Eine verpasste Chance: „Tod eines Handlungsreisenden“ von Bastian Kraft am Deutschen Theater
Wie viel schauspielerisches Talent sich schon in den Dienst dieser Rolle gestellt hat: Der brillante Lee J. Cobb in Elia Kazans Broadway-Inszenierung. Der etwas arg putzige Heinz Rühmann in einer Verfilmung von Gerhard Klingenberg aus dem Jahr 1968. Der rastlose Dustin Hoffman in Volker Schlöndorffs Leinwand-Adaption von 1985. Und jetzt, er schlägt sich ganz ausgezeichnet in dieser Reihe: Ulrich Matthes am Deutschen Theater.
Sie alle haben Willy Loman zum Leben erweckt, den von Arthur Miller 1949 ersonnenen Knecht des amerikanischen Traumes, „eine Ausgeburt von Widersprüchen“, wie Miller selbst schrieb, „ein Clown“. Das war vielleicht etwas herablassend gegenüber einer Figur, die sicher niemanden zum Lachen bringen will. Willy Loman hat keine Spritzblume und stolpert auch nicht über zu große Schuhe, er ist existenziell verzweifelt. Ein Clown ist er wohl nur insofern, als man manchmal auch aus bösartiger Schadenfreude lacht.
Was eine Ideologie anrichten kann
Im ergebenen Glauben an die Behauptung, dass, wer „es“ nur wolle, „es“ auch schaffen könne (und „es“ meint die Freiheit von Schulden, die Anhäufung teurer Gegenstände und das Gefühl des Dazugehörens), hat Loman Jahrzehnte seines Lebens und seine seelische Gesundheit in die Arbeit als Handelsvertreter investiert. Nun steht er vor dem Nichts: Seine Einkünfte zerbröseln, in seinen Söhnen sieht er eine einzige Enttäuschung, seiner Frau will er nur noch den Mund verbieten. Er muss in sich einen Gescheiterten sehen, und das Nichts, das ist in dieser Tragödie der bereits im Titel angekündigte Freitod.
So weit, so bekannt, vielen schon seit Schulzeiten, denn dieses Drama fand seinen Weg auf ungezählte Lehrpläne der alten Bundesrepublik. Loman wurde dabei oft zu Unrecht und viel zu simpel als unschuldiges Opfer des Kapitalismus entschlüsselt, als einer, der ausgetrickst worden ist. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit, denn Loman scheitert nicht nur am Leistungsgedanken, er scheitert genauso erbarmungswürdig an sich selbst: an seiner mangelnden Zugewandtheit gegenüber Menschen, die ihn mögen oder lieben, an seinen falschen Prioritäten, an seiner Einteilung der Welt in unten und oben, an seiner Vorstellung davon, wann man gescheitert ist und wie schlimm das dann eigentlich ist. Und die Frage, wer denn nun die Schuld trägt an dieser charakterlichen Deformation: die ist offen.
Regisseur Bastian Kraft hat erkannt, dass es mit Willy Loman doch ein bisschen komplizierter ist. Die Schauspieler auf der kargen Bühne, angestrahlt von einem großen Scheinwerfer in der ersten Parkettreihe, agieren wie Zwerge im überlebensgroßen Schatten ihrer Wünsche. Manchmal, in Willy Lomans Träumen, wechselt das Lichtspiel fast übergangslos in Animationssequenzen: Wir sehen Silhouetten junger Frauen vorbeispazieren, Fahrradfahrer und Basketballspieler kreuzen die Szenerie, immer schneller werdende Umrisse von Stühlen und Tischen wuchern zu einem bedrohlichen Wald aus viel Schwarz und wenig Weiß.
Da entstehen atmosphärisch packende Momente, die Mitleid wecken mit einem Menschen in der Krise. Einem, an dem die Frage nagt, wo er falsch abgebogen ist in seinem Leben und warum. Der, um im Bild des Autofahrens zu bleiben, viel öfter in den Rückspiegel schaut als durch die Frontscheibe, und der wahrscheinlich so bald einen Unfall bauen wird.
Und noch etwas Weiteres leistet dieser Abend: Er zeigt, dass Arthur Millers Drama nicht nur von den Leiden eines Angestellten erzählt, sondern auch eine Familienaufstellung ist. Die besorgte Mutter Linda (Olivia Grigolli), die in ihrer männlich dominierten Sippe tapfer die Fahne des Zusammenhalts hochhält und dabei unter die Räder kommt. Der vom Vater zu wenig geliebte Sohn Happy (Camill Jammal), der sein Los erträgt und von sich selbst absehen kann, solange keine attraktive Frau in Reichweite ist. Der zu stark geliebte Sohn Biff (Benjamin Lillie), der von den Erwartungen des Vaters in den seelischen Ruin getrieben wird. Und schließlich Willy Loman selbst, von Ulrich Matthes in allen seinen Facetten großartig zum Schillern gebracht: depressiv, stolz, melancholisch und verloren, plötzlich herrisch und von jähen Hoffnungen reanimiert, dann wieder bettelnd und klein. Kein Clown. Sondern ein Mensch, der stirbt.
Und doch wirft diese Inszenierung, so gekonnt sie schauspielerisch auf die Bühne kommt und so stimmungsvolle Bilder sie auch findet, mit fortschreitender Zeit auch die Frage auf, ob sich eigentlich nichts verändert hat in den letzten beinahe siebzig Jahren, seitdem das Stück zum ersten Mal Premiere feierte. Ob die Regie nicht doch Funken schlagen müsste aus der vom aktuellen US-Präsidenten immer wieder kommunizierten, bizarren Schwundstufe eines ohnehin fragwürdigen Ideals, das die Welt nach Gewinnern und Verlierern sortiert. Was damit gewonnen ist, ein Plädoyer gegen einen Sozialdarwinismus in die Vitrine zu stellen, der sich uns doch heute viel schneller, unberechenbarer und gefährlicher darstellt, als Arthur Miller jemals ahnen konnte. So bleiben diese anderthalb Stunden nur eine Hommage an einen altbekannten Meilenstein der Theatergeschichte. Beunruhigend sind sie leider nicht.
Deutsches Theater, Schumannstr. 13a., Mitte. Termine: 23. und 30.3.; 8. und 16.4. Karten: 28441-225