Der Lyriker Jan Wagner nimmt am heutigen Sonnabend den Büchner-Preis entgegen

Wenn Lyrik gelesen wird, dann ist es in Berlin. Nirgendwo im Lande gibt es wohl mehr Lyriker und Lyrik-Liebhaber als hier. Und kaum je gab es so viele Preise und sonstige Auszeichnungen für Poesie. Aber natürlich ist diese literarische Form kein Thema für ein großes Publikum, sie ist das Stiefmütterchen unter den literarischen Gattungen. Umso schöner ist es zu hören, dass nun mit Jan Wagner, der in Berlin lebt, ein Lyriker mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet wird – immerhin die wichtigste Ehrung für deutschsprachige Literatur. Und ein Preisgeld von 50.000 Euro gibt es dazu. Das dürfte ein gutes finanzielles Polster für Wagner sein.

Mehr Ehrung hat wohl noch kein Lyriker bekommen

Allerdings ist der 46-Jährige preisverwöhnt, die Liste der Auszeichnungen ist lang. Erst vor zwei Jahren erhielt er den Preis der Leipziger Buchmesse für seinen Gedichtband „Regentonnenvariationen“, als erster Lyriktitel in der Geschichte dieser Ehrung. 2015 bekam er den Mörike-, 2011 den Friedrich-Hölderlin-Preis. Und ja, der Anna-Seghers-Preis gehört auch noch dazu, das war 2004. Mehr Ehrung hat wohl noch kein Lyriker bekommen.

Doch darauf ruht sich Wagner nicht aus. Er übersetzt zeitgenössische englischsprachige Lyrik, trägt seine Werke vor, schreibt Essays, Kritiken, Anthologien und hält Vorträge. So sieht heute ein Dichterleben aus. 2001 erschien mit „Probebohrung im Himmel“ sein lyrisches Debüt. Seine Gedichte werden mittlerweile in 30 Sprachen übersetzt. 1995 gab er die „Außenseite des Elementes“ heraus. Wagner schreibt über vieles, die Natur, den Garten, die Kirsche, den Giersch. Manchmal, so sagte er vor einiger Zeit in einem Interview, finde er auch „wunderbare Kleinigkeiten“, wenn er durch Berlins Straßen laufe.

Dabei bezieht er sich auf die klassischen Gedichttraditionen, deutet sie um in Eigenes, mit einer Leichtigkeit, die Lust macht auf Lesen. Dazu kommt eine gewisse Ironie, ein typischer Wagner’scher Witz-Schlenker. Manchmal scheint es, als tanzen seine Worte auf dem Papier. Man muss sich in diese Zeilen versenken, sonst überliest man all die atmosphärischen Verdichtungen.

Die Büchner-Preis-Jury jedenfalls bescheinigt Wagner „poetische Sprachkunst, die unsere Wahrnehmung ebenso schärft wie unser Denken“. Die Verleihung ist der Abschluss der dreitägigen Herbsttagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Letzter Träger der Auszeichnung mit Schwerpunkt Lyrik war vor drei Jahren Jürgen Becker. „Wagner ist einer der großen poetischen Zauberkünstler unserer Zeit. Er ist ein Lyriker, der schwierigste Formen leichtfüßig beherrscht und damit anspruchsvoller Dichtung ein großes Lesepublikum erschlossen hat“, sagte Akademie-Präsident Heinrich Detering. Wagner hat Anglistik und Amerikanistik studiert, zunächst an der Hamburger Universität, dann ein Jahr lang am Trinity College in Dublin, bevor er Mitte der 90er-Jahre nach Berlin zog.

Neben dem Büchner-Preis werden noch zwei weitere Auszeichnungen übergeben, die mit jeweils 20.000 Euro dotiert sind. Die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger (62), Professorin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, bekommt den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa. Sie habe „ein neues Bild vom frühneuzeitlichen Heiligen Römischen Reich und seiner in Symbolen und Ritualen verwirklichten Verfassung entwickelt“, meinte die Jury. Und der Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay geht an den Journalisten und Buchautor Jens Bisky (51).