Berlin. Der „Hauptmann von Köpenick“ im Deutschen Theater. Milan Peschel überzeugt als zeitloser und sehr präsenter Wilhelm Voigt.
Der eiserne Vorhang ist noch geschlossen, aber die Musik hört man schon. Rummelplatzmusik, blechern, ein bisschen verzerrt. Klingt nach Leben, auch nach Stadt „mit all ihr Jebumms und Jemäuer“, wie Wilhelm Voigt sagen würde, der Schuster war und lange Häftling, bevor er für eine kurze Dauer zum „Hauptmann von Köpenick“ wurde. Carl Zuckmayers gleichnamige Tragikomödie wird im Deutschen Theater (DT) gegeben, hier, wo das Stück 1931 in der Regie von Heinz Hilpert uraufgeführt wurde. Natürlich erwartet man hinter dem Vorhang das flirrende, unüberschaubare, für einen wie Voigt aber auch gnadenlose Berlin.
Dann fährt der Vorhang hoch, und da ist: Nichts! Nur das nackte DT-Bühnenhalbrund und ein paar Scheinwerfer. Von der Seite kommt Milan Peschel hereingeschlurft, rutschende Hose, schäbige Jacke, hängende Schultern. Er geht zur großen Tür ganz hinten, klopft an. Fast dreht er schon wieder ab, da geht die Tür doch noch auf und offenbart die Stadt im Hinterraum. Die muss Peschel, der ehemalige Bühnenbauer und spätere Schauspielstar an der Volksbühne, seinem Wilhelm Voigt erst mal eigenhändig aufbauen. Da steht also einer vor dem Nichts und schiebt ächzend eine riesige Hausfassade nach der anderen auf die Drehbühne. Mietskasernen, das alte Staatsratsgebäude der DDR, Potsdamer-Platz-Hochhäuser, Bürgerhausfassaden, ein bisschen was aus allen Zeiten.
Das ist ein enorm starker Anfang, mit dem Regisseur Jan Bosse seine „Hauptmann von Köpenick“-Inszenierung eröffnet. Da ist alles schon drin: die Hoffnung, die Mühsal und natürlich die Stadt, die immer größer wird und den schmalen Voigt beinahe zu zerquetschen droht.
Eine Glitzeruniform, wie sie die Zirkusdirektoren tragen
Dann geht’s los, und da ist sie: die Uniformjacke. Zunächst getragen vom Gardehauptmann von Schlettow (zackig: Timo Weisschnur). Zu Unterhosen, denn er lässt beim Schneider Wormser (Steffi Kühnert untertänigst im Frack) noch Korrekturen vornehmen. Wilhelm Voigt schleicht da schon herum, doch bis das Teil in seine Hände gerät und er sich selbst darin zum Hauptmann macht, um an die ersehnten Papiere zu kommen und dann vielleicht auch an Arbeit, dauert es noch.
Die blauen Glitzerpailletten funkeln verführerisch. Eine echte Uniform ist das nicht, eher so eine, die Zirkusdirektoren in der Manege tragen. Kleidung, die gemacht ist für die Show. Die einen anderen Menschen vortäuscht als den, der drinsteckt, einen wichtigeren, schöneren, machtvolleren. Damit klar wird, dass das immer noch so ist, lässt Jan Bosse zeitweise die Hochglanzwerbung von Nobellabels wie Boss oder Yves Saint Laurent auf die Häuserfassaden projizieren.
Immer wieder injiziert Bosse Gegenwart in den Stoff und wird dabei überdeutlich. Es geht ihm dabei auch um die Kritik an der Obrigkeitshörigkeit, vor allem aber interessiert er sich für den randständigen Menschen, der rausgefallen ist aus der Gesellschaft und partout nicht wieder reinfindet, für die Ungerechtigkeit, die all dem innewohnt. Dafür hat er den Text zusammen mit David Heiligers bearbeitet und zusätzliche Passagen von Armin Petras eingebaut. Geschichten wie die vom Pfandsammler oder von der Gentrifizierung in Prenzlauer Berg. Doch das fügt sich nicht ein, wirkt gewollt.
Das braucht dieser Abend auch nicht, denn er hat ja Milan Peschel. Der ist ein hervorragender, zeitloser und sehr präsenter Wilhelm Voigt. Immer ein bisschen gebeugt und zerknautscht, aber mit schnoddrigen Mutterwitz. Und er berlinert mit Gebraus! Natürlich denkt man die berühmten Vorgänger-„Hauptmänner“ dabei immer mit, Heinz Rühmann zum Beispiel oder Harald Juhnke, letzteren zitiert er sogar einmal. Aber Peschels Wilhelm Voigt hat ein ganz eigenes Format, der ist kein sich durchlavierender Filou, sondern einer, der stinksauer ist auf die ganze Bürokratie, der anständig sein will, aber man lässt ihn ja nicht. Eine bei allem Witz dennoch traurige Gestalt, die immer wieder überkocht. Manchmal etwas zu laut, die leiseren Szenen sind seine besten, hier offenbart sich seine Gebrochenheit. Oft sieht man sein Gesicht in Großaufnahme auf die Stadtfassaden (entwickelt von Stéphane Laimé) projiziert. Als kleinen Witz trägt er seine Habseligkeiten (und später auch die Köpenicker Stadtkasse) in einem Jutebeutel herum, die mit dem Aufdruck „krise“ versehen ist, in der Volksbühnen-typischen Frakturschrift.
Das ist alles ganz hübsch anzusehen, doch zwischen einem starken Anfang und einem ebensolchen Ende hat der knapp zweieinhalbstündige Abend auch manche Länge. Es lohnt sich dennoch, diese durchzustehen, weil Milan Peschel als Hauptmann von Köpenick ein Ereignis ist und weil eine dermaßen lebenssatte Ladung Berlinisch selbst auf den Hauptstadtbühnen sonst selten zu erleben ist.
Deutsches Theater (Kammerspiele), Schumannstr. 13a, Kartentel. 28 441 225. Termine: 26.12, 19 Uhr, 31.12., 19.30 Uhr, 6.1.18 20 Uhr.