Kultur

Die Stadt ist die Bühne

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Angela Hohmann

Mit gleich zwei Ausstellungen feiert Berlin den 80. Geburtstag des großen Realisten Matthias Koeppel

Ganz hinten erkennt man, in dunkler Farbe angedeutet, eine Gruppe von Menschen mit roten Fähnchen und Plakaten. Vorne sind zwei feiste Herren zu sehen, der eine lümmelt sich im grünen Rasen, der andere mit bloßem Oberkörper sitzt, eine Hand an einer Bierflasche auf dem Kühler eines Mercedes Benz. Über der Szene dräut sich ein unheimlich gelber Himmel. So malte Matthias Koeppel 1971 seinen bissigen Kommentar zu den Ritualen des Tags der Arbeit. Während hinten gestreikt wird, feiern vorne die Gewerkschaftsbosse. Es ist eines der frühen realistischen Werke des Wahlberliners, der die Stadt so oft zur Bühne für seine Bilder wählte.

Koeppel ist auch ein exzellenter Zeichner

80 Jahre alt ist der 1937 in Hamburg geborene Maler am 22. August geworden, und die Stadt ehrt ihn gleich mit zwei großen Ausstellungen. Beide gehören eng zusammen, wie Sabine Meister, die Kuratorin, erläutert: „Während in der Zitadelle Spandau ausschließlich die Malerei gezeigt wird, bekommt man in der Kommunalen Galerie Einblicke in Arbeitsprozesse und die Entwicklung von Matthias Koeppels Œuvre. Außerdem sind dort Fotografien, Zeichnungen und Druckgrafik zu sehen.“

Das Gemälde „1. Mai“ mit den dreist-frivolen Gewerkschaftsbossen hängt in der Zitadelle Spandau. Als Koeppel das Bild malte, war das eine Provokation. In Deutschland herrschte das Diktum der Abstraktion, der Realismus war verpönt. Entsprechend hatte Koeppel beim Studium an der Hochschule der Künste in Berlin auch nur die abstrakte Malerei erlernt, das Zeichnen am realen Objekt musste er sich mit Gleichgesinnten privat aneignen – die wichtigste Voraussetzung für seine Arbeit als Maler, wie er selbst betont: „Ich bin ein realistischer Maler. Das Entscheidende dabei ist die genaue Beobachtung der Wirklichkeit. Das geschieht meistens in Form von Zeichnungen. Davon habe ich ein ganzes Archiv, aus dem ich für meine Bildentwürfe immer wieder schöpfen kann.“

Dass Koeppel ein exzellenter Zeichner ist, kann man vor allem in der Kommunalen Galerie studieren. Hier sind viele kleinformatige Skizzen zu sehen, aber auch eine großformatige Zeichnung, eine Studie für eines seiner wichtigsten Werke aus der Zeit der „Schule der Neuen Prächtigkeit“. Die Künstlergruppe mit diesem provokanten Namen gründete Koeppel 1973 mit seinen Mitstreitern Johannes Grützke, Manfred Bluth und Karlheinz Ziegler. Er ist der einzige, der noch lebt.

Sie alle verschrieben sich einem mit Ironie und Satire gespickten Realismus, dem es von Anfang an um weit mehr ging, als nur die detailgenaue Darstellung des Gegebenen. „Die Abbildung der Wirklichkeit genügte uns nicht“, erinnert sich Matthias Koeppel, „sie war vor allem dazu da, Bedeutungsträger zu sein. Wir haben die Gesellschaft aus einem sozialkritischen Blickwinkel betrachtet.“

Mit der Zuspitzung des Realen, der Überzeichnung ins Groteske, mit hintergründigem Humor und bissiger Boshaftigkeit rückten sie der Republik und ihren Schieflagen zu Leibe. Matthias Koeppel siedelte seine Figuren meist unter seinem Markenzeichen an, einem riesigen Himmel, der alles darunter liegende wie auf einer großen Bühne zur Schau stellt. Überall war Koeppel dabei: dem Fall der Mauer, dem Spatenstich für das Kanzleramt, der Geisterparade von Occupy-Protestlern am Brandenburger Tor. Mit grotesken Figurenensembles, selbstgefälligen Polit-Tamtam und Stadtlandschaften zwischen Abriss und Wiederaufbau betrachtete er unersättlich wie unter dem Sezierglas, ein moderner Historienmaler. All das kann man in der Zitadelle bestaunen, während die Kommunale Galerie nicht nur Malerei zeigt, sondern auch andere Medien. Die schon erwähnte große Zeichnung zu dem Gemälde „Die Nachstellung des Jüngsten Gerichts des Lucas van Leyden“ am Anhalter Bahnhof war nicht die einzige Vorarbeit dazu. Mit Freunden inszenierte er Figurenkonstellationen nach und fotografierte sie. Ein Maltagebuch gibt Aufschluss über kompositorische Überlegungen.

Den Realismus mit abstrakten Elementen gespickt

Aber auch eigenständige Arbeiten in anderen Medien sind zu sehen wie die seit den 1980er-Jahren entstehenden Fotografieserien. Trotz dieser Ausflüge in andere Bereiche hat sich Matthias Koeppels künstlerisches Selbstverständnis nie geändert: „In erster Linie bin ich Maler. Alles, was ich sonst mache, bezieht sich entweder direkt oder indirekt auf meine Malerei. Andere Dinge, wie zum Beispiel die Fotografie, waren für mich immer nur Nebenwege.“ Für die Kuratorin Sabine Meister war der Blick ins Archiv des Künstlers Inspiration, besonders für die Ausstellung in der Kommunalen Galerie: „Dabei habe ich entdeckt, dass Matthias Koeppel die Auseinandersetzung mit der Abstraktion immer fortgeführt hat, lange Jahre als Fingerübung im kleinen Format und auf so ungewöhnlichen Trägern wie Würstchen-Papptellern.

Später dann auch in seiner Malerei, etwa im Zyklus ,Abschied der Moderne‘, der die klassische Moderne zitiert, oder in seinen neokubistischen Gemälden, mit denen er die Ausdrucksmöglichkeiten des Realismus erweitern will.“ In jüngster Zeit hat sich Matthias Koeppel noch einmal neu erfunden und seinen Realismus mit abstrakten Elementen gespickt.

Während der Kubismus sich ursprünglich von der Gegenständlichkeit gelöst hat, versucht Matthias Koeppel mit den Mitteln des Neokubismus das Gegenteil. Der große Realist bleibt sich treu, wenn auch mit leicht modifizierten Mitteln: „Im Neokubismus wird die Mitteilungsmöglichkeit der gegenständlichen Malerei verschärft. Die Realität wird verfremdet, und plötzlich nimmt man die Dinge, die man gewohnt ist, anders wahr.“

Zitadelle Spandau – Alte Kaserne. Am Juliusturm 64. Öffnungszeiten: Mo–So 10–17 Uhr,
bis 19. NovemberKommunale Galerie Berlin, Hohenzollerdamm 176. Öffnungszeiten: Di–Fr 10–17 Uhr, Mi 10–19 Uhr, So 11–17 Uhr, bis 29. Oktober. Katalog: Verlag SMK, 25 Euro