Gleich beim Eintreten in die Galerie an der Auguststraße in Mitte stolpert man fast über sie: kleine Pflastersteine, die in einem Häufchen auf dem Boden liegen. Einige davon sind mit Pergamentpapier umwickelt, auf denen in Schreibmaschinenschrift Wörter aufgedruckt sind: Terrorist, Neonazi, Rebell und vieles mehr. Worte haben in der Arbeit von Lada Nakonechna, Jahrgang 1981, dieselbe verheerende Kraft wie Steine. Bei Eigen + Art steht dieser Tage alles im Zeichen der „Revolte“.
Unter diesem Titel zeigt die Galerie Kunstwerke von sechs Künstlern, fünf davon sind Frauen, die sich in angespannten Zeiten mit politischen Themen auseinandersetzen. In einer weiteren Arbeit der Ukrainerin versammelt sie Fotografien von Demonstranten, Aktivisten und Journalisten, die während der Maidan-Platz-Proteste in Kiew verprügelt wurden. In Rahmen stehen die Fotografien auf dem „Negotiation Table“, dem Verhandlungstisch. Die zivilisierte Auseinandersetzung mit Worten ist hier Einschüchterung und Gewalt gewichen. Ein eindrucksvoll-düsteres Szenario, das auf immer mehr Länder heute zutrifft.
Eine amerikanische Flagge aus Fahrradketten
Stef Heidhues, 1975 in den USA geboren, war immer fasziniert vom amerikanischen Patriotismus und seinen Insignien, der amerikanischen Flagge. Ihre Fahne besteht jedoch aus Fahrradketten. In dieser Form erhält die Fahne etwas Unheimliches. Eine zweite Arbeit von Heidhues zeigt Helme, die mit Assoziationen zu Ritterrüstungen, Verschleierung und Gasmasken spielen und damit alle möglichen aktuellen Konfliktfelder aufrufen: Religion, Gesellschaft und Politik.
Bei den Mixed-Media-Arbeiten von Birgit Brenner, Jahrgang 1964 , sieht man den gemalten Unterleib einer jungen Frau mit Slip bei der Masturbation. Aus Kunststoff ist ihr ein Gitter vorgelagert. Darunter steht „The Dictator Decides“ und etwas schwächer ist zu lesen: „I am so sorry.“ Sofort denkt man an die russische Band Pussy Riot und ähnliche Formen weiblichen Widerstands.
Absolut sehenswert ist der Super-8-Film von Jörg Herold (geboren 1965) aus dem Jahr 1985. In einer Art dadaistischem Happening vollführen Herold und seine Freunde, darunter der junge Harry Lybke mit wildem Lockenkopf, heute Galerist von Eigen + Art, ein anarchistisch-künstlerisches Manifest zwischen Hymne an die Arbeit und krudem Nonsense – ganz wilder Osten zu DDR-Zeiten im kreativen Protest gegen Funktionärsdoktrinen.
Wahlsituation in ehemaliger DDR nachinszeniert
Die Fotografin Ricarda Roggan, Jahrgang 1972, hat für ihre Farbbilder mit Originalmobiliar die Wahlsituation in der ehemaligen DDR nachinszeniert: den Amtstisch, wo sich die Wähler registrieren ließen, den Tisch mit der Papierurne für die Wahlscheine und den Paravent, hinter dem man sich zur geheimen Abstimmung zurückziehen konnte. Wer das tat, vollzog allerdings schon einen Akt der Revolte und machte sich im sozialistischen Arbeiter-und-Bauern-Staat verdächtig.
Die Amerikanerin Christine Hill, geboren 1968, hat im Internet das Stichwort „Revolution“ gegoogelt und ist dabei auf die unterschiedlichsten Kontexte gestoßen, darunter die Guillotine der Französischen Revolution, ein Kinderwagen mit dem Namen „Revolution Stroller“ sowie ein Zitat von Paul Gauguin: „Kunst ist entweder Nachahmung oder Revolution.“ Ein schönes Motto für eine sehenswerte Ausstellung zum Thema Kunst und Politik.
Eigen + Art Berlin, Auguststr. 26 in Mitte, geöffnet Di.–Sbd. 11 bis 18 Uhr. Bis 30. August