die Reihe hatte immer das Außergewöhnliche im Blick. Amerikanische Komponisten wie Robert Helps, John Harbison und Tison Street hat sie in Berlin bekannt gemacht. Für Künstler, die von den Nazis vertrieben wurden wie Ursula Mamlok und Erwin Schulhoff hat sie sich immer eingesetzt. Das Spectrum Ensemble kombiniert Altes und Neues, Unbekanntes und die Klassiker des Repertoires.
Frank Dodge hat viel Zeit damit verbracht, darüber nachzudenken, ob er nun Musiker oder Manager ist. Längst akzeptiert er einfach das ständige Chaos. 1982 ist der gebürtige Bostoner nach Berlin gekommen, um Cello zu studieren. Die von der Mauer umgebene Stadt faszinierte ihn sofort: „Man konnte hier so tiefsinnige Gespräche führen.“ Er spielte als ständige Aushilfe bei den Berliner Philharmonikern, in einem spanischen und einem schottischen Orchester, bevor er eines morgens mit der Vision von einer neuen Berliner Kammermusikreihe aufwachte.
Frank Dodge träumt gern, doch seine Träume bleiben keine Luftschlösser. In seiner Persönlichkeit vereinen sich Sensibilität und Idealismus mit Tatkraft und Entschlossenheit. Schon in seinen jungen Jahren in Amerika hatte er zwei Kammermusikfestivals in Portsmouth/New Hampshire und New York City organisiert.
Das erste Berliner Konzert fand am 22. Januar 1988 in der Akademie der Künste statt. Es war bitterkalt an dem Abend, das Interesse an der neuen Reihe war ermutigend groß, und vor der Tür stand ein Ü-Wagen, der das Konzert für das National Public Radio Washington mitschnitt. Das Spectrum Ensemble bestand aus einem festen, etwa zehnköpfigen Kern und wechselnden Satelliten. Das ist noch heute so, dadurch kann es Musik mit ganz verschiedenen Besetzungen spielen.
Noch etwas anderes war damals für West-Berliner Verhältnisse ungewöhnlich: die Kammermusikreihe kam ganz ohne staatliche Subventionen aus. Auf eigene Faust fand Frank Dodge immer wieder Mitstreiter aus Wirtschaftsunternehmen. Am Ende eines erfolgreichen Sponsorengesprächs hatte er oft auch einen Freund gewonnen. In der wachsenden Musikszene nach dem Mauerfall wurde es für Frank Dodge nicht leichter, sich Gehör zu verschaffen. Immer wieder stand seine Reihe aus finanziellen Gründen vor dem Aus. Seit vier Jahren hilft auch der Kultursenat, sie zu erhalten.
Neben den Spectrum Concerts hat Frank Dodge zwei Mal eine „American Music Week“ veranstaltet. Mehrfach hat er Berliner Musikstudenten auf Tournee durch die USA geschickt. 2005 gründete er einen amerikanischen Ableger seiner Berliner Reihe. Immer wieder gab das Ensemble seitdem Konzerte in New York, aber auch in anderen amerikanischen Städten. Seit fünf Jahren engagiert es sich auch im Kosovo.
Frank Dodge begleitete 2012 einen Freund in dessen Heimatland Kosovo. In der Altstadt von Prizrin hörten sie Klänge von Geigen und Klarinetten. „Wir gingen den Melodien nach und fanden eine kleine Musikschule. Wir wurden freundlich begrüßt und blickten in offene, lernhungrige Gesichter“, erinnert er sich. Bald merkte er, dass es dort an allem fehlte. Es gab nicht genügend Instrumente, nur papierdünne Wände und keine Heizung. Mit Musikern aus seinem Ensemble und einem Filmteam kam er ein halbes Jahr später zurück, gab Meisterkurse und Konzerte mit den Musikschülern. Inzwischen hat sich ein reger Austausch entwickelt.
Am 22. Januar, auf den Tag genau 30 Jahre nach dem ersten Abend, findet das Jubiläumskonzert im Kammermusiksaal der Philharmonie statt. Neben dem Klarinettenquintett von Brahms, das zu Dodges Lieblingsstücken zählt, und Béla Bartóks selten gespieltem Klavierquintett steht wie beim allerersten Konzert das Nocturne von Robert Helps auf dem Programm, eine feinsinnige Nachtmusik in der Tradition von Mahler. Dodge ist inzwischen 67, er hat beschlossen, in dieser Saison mit seinen Kräften zu haushalten und nicht als Cellist aufzutreten. Es gibt genug zu organisieren: ein Buch zum Jubiläum, zwei geplante CDs, Reisen in den Kosovo und vielleicht auch wieder in die USA.