Der Regisseur ist ein Energiebündel. Seine Komische Oper hat er ganz schön umgekrempelt. Als der gebürtige Australier 2012 die Intendanz des Berliner Opernhauses übernahm, hat er sogleich verkündet, neben der Oper auch die große und leider untergegangene Operettentradition des Hauses wiederzubeleben. Geradezu lustvoll bewegt sich Kosky seither zwischen hehrer Opern- und manchmal schriller Unterhaltungskunst.
Längst hat er eine Fangemeinde in Berlin, und die deutschen Kritiker haben ihn unlängst zum „Regisseur des Jahres“ gewählt. Kosky ist der Mann fürs Unerwartete. Es gibt wohl keine Musiktheater-Tradition, auf die er sich nicht mit rebellischer Geste stürzt. In Berlin will er außerdem die von den Nazis in die Vergessenheit getriebenen Operetten jüdischer Komponisten neu entdecken. In seinen Operninszenierungen spielt Kosky gern auch mit der eigenen jüdischen Identität. Das Thema treibt den bekennenden Wagner-Kritiker umso mehr um, seit er sich entschlossen hat, bei den Bayreuther Festspielen als Regisseur mit den „Meistersingern von Nürnberg“ zu debütieren. Die Premiere findet zum Festspielauftakt am 25. Juli statt. Unser Gespräch erfolgt kurz vor seiner Abreise nach Bayreuth, wo die Proben inzwischen begonnen haben.
Berliner Illustrirte Zeitung : Die Premiere wird ein Höhepunkt in Bayreuth werden, allein schon, weil Sie als erster jüdischer Regisseur dort die deutschtümelndste aller Wagner-Opern machen. Klingt nach einer brisanten Mischung...
Barrie Kosky : Aber nein. Wenn ich, Barrie Kosky, „Die Meistersinger“ mache, dann nur in Bayreuth. Vor einigen Jahren hat mir ein großes europäisches Opernhaus das Stück angeboten. Ich habe gesagt, darin ist zu viel C-Dur. Zwei Jahre später hat mich die Festspielleiterin Katharina Wagner gefragt. Auch ihr habe ich gesagt, dass ich das Stück zu deutsch finde und nichts dazu zu sagen habe. Wir hatten dann mehrere Gespräche, und sie hat mir versichert, dass ich erzählen kann, was ich will. Also bin ich in einen Dialog mit dem Stück getreten.
Das klingt jetzt so versöhnlich. Früher haben Sie gesagt, Sie hassen die „Meistersinger“?
Ja, ich habe immer gedacht, das Stück ist eine starke Metapher auf die deutsche Kultur, Geschichte und Identität, was mich als Nicht-Deutschen eigentlich nicht interessiert. Ich habe zu Katharina Wagner zunächst gesagt, dass ich Probleme mit dem Stück habe und Zeit brauche, um darüber nachzudenken. Sie stimmte mir zu, dass es ein schwieriges Stück sei, und hat mir sechs Monate für meine Entscheidung gegeben. Dann hat sich meine Meinung geändert, denn ich habe entdeckt, dass es kein Stück über die deutsche Kultur ist. Es handelt von Wagners Idee einer deutschen Identität und Kultur. Das ist aber etwas ganz anderes. Ich habe jetzt nicht mehr das Gefühl, dass ich die ganze Last der deutschen Identität auf meinen Schultern tragen muss. Nein, ich habe mich nur mit Wagners Fantasie auseinanderzusetzen.
Immerhin hat später einer seiner Anhänger, Adolf Hitler, versucht, einige der Opernfantasien in die Realität umzusetzen.
Absolut, aber dieser Missbrauch fand erst im 20. Jahrhundert statt. Ich war jedenfalls sehr erleichtert, als mir bewusst wurde, dass „Die Meistersinger“ vor allem ein Stück über Wagners Narzissmus ist. Wagner hielt sich nicht nur für das Zentrum der deutschen Kultur, sondern auch für ihren Motor, ihre Seele und ihr Heil.
Sie sind 1967 im australischen Melbourne als Enkel jüdischer Einwanderer aus Polen, Ungarn und Russland geboren worden. Wann hatten Sie Ihren ersten Kontakt mit Wagners Musik?
Meine ungarische Großmutter hat mir „Tristan und Isolde“ vorgespielt, als ich 15 Jahre alt war. Sie war ein großer Wagner-Fan und sagte mir, ich sei jetzt so weit für Wagner.
Was hat Sie Ihnen über Wagner erzählt?
Sie selbst war als Kind jede Woche in der Budapester Staatsoper und in den 20er- und 30er-Jahren einmal im Monat mit ihren Eltern in Wien in der Staatsoper. Sie hatte bei mir mit „Tristan“ begonnen, weil es eine konzertante Aufführung in Melbourne gab. Ich war total begeistert. Es war genau die richtige Erfahrung zu Beginn meiner eigenen Pubertät. Das ist ja die Zeit, in der man beginnt, über existenzielle Dinge nachzudenken. Man führt einen Kampf gegen sich selbst. „Tristan“ war eine gute erste Begegnung mit Wagner, und ich liebe das Stück bis heute. Später war ich besessen vom „Rheingold“. Das ist mein zweites Lieblingsstück von Wagner. Es ist kurz, knackig und hat Ironie. „Parsifal“ war damals etwas zu viel für mich. Dann folgte „Der fliegende Holländer“. Der „Holländer“ war später auch meine erste Wagner-Inszenierung.
Hat sich Ihr Wagner-Bild verändert, seit Sie in Deutschland leben?
Eigentlich nein. Für mich war Wagner immer wie ein Buffet, wo man mal hier und mal dorthin greift. Wagner wird in der ganzen Welt gespielt, aber in Deutschland ist es etwas ganz Besonderes. In Deutschland gibt es in seinen Werken viel mehr Ebenen. Ich habe bereits acht Mal in meinem Leben Wagner inszeniert. Den „Lohengrin“ in Wien hätte ich nicht machen sollen – das Stück ist einfach nichts für mich. Ich hatte immer das Gefühl, dass Wagner mit im Probenraum saß. Im Gegensatz etwa zu Mozart verschwindet Wagner nicht hinter seinen Noten, sondern er bleibt als Figur immer dabei. Ich war richtig wütend darüber. Ich habe begonnen, dagegen zu rebellieren. Ich wollte die Wagner-Droge nicht in meinem Körper haben. Das ist jetzt anders. Aber es bleibt immer ein faszinierender, aber unbequemer Tanz mit Wagner.
Wann haben Sie mitbekommen, das Wagner die antisemitische Hetzschrift „Das Judenthum in der Musik“ verfasst hatte?
Das war auf der Universität. Ich habe Musikgeschichte studiert, und da war es natürlich ein großes Thema.
Und Ihre Großmutter hat nicht darüber gesprochen?
Nein, meine Großmutter hat nie etwas dazu gesagt, obwohl die Nazis ihre ganze Familie ermordet haben. Sie hat nie über die schrecklichen Dinge der Vergangenheit gesprochen.
Der Berliner Dirigent Daniel Barenboim, der auch bereits in Bayreuth dirigiert hat, ist der Auffassung, man muss die Person Wagner von ihrem genialischen Werk trennen. Teilen Sie die Sicht?
Nein. Ich habe vor einigen Jahren mit Daniel bei einem Mittagessen lange darüber gesprochen. Ich schätze ihn sehr und auch seine Meinung. Aber ich glaube, es ist unmöglich, den Komponisten vom Werk zu trennen. Sein Wesen ist so tief mit dem Text und der Musik verbunden. Es ist vielleicht möglich, dass ein Kindermörder eine Symphonie oder ein Streichquartett schreibt, ohne dass man das in der Musik hören kann. Aber bei Wagner reden wir von Oper, er hat die Texte und die Geschichten selbst verfasst. Darüber hinaus hat er Essays über seine politischen und kulturellen Ideen geschrieben. Diese Ansichten sind sofort auch in die Stücke übergegangen. Ich bin immer überrascht, wenn Leute sagen, er war ein Monster, aber die Musik muss man unabhängig davon hören. Daniel ist nicht der Einzige, der das sagt. Vor allem viele jüdische Dirigenten vertreten diese Meinung, aber als Regisseur ist mir das unmöglich.
Haben Sie das Thema mit Ihrem Regieteam besprochen?
Selbstverständlich! Das Thema Antisemitismus hat uns in den letzten Jahren beschäftigt. Es gibt zwei ex-treme Positionen. Entweder man sagt, Musik kann nicht antisemitisch sein, und trennt Person und Werk voneinander. Oder man findet die ganze Person und ihr Werk ekelhaft und meint, nichts davon sollte gespielt werden. Früher habe ich versucht, eine der beiden Positionen einzunehmen. Aber das halte ich inzwischen für dogmatisch. Mich interessiert die Grauzone dazwischen.
Sind denn Wagners Opern nun antisemitisch?
Auf eine gewisse Art sind sie das. Wenn wir uns zum Beispiel Figuren wie Mime und Alberich im „Ring des Nibelungen“, Klingsor und Kundry im „Parsifal“ oder Beckmesser in den „Meistersingern“ anschauen. Sie erscheinen in den Stücken zwar nie als Juden. Wagner war viel zu schlau für solch konkrete Zuordnungen. Aber die Figuren sind mariniert im Antisemitismus des 19., 18., 17., 16., 15., 14., 13. und 12. Jahrhunderts! Das bedeutet, es war gar nicht notwendig, diese Figuren als Juden auf die Bühne zu bringen. Bei Mime, dem Nibelung, ist es nicht zu übersehen, dass es sich um eine jüdische Karikatur handelt. Es deckt sich mit allem, was Wagner in seinem Essay geschrieben hat. Alles, was er über jüdische Musik und jüdische Stimmen sagte, ist in dieser Figur enthalten.
Außerdem ist Mime im Stück geldgierig und verschlagen, um noch zwei antisemitische Klischees nachzuschieben.
Das macht mich immer wieder sprachlos. Aber bei Beckmesser ist es viel subtiler. Er ist eine Frankenstein-Kreatur, die aus unterschiedlichen Teilen von Wagners Hass und Paranoia besteht. Ursprünglich sollte es bei Wagner eine Parodie auf den seinerzeit größten Musikkritiker Eduard Hanslick sein. Wagner dachte, Hanslick sei ein Jude. Aber „Die Meistersinger“ spielen im 16. Jahrhundert in Nürnberg. Ein Jude hätte damals nie die gesellschaftliche Position eines Beckmessers einnehmen können.
Dann hatte Wagner eher ein Problem mit dem einflussreichen Wiener Kritiker?
Es geht schon tiefer. Wagner ist eine vielschichtige Figur. Sein Problem waren nicht die osteuropäischen orthodoxen Juden. Zu denen hatte er keine Verbindung. Seine Angst, seine Wut, sein Hass richtete sich gegen assimilierte Juden. Denn sie tragen die gleiche Kleidung und sie sprechen die gleiche Sprache. Mime ist der osteuropäische Schtetl-Jude. Beckmesser offenbart Wagners Angst vor assimilierten Juden. Beckmessers Koloraturen sind für mich keine jüdische Parodie. Es ist eine Parodie auf italienische Koloraturen. Aber der Charakter von Beckmesser beinhaltet sämtliche antisemitischen Klischees seit dem Mittelalter, die Wagner und sein Publikum kannten: Gier, ein diebischer Charakter, die Unfähigkeit, zu lieben und gute Kunst zu verstehen, und die Besessenheit von Regeln. Es ist kein Zufall, dass Beckmesser, diese jüdische Frankenstein-Kreatur, aus dem deutschen Paradies vertrieben wird.
In Wagners Umfeld gab es einige jüdische Künstler. Der wichtigste war wohl der aus Gießen stammende Dirigent Hermann Levi, der sogar 1882 die Uraufführung des „Parsifal“ in Bayreuth leitete. Wie erklärt sich das?
Hermann Levi war eine brillante, aber tragische Figur. Er ist von Wagner immer wieder erniedrigt worden. Wie wir aus Levis Briefen wissen, war er eine zerrissene Figur, mit zwei Vaterfiguren: Der leibliche Vater war hessischer Landesrabbiner, der künstlerische Richard Wagner.
Die Taufe, zu der ihn Wagner drängte, hatte Levi aber abgelehnt.
Hermann Levi hat immer wieder darüber nachgedacht, ob er sich taufen lassen sollte. Viele, denken wir nur an Gustav Mahler, haben es getan, um die Jobs und damit die gesellschaftliche Anerkennung zu bekommen.
Zu den des Antisemitismus verdächtigten Opernfiguren gehören auch die verführerische Kundry, die einst unter dem Kreuz Jesu lachte und deswegen zum ewigen Leben verdammt ist, und der ebenso unsterblich über die Meere getriebene Holländer?
Aber das ist für mich etwas anderes, weil die Ahasver-Legende des ewigen Juden eine rein antisemitische Geschichte aus dem Mittelalter ist. „Der Fliegende Holländer“ hat keinen Tropfen jüdischen Blutes oder Antisemitismus in sich.
Wo steckt es denn noch drin?
Wir denken das falsch herum. Es geht bei Wagner eigentlich nicht um den Antisemitismus, sondern darum, was typisch deutsch ist. Wagner hatte keine Idee von der jüdischen Welt. Er war besessen von Fragen wie: Was ist deutsch, was ist rein, was ist erlaubt in der Gesellschaft und wer gehört nicht zu unserer Kultur? Aber im Gegensatz zu anderen Künstlern seiner Zeit hatte er ein persönliches Pro-blem mit dem Judentum. Ich glaube, Wagner hatte große Angst davor, selbst jüdisches Blut zu haben. Es gab immer das Gerücht, dass er väterlicherseits jüdischer Abstammung sei. Vielleicht war das der Motor für seinen Judenhass.
Antisemitismus wurde in den Salons des 19. Jahrhunderts gepflegt.
Es wird immer gesagt, dass im 19. Jahrhundert alle Antisemiten waren. Das Gegenteil war der Fall. Wagners Gönner, der bayerische König Ludwig II., hat ihm sogar geschrieben, dass hier alle Brüder seien. Wagner hat furchtbare Sachen über Juden geschrieben. Für mich als jüdischen Künstler ist er ein Monster, aber er war kein Mörder. Und er ist einer der größten Künstler aller Zeiten.
Aber die rassistischen Konnotationen waren dem Publikum damals doch klar?
Ich denke, dass viele Zuschauer im 19. Jahrhundert nicht zu allererst daran dachten, dass Alberich und Mime Juden sind. Das war auch nicht der Zweck. Das Ganze ist eher vergleichbar mit einer Hundepfeife, wo der hohe Ton außerhalb des menschlichen Gehörs liegt. Nur Hunde können ihn hören. Man sieht das Phänomen in der heutigen Politik manchmal, etwa in Äußerungen der AfD. Dann heißt es: Ich bin kein Rechtsextremer, es ist nicht rassistisch, was ich sage. Aber wer es hören will, kann es aus den Statements heraushören. Wagner hat da ganz ähnlich agiert.
Der heutige Opernbesucher in Deutschland kann es nicht mehr spüren?
Das Problem ist, dass heute das ganze Thema Antisemitismus über das Thema des Dritten Reichs abgehandelt werden muss. Dann geht es um Gestapo, Konzentrationslager und Massenmord. Aber Wagner war dafür nicht verantwortlich. Seine Musik wurde nachträglich missbraucht. Antisemitismus ist keine Entdeckung der Nazis, er reicht in Europa bis ins 16. Jahrhundert und weiter zurück. Denken wir nur an die „Judenschriften“ von Luther, der insgesamt 65.000 Worte über dieses Thema verfasst hat. Wagner hat im 19. Jahrhundert versucht, die deutsche Identität zu definieren. Wer oder was ist deutsch? Wer gehört nach Deutschland? Was ist Deutschland? Die Themen der „Meistersinger“ hatten eine große Bedeutung im 19. Jahrhundert, dann wieder im 20. Jahrhundert. Und wenn wir die aktuellen Diskussionen darüber erleben, wer nach Deutschland gehört und was deutsche Identität ist, dann ist das noch nicht zu Ende.
Wer in Bayreuth inszeniert, muss sich auch mit der Familiengeschichte der Wagners befassen. Etwa mit Richard Wagners Schwiegertochter Winifred, die Hitler das Schreibmaschinenpapier ins Gefängnis nach Landsberg brachte, damit er seine Hetzschrift „Mein Kampf“ schreiben konnte.
Es ist unmöglich, „Die Meistersinger“ in Bayreuth zu inszenieren und diese Themen zu ignorieren. Das hat nicht nur mit der Familie Wagner zu tun, sondern auch damit, dass Bayreuth eine Stunde von Nürnberg entfernt ist. Man muss sich damit auseinandersetzen, was in Nürnberg im 20. Jahrhundert passiert ist. Aber die Herausforderung besteht darin, dass das Stück als Komödie beginnt.
Sie trimmen „Die Meistersinger“ auf Leichtigkeit?
Ja. Bis zu einem gewissen Punkt. Auch Philippe Jordan favorisiert als Dirigent den leichten, transparenten und keinesfalls den pompösen Klang.
Wie liefen die Absprachen mit der Festspielleiterin Katharina Wagner?
Im Moment kann ich nur lobende Worte über Katharina Wagner und ihr Team sagen. Alles läuft professionell. Sie hat mir eine fantastische Besetzung gegeben. Ich habe zusätzliche Probenzeit bekommen. Und das Bühnenbild lag eigentlich über dem Budget. Sie hat zusätzliche Gelder zur Verfügung gestellt.
Es ist vertraglich geregelt, dass Sie vor der Premiere nichts über die Inszenierung sagen?
Ja, ich kann über ein paar Themen schweben, aber ich darf keine Details verraten. Aber das möchte ich vor keiner meiner Premieren tun. Die Familie Wagner ist seit Richard und Cosima eine unendliche Geschichte. Ich frage mich manchmal, warum kein deutscher Fernsehproduzent eine Soap-Opera über die Wagner-Familie macht. Das wäre so fantastisch wie „Dallas“ oder „Denver Clan“. Ganz Deutschland würde sich das anschauen.
Für Wagner-Fans ist Bayreuth ein heiliger Ort. Sind Sie auf Buhstürme eingestellt?
Ich mache mir vorab nie große Gedanken über mögliche Reaktionen. Das ist keine Inspiration für mich. Ich gehe auch nicht nach Bayreuth, um eine billige Provokation zu machen. Ich opfere nicht drei Jahre meines künstlerischen Lebens, um das Publikum in Bayreuth zu schockieren. Aber ich denke, ein Teil des Publikums wird mit einigen Elementen meiner Inszenierung Probleme haben.
Wie haben Sie die Bayreuther Festspiele bislang wahrgenommen?
Immer mit einer großen Skepsis in Hinblick auf das, was Wagner um seine Werke herum inszenierte. Die Holzstühle im Festspielhaus finde ich sadistisch. Aber der Saal hat einen großen Zauber. Ich finde es aber problematisch, wenn die Zuschauer das Theater für einen Tempel halten. Das Festspielhaus ist wie eine deutsche Kaaba. In Mekka laufen die Gläubigen auch immer drum herum. Ich befürchte, dass sich einige sogar durch Wagners Musik gereinigt fühlen. Das finde ich aber lächerlich. Es bleibt ein Musiktheater.
Welche Gefühle haben Sie, wenn Sie durch die Stadt Bayreuth laufen, in der sich Touristen gern auf den Spuren Hitlers bewegen?
Ich werde oft gefragt, was ich in Bayreuth fühle. Aber das ist Vergangenheit, es jagt mir keine Angst ein. Auschwitz ist Horror, Bayreuth ist Comedy.
Warum fühlen Sie sich als Jude nach Bayreuth hingezogen?
Ich bin nicht als Jude dort. Ich bin dort, weil ich als Künstler die Inszenierung eines interessanten Stoffes mache. Ich kenne übrigens viele Deutsche, die Wagner hassen und keine Oper von ihm hören möchten. Wagner ist also kein jüdisches, sondern ein deutsches Problem. Ich fühle mich Hermann Levi verbunden. Einerseits ist man der genialen Musik verfallen, andererseits weiß man nie genau, ob man nicht wie eine Motte in der Flamme verbrennt.
Bayreuther Festspiele vom 25. Juli bis 28. August. Barrie Kosky inszeniert zur Eröffnung „Die Meistersinger von Nürnberg“. Am Pult steht Philippe Jordan. Solisten sind u. a. Michael Volle (Sachs), Johannes Martin Kränzle (Beckmesser), Klaus Florian Vogt (Walther von Stolzing) und Anne Schwanewilms (Eva). Weitere Termine: 31. Juli, 7., 15., 19. und 27. August