Der Österreicher Robert Prosser überrascht mit dem Roman „Phantome“ und wird für die Short List des Deutschen Buchpreises nominiert
Anfang der 90er, da begann in Deutschland die Wiedervereinigung. Eurodance war in den Charts, Aufnäher an den Jeans und Amerika noch der große Traum. Der Bosnienkrieg, nur einige Flugstunden von uns entfernt, war dagegen kaum greifbar. Wie der Protagonist aus Robert Prossers Roman „Phantome“ wussten die meisten, die heute Mitte 30 sind, wenig über den Krieg auf dem Balkan. Wie er erinnere ich mich nur an einen Mitschüler aus Jugoslawien, der viel malte und wenig sprach. Gemeinhin gilt der Bosnienkrieg (1992–1995), der den letzten großen innereuropäischen Exodus zur Folge hatte, als vergessen.
So ist der Roman „Phantome“ des jungen österreichischen Autors Robert Prosser, der aktuell auf der „Longlist“ für den Deutschen Buchpreis steht, in vielerlei Hinsicht eine Überraschung – thematisch, literarisch und stilistisch. Letzteres, weil Robert Prosser als Autor im Gegensatz zu vielen seiner schreibenden Zeitgenossen für das Negativ der Befindlichkeitsliteratur steht. Statt um sein Ich zu kreisen, den eigenen Lebensentwurf zu verteidigen oder zu optimieren, folgt sein Icherzähler, ein Sprayer-Typ aus Wien, seiner Freundin Sara nach Bosnien, die auf den Spuren ihrer Mutter Anisa das Land bereist.
Saras Mutter musste als junge Frau Sarajevo verlassen. Von ihrem Freund Jovan, einem bosnischen Serben, der zum Militärdienst eingezogen wird, kann sie sich nicht verabschieden. Vieles in Saras Familiengeschichte ist im Dunkeln geblieben. Ihre Geschichte ist auch jene von Tausenden Menschen, einer verlorenen Generation, deren Blicke wie Prosser schreibt, „resigniert und hungrig in einem“ sind. Der Icherzähler in „Phantome“, das ist Prosser fiktionalisiertes Ich – daraus macht der Autor kein Geheimnis. Das Schreiben des Romans sei für ihn mit intensiven Recherchereisen nach Bosnien verbunden, sagt Prosser. Das Nachforschen und Nachfragen gingen Hand in Hand mit der Entwicklung der Handlung. Autofiktion nennen Literaturkritiker unlängst diese Gattung – eine Mischung aus Autobiografie und Fiktion. Der Vorteil dieses Narrativs ist natürlich, dass der Leser mit dem Autor in eine fremde Kultur eintaucht, lernt und so beginnt das Trauma der frühen Vergangenheit des Landes, zu verstehen. Prossers Erzählweise ist dabei dicht, detailverliebt und durch die Betrachtung in der ersten Person im ersten Teil des Buches niemals gleichgültig.
So besucht das junge Paar – Sara und der Erzähler – ein Museum, das zu großen Teilen dem KZ Jasenova gewidmet ist. Es sind Beschreibungen von Massakern, die Protagonist und Leser in grausamer Erinnerung bleiben sollen. Beim Durchqueren des Landes mit Bussen treffen die beiden auf einen Mann mit einer Handprothese. Sie treffen Menschen, die Greueltaten im Krieg sahen und davon fast beiläufig berichten.
Am Anfang, beschreibt der Erzähler, ist der nur der „verliebte Typ“, der seine Freundin Sara nicht alleine reisen lassen möchte, doch schon bald interessiert er sich für das Land.
Er beginnt aktiv seine eigenen Recherchen. Kriegsverbrecher, so lernt man, ziehen in Bosnien in der Wirtschaft weiterhin die Strippen, auf den Löchern von Geschützen in Srebrenica hat ein Einwohner namens Tahir Apfelbäume gepflanzt. Er wohnt „zwischen den Ruinen der Häuser seiner toten, seiner erschossenen, ermordeten Verwandten, die zu diesem Ort gehören wie der Kirschbaum und die Pferde“, schreibt Prosser.
Dann beginnt er die Geschichte von Anisa, Saras Mutter und ihrem Freund Jovan zu erzählen. Sie sind wie Sara und der Icherzähler zwei junge Menschen, zwei Verliebte, die alles noch vor sich haben.
„Phantome“ ist, darf man annehmen, wie Henrick Ibsens Titel „Gespenster“ gemeint. Eine Vergangenheit, die wie quälende Geister ständig präsent bleibt, die nicht mehr aufgearbeitet werden kann und nur noch als schmerzender Teil seiner selbst angenommen werden muss. Für die Nominierung der „Short List“ des Deutschen Buchpreis am 15. September sei Robert Prosser nur das Allerbeste gewünscht.