Die US-Fotokünstlerin Cindy Sherman hat sich mal wieder selbst inszeniert – diesmal als gealterte Filmgöttin. Zu sehen bei Sprüth Magers.
In wie viele Rollen sie in den Jahren geschlüpft ist, weiss sie vermutlich selbst nicht so genau. Gefühlt sind es Hunderte. Businessfrau, Botox-Lady, Clown, Madonna, Hausfrau, Hure – ihr Repertoire umfasst im Grunde alle gesellschaftlichen Milieus. Nur keine Männer, vielleicht weil die Perücken so dumm aussehen. So hat sie es jedenfalls mal erzählt.
Ihr Atelier muss aussehen wie ein Kostümverleih, dazu Berge von Schminke und Boxen voller falscher Wimpern, die Perücken leiht sie aus. Auf Trödelmärkten stöbert sie nach den Requisiten, aus Katalogen bestellt sie Prothesen und Puppen. Gern würde man wissen, wie sie, Cindy Sherman, aussieht, aber sie macht sich in der Öffentlichkeit recht rar, das gehört zum Geheimnis der Fotokünstlerin, die mit der ewigen Verwandlung spielt. Erkennen würden sie wohl die wenigsten auf der Straße. Gut möglich, dass ihre Verkleidungen eine Form des Schutzes bieten. Andy Warhol hat über sie einmal gesagt, sie habe „das Zeug zu einer richtigen Schauspielerin“, wie Sherman der „Zeit“ in einem Interview erzählte. Doch genau das wollte sie nie: „Ich bin zu schüchtern dafür.“
Die jüngste Serie ist erstmals in Europa zu sehen
Nun ist sie wieder in Berlin zu sehen, diesmal in der Galerie Sprüth Magers in Mitte. Vor zwei Jahren, zum Gallery Weekend, gab Privatsammler Thomas Olbricht im me Collectors Room einen musealen Überblick über ihr Werk, er kennt die Künstlerin schon länger. Er gilt als einer der großen Sherman-Sammler in Europa.
Bei Sprüth Magers in Mitte folgt nun ein fulminanter Auftritt mit ihrer neuesten Serie. 20 monumentale Bilder umfasst diese – erstmals sind sie in Europa zu sehen. 20 Filmgöttinnen in verschiedenen Posen, in unterschiedlichen Settings – in Anlehnung an alte Filmstile, und damit eine Rückkehr zu ihren frühen Arbeiten. In der großen Halle haben die Damen einen Auftritt wie auf dem roten Teppich. Es schillert und funkelt, eine mondäne Welt mit Pailletten, Diademen, Pelzen und fliegenden weißen Federn. Vermutlich wird man dieses Lady-Tableau nicht mehr in dieser Geschlossenheit zu sehen bekommen. Wenn die Fotografien erst einmal verkauft sind, werden sie in aller Welt verteilt sein.
Fünf Jahre gab es nichts Neues von Cindy Sherman zu sehen, so sehr war sie beschäftigt mit Projekten wie der Vorbereitung der Retrospektive samt Katalog für das Museum of Modern Art (MoMA) in New York. Für Sammler mit kleinem Portemonnaie eignen sich ihre Fotos weniger, die Preise hier in der Berliner Galerie sind eine Ansage, sie liegen zwischen 325.000 und 450.000 Dollar. Vor einigen Jahren wurde auf der Art Basel eine ihrer frühen Arbeiten für 1,5 Millionen Dollar angeboten. Was für ein Preissprung – als sie vor Jahrzehnten anfing mit ihren inszenierten Porträts, kosteten sie keine 100 Dollar.
Damals galt Fotografie noch nicht als autonome Kunstform. Sherman kellnerte oder jobbte in Galerien, um sich finanziell über Wasser zu halten. Heute zählt sie zu den wichtigsten Künstlerinnnen weltweit, im vergangenen Jahr wurde sie mit dem Praemium Imperiale, dem Nobelpreis der Künste, geehrt. Ihre Fotos befinden sich in den Sammlungen internationaler Museen.
Die Fotos sind gerahmt, ohne Glas mit neuer Technik
Auch in ihrer jüngsten Serie bleibt sich Sherman treu, neu ist allerdings die Technik. Die Fotos sind gerahmt, doch ohne Glas, im sogenannten Thermosublimationsdruckverfahren entstanden. Ein Begriff, den man sich nicht unbedingt merken muss, nur so viel, dass die Farbe mit Hitze direkt auf das Metall – als Bildträger – aufgebracht wird. Hört sich kompliziert an, dafür ist der Effekt um so größer. Shermans „Schauspielerinnen“ wirken unmittelbarer, authentischer, treten scheinbar dreidimensional aus dem Bild heraus.
Die Schärfe dieser Fotografien ist frappierend, jedes einzelne Haar des Wimpernkranzes kann man zählen, ebenso wie die Falten am Hals und die Altersflecken an den Händen. Die Hände sind es, die die Damen in ihrer morbiden Schönheit entlarven: Sie sind in die Jahre gekommen, die Hände verraten ihr wahres Alter. Wenn sie könnten, hätten sie viel zu erzählen.
Da ist „Untitled # 571“ im auffallend rot-weiß gestreiften Kleid, hingegossen auf der Chaiselongue mit Turban auf dem Kopf. Die Wimpern sind verlängert, die Augenbrauen nachgezeichnet, ein Tick zu stark und zu dünn, das entspricht nicht mehr der Mode. Halt, da sehen wir Falten um den Mund, selbst das fette Make-Up kann das nicht vollkommen verbergen. Die Posen der alternden Diven entstammen teilweise einer vergangenen Filmwelt, im Heute sind sie nicht angekommen. Ausgemustert. Das Merkwürdige an diesen Fotos ist, das sie den Betrachter nah heranlocken, wenn man dicht davorsteht, weicht man zurück vor dieser Intensität. Weil uns gruselt, ob dieser Vergänglichkeit des Lebens.
Hinter der Illusion des Schönen lauert unerbittlich der Abgrund. Egal ob italienische Landschaft, florale Motive oder Schnee – die Szenerien, die die 63-Jährige für ihre Ladys wählt, wurden von ihr unterschiedlich stark digital bearbeitet, sie wirken zuweilen wie abstrakte Malerei. Als Vorlagen gelten Fotos, die die Amerikanerin im Urlaub geschossen hat. Der Bogen, den Sherman hier zur gnadenlosen Schönheitsmaschinerie im Hollywood der Gegenwart schlägt, ist gut nachvollziehbar.
Sprüth Magers, Oranienburger Str. 18. Di.–Sbd. 11–18 Uhr. Bis 8. April.