Kultur

Jon Bon Jovi: „Ich bin der Exot der Familie“

| Lesedauer: 8 Minuten
Steffen Rüth
Jon Bon Jovi in Macao, China

Jon Bon Jovi in Macao, China

Foto: dpa Picture-Alliance / Stringer / picture alliance / dpa

Jon Bon Jovi über sein neues Album „This House Is Not For Sale“, den skurrilen Abgang seines Gitarristen und sein unmusikalisches Umfeld.

Für Jon Bon Jovi war 2014 das Jahr zum In-die-Tonne-Kloppen. Erst verließ Gitarrist Richie Sambora die Band wortlos und mitten während der Welttournee, dann verlängerte das langjährige Label den Plattenvertrag nicht, und auch Jons Bemühen, den New Yorker American-Football-Club Buffalo Bills zu kaufen, blieb ohne Erfolg. Trotz oder wohl eher gerade wegen der widrigen Umstände ist „This House Is Not For Sale“ ein positives, bisweilen gar euphorisch klingendes Album geworden. „Knockout“ erinnert gar ein wenig an den allerersten Bon-Jovi-Hit „Runaway“ – 1983 war das, eine Weltkarriere als Stadionrockband folgte wenig später mit Songs wie „Livin’ On A Prayer“ –, auch „Born Again Tomorrow“ oder „New Years Day“ stecken voller Energie, Trotz und Aufbruchsstimmung.

Mister Jovi, welche Erinnerungen haben Sie an das Jahr 2014?

Jon Bon Jovi: Oh Mann. Was war das für ein Tumult. Das waren wirklich drei Schläge in die Fresse hintereinander. Nach dem Ende der Tournee habe ich 2014 überhaupt keine Musik mehr gemacht. Ich konnte nicht, ich wollte nicht. Ich brauchte Abstand, um die ganzen Traumata zu verarbeiten. Mir wäre aber auch nichts eingefallen, wenn ich mich gequält hätte.

Manche Songschreiber therapieren sich mit Arbeit. Sie nicht?

Nein, dabei wäre nur Schrott entstanden. Ich steckte einfach zu tief unten. Ich hasse mich, wenn ich selbstmitleidig bin, und ich hasse die Songs, die unter dem Einfluss von Selbstmitleid entstehen. Jeden Morgen kam ich auf dem Weg vom Schlafzimmer in die Küche an meiner Gitarre vorbei und dachte nur: „Leck mich“. Ich konnte nicht schreiben, und ich wollte auch nicht.

Waren Sie auch während des harten Jahres sicher, dass Sie weitermachen wollten? Oder stand die Band Bon Jovi als solche zur Disposition?

Nicht direkt, aber natürlich macht man sich in so einer Situation allerhand Gedanken, auch sehr unangenehme. Ich hatte jedoch keine Angst, dass meine Fähigkeiten als Songschreiber verloren gegangen wären. Du lernst mit den Jahren, dass die Lust, Musik zu erschaffen, immer wieder zurückkommt.

Wie war das mit Richie Samboras Ausstieg genau?

Die Wahrheit ist schrecklich banal. Es war der Abend der 21. Show unserer Tournee, und er kam einfach nicht. Es gab keinen Streit, es ging nicht ums Geld, das Album „What About Now“ war gerade auf Platz Eins eingestiegen, die Tour war ausverkauft. Niemand von uns aus der Band hat Richie seitdem gesehen.

Ernsthaft?

Ich schwöre auf einem Stapel Bibeln. Wir haben seit dreieinhalb Jahren nicht telefoniert, nicht gemailt, gar nichts. Tico Torres und Dave Bryan hatten auch keinen Kontakt.

Auf Twitter hat Sambora gerade schrieben, dass ihm die neue Single gefällt, und in einem Interview sagte er, eine Rückkehr zu Bon Jovi würde er nicht ausschließen.

Ich habe das auch gelesen. Keine Ahnung, wie soll ich das kommentieren?

Hat Richies Ausstieg das Bandgefüge verändert?

Wir sind näher zusammengerückt. Was wir aber erst im Nachhinein gemerkt hatten. Auf der Tour mussten wir einfach funktionieren, zum Glück war gleich Phil X zur Stelle, der schon mal für Richie eingesprungen war und weiterhin dabei sein wird.

Sie sind ein positiv denkender Mensch.

Schon, aber das war weg. Es gab nichts mehr, weswegen ich optimistisch und positiv hätte gestimmt sein können.

Ist das neue Album jetzt die Wiedergeburt der Band Bon Jovi?

Das Wort ist „Integrität“. Diese Band ist mein Leben. Das lasse ich mir nicht wegnehmen. Wenn es so richtig beschissen läuft, macht mich das nicht nur traurig, sondern eben auch trotzig. Dieser Trotz war immer schon ein Teil der DNA von Bon Jovi, nur scheint diese Farbe diesmal noch viel stärker durch als sonst. Die Songs sind nicht euphorisch, aber sie sind ernst, aufrichtig und ehrlich.

Ist „Knockout“ eine Art Fortsetzung von „The Fighter“ vom letzten Album?

Nein, die Songs sind total unterschiedlich. „Knockout“ ist ein forscher Song, während „The Fighter” das introvertierteste Stück ist, das ich in meinem Leben geschrieben habe. Das war ein Song für meine Kids. Die sollten endlich verstehen, was ich beruflich tue, und wie wichtig mir das ist. Jake ist 14 und Romeo 12, ich denke, mittlerweile haben die das auch kapiert.

Sind Sie froh, dass Sie Ihre Arbeit zu Hause nicht mehr erklären müssen?

Ja. Wobei es lustig ist zu sehen, wie sie langsam alles begreifen. Bei mir im Büro steht dieses Stück der Berliner Mauer hinter Plexiglas, Jake hat das vor Jahren in Berlin abgeschlagen. Damals war es für ihn nur ein Spaß, aber jetzt haben sie die Berliner Mauer in der Schule gehabt. Das war für ihn eine Erkenntnis wie die Mondlandung (lacht).

Sie sind seit letztem Jahr Ehrendoktor der Rutgers University in New Jersey, das Stück „Reunion“ ist eine Bearbeitung der Rede, die Sie am College gehalten haben. Was geben Sie den jungen Menschen mit auf den Weg?

Dass sie Sachen ausprobieren und keine Angst haben sollen, auch mal auf die Schnauze zu fallen. Ehrendoktor zu sein, das ist schon witzig. Ich war früher an keiner Uni, und jetzt bin ich quasi der Professor.

Ihre Tochter Stephanie ist 23, Ihr Sohn Jesse 21. Will keiner Rockstar werden?

Wohl nicht. Finde ich absolut okay. Steph macht jetzt ihren Abschluss an der Filmhochschule, und Jesse ist auch schon im Dezember fertig mit dem College. Meine Eltern haben sich auch nie für Musik interessiert, meine Brüder auch nicht. Ich bin mit meiner Berufung und meiner Leidenschaft komplett aus der Art geschlagen. Ich bin der Exot der Familie.

2012 wollten Sie den New York Marathon mitlaufen, dann kam Hurricane Sandy und der Marathon musste abgesagt werden. Wie steht es aktuell mit Ihren Plänen?

Schlecht. Sehr schlecht. Ich habe keinen Trainingspartner mehr gefunden, und alleine kriege ich das nicht hin, dazu mag ich das Sofa zu sehr. Ich wäre gern mal den Marathon gelaufen, aber das wird nichts mehr. Die Vorbereitung wäre zu intensiv, zu heftig.

In Form sind Sie aber trotzdem?

Ja, schon. Ich gebe mir Mühe, gerade, wenn ein Album rauskommt und wir wieder auf Tour gehen. Die Kraft und die Ausdauer kommen allmählich zurück, aber es wird mit dem Alter nicht einfacher. Außer, du bist Paul McCartney. Der ist 74.

Neuerdings sind Ihre Haare auch etwas grau. Lassen Sie das drin?

Ja, ich lasse das grau werden. Ich färbe mein Haar nicht. Was soll es bringen? Ich will in Würde alt werden. Und nicht mit 70 noch so tun. als sei ich 35. Ich bin allerdings glücklich, dass ich die Haare noch habe.

„I set each stone and I hammered each nail“, singen Sie in „This House Is Not For Sale”. Könnten Sie das wirklich, ein Haus bauen?

Sowas von überhaupt gar nicht (lacht laut). Ich bin einer, der die Lampe wegwirft, wenn die Glühbirne kaputt ist. Bei handwerklichen Arbeiten will mich keiner in der Nähe haben.