Kultur

Ein smarter Anfang

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Gabriela Walde

Krist Gruijthuijsen, Chef der Kunst-Werke, will vor allem ein „guter Gastgeber“ sein

Die Sonne glüht, riesengroß. Vor der Installation von Katharina Sieverding möchte sich Krist Gruijthuijsen nicht fotografieren lassen. Ist schon klar, die Ausstellung hat Ellen Blumenstein kuratiert, seine Vorgängerin. Krist Gruijt­huijsen ist ab Juli der neue Herr in den KW Institute for Contemporary Art an der Auguststraße. Als künstlerischer Leiter bekommt er Machtzuwachs und vom Senat noch ein schönes zusätzliches Startpolster dazu. Blumenstein war nur Chefkuratorin. Die Berufung von Gruijthuijsen markiert also einen strukturellen Umbau der Institution.

Das erste, was man von ihm sieht, sind seine braunen Kräusellocken, sie fallen eigentlich jedem auf, der ihn trifft. Dazu die hellen Augen, ganz klar ein Sympathieträger. Seine Hand schießt hervor. „Krist“, sagt er, wohl um zu vermeiden, dass die Zunge des Gastes an seinem Nachnahmen kollabiert. Krist Gruijthuijsen, 35 Jahre, hat für das Kunsthaus eine Art „carte blanche“.

Der Holländer soll dem Haus frischen Schwung geben, die Institution neu aufstellen, in seinem Fall heißt das: verjüngen und internationaler ausrichten. Als er darüber spricht, wechselt der Holländer doch lieber vom Deutschen ins Englische. Es soll schließlich alles korrekt sein, wenn es um die Kunst geht.

Der Berliner Kulturverwaltung ist diese Neuausrichtung eine Finanzspritze wert: 250.000 Euro stehen dem jungen Kunstmann in diesem Jahr mehr zu Verfügung, 2017 sind es sogar 500.000 Euro. Eine Verdopplung des Etats. Drittmittel wird er weiterhin einwerben müssen.

Noch fühlt sich der Mittdreißiger als „Beobachter“, einmal im Monat schaut er in Berlin vorbei, die nächsten Monate leitet er ja noch den Grazer Kunstverein. Berlin kennt er aus den 90er-Jahren, als es mit der Kunst hier so verrückt losging, die Auguststraße zur „Kunstmeile“ wurde. Nach seinem Kunststudium, erzählt er, sei die halbe Klasse nach Berlin gezogen, weil unglaublich viel los war. Eine Stadt, die sich komplett neu erfand, wie heute eigentlich immer noch ein Stück weit. So war er öfter zu Besuch, gelebt aber hat er hier nie.

Kooperationen zwischen Berlin und New York kommen gut an

Als bekannt wurde, dass Gruijthuijsen in Berlin in den KW antritt, gab es jede Menge Vorschusslorbeeren. Allen voran Klaus Biesenbach, der den neuen Mann mit einem Post samt Bild von sich und Krist quasi in der großen weiten Kunstwelt adelte. Ein schöner Schulterschluss, schließlich war es Biesenbach, der die einst ruinöse Margarinefabrik in den 90er-Jahren zu dem machte, was sie ist: ein lebendiges Kunsthaus, das sich der zeitgenössischen Kunst und ihren Diskursen verschrieben hat. Er selbst hat den Sprung ins Museum of Modern Art (MoMA) in New York geschafft, schaut oft und gerne hinüber nach Berlin, was sich hier so tut in der Szene. Kooperationen zwischen Berlin und New York kommen gut. Mit dem gebürtigen Holländer, so scheint es, sind die Benelux-Staaten weiterhin im Vormarsch in Berlin. Neben Gruijthuijsen verantwortet Paul Spies neuerdings das Stadtmuseum, zugleich hat er den nicht ganz leichten Job des Chefkurators im Humboldt-Forum. Und dann Chris Dercon, der Belgier soll die Castorf-Patina von der Volksbühne abkratzen. Die drei ähneln sich, Typ smarter Kulturmanager, international ausgerichtet, bestens vernetzt, offen, kommunikativ und dabei locker unterwegs. Die Auswahl für den Posten lief ungewöhnlich: Der KW-Vorstand, darunter Großkünstler Olafur Elliasson, schrieb verschiedenste Kuratoren, Künstler und Museumschefs an, bat um Vorschläge für den neuen Mann in Berlin. 20 Empfehlungen gab es, am Ende lief es auf den jungen Holländer hinaus. Was ihn von Anfang an für Berlin eingenommen hat, ist dieser „Appetit“, dieser „Appetit“ der Künstler und Künstlerinnen, dieser „Appetit“ nach Ausstellungen. Dreimal sagt er das.

Gruijthuijsen wird nicht nur das Programm entwickeln, sondern selbst kuratieren. Die Liste seiner Publikationen und Ausstellungen ist verblüffend lang: New York, Rio de Janeiro, Maas­tricht, Amsterdam und ja, Lüneburg in Niedersachsen, wie niedlich liest sich das auf dieser globalen Landkarte. Ziel der Neuaufstellung sei, erzählt er, die Entknüpfung der Kunst-Werke von der Berlin Biennale, die in den KW seit ihrer Gründung 1998 ihr Domizil hat. Bislang leitete Gabriele Horn beide Institutionen, irgendwann war nicht mehr sichtbar, wo die Berlin Biennale anfing, wo sie aufhörte und wo die Kunst-Werke mit ihren Ausstellungen standen. Nun wird beides getrennt, damit die Kunst-Werke als Solitär mit dem Holländer ein junges, markantes Gesicht bekommen. Von Vorteil ist, dass er bereits mit Leitungserfahrungen punkten kann. Den Kunstverein Amsterdam hat er mitgegründet, den Grazer Kunstverein führt er noch bis Ende Juni. Zudem unterrichtet er im Sandberg Institute in Amsterdam, ist also ständig in Kontakt mit jungen Künstlern.

Die Pogo-Bar im Keller wird vielleicht wieder aufgemacht

„Kunst geht nicht ohne Vermittlung“, sagt er, „die Teilhabe ist wichtig“. Er versteht die Kunst-Werke als ein offenes Haus – mit einem Angebot an die ganze Stadt, an verschiedene Besuchermilieus. Die Leute sollen sich Zuhause fühlen, wie in einem Wohnzimmer, kommen und gehen, immer wiederkommen. Der Holländer möchte ein „guter Gastgeber“ sein. Er wird wohl einiges ändern am Haus, die Höfe stärker fürs Publikum öffnen, früher war da ein Garten, vielleicht macht er den wieder auf. Das Archiv zur Geschichte der Institution möchten er aufarbeiten lassen. Damit ein junges Publikum sehen kann, wie wichtig die 90er-Jahre waren. Viele kennen diese Vergangenheit gar nicht. Ach ja, die Pogo-Bar im Keller, die möchte er vielleicht wieder aufmachen. Performance, Drinks, Klamotten – warum nicht ein sich nächtlich wandelndes Gesamtkunstwerk in der Auguststraße?

Auf jeden Fall will Krist Gruijthuijsen mit einzelnen Projekten, etwa temporäre Shops, hinaus in die Stadt und hinein in den Kiez. Nicht jede Kunst braucht den strengen White Cube. Die Kunst-Werke, sagt er, „sollen in der Stadt sichtbar und aktiv“ werden wie Satelliten. Ansonsten denkt er an eine schnelle Taktung von Einzelausstellungen. Wie eine Matroschka, die Puppe in der Puppe, stellt er sich das vor, aus einer Ausstellung entwickelt sich die nächste, schnell, zeitversetzt und auf verschiedenen Stockwerken der KW. Pro Jahr acht, neun Ausstellungen, das wäre gut.

Künstlernamen will er noch nicht nennen, upcoming artists, noch unbekannte, junge Künstler, klar, auch große Namen – auf die Mischung kommt es halt an. „Kunst kommt nicht von Alter“, sagt er. Und ja, die Berliner hätten es wohl fast vergessen, die Kunst-Werke feiern in diesem Jahr ihren 25. Geburtstag. Für Berlin ist dieses Jahr die Geburtsstunde als boomende Kunststadt, die ohne die alte Margarinefabrik an der Auguststraße nicht zu denken ist. Auf einen Drink in der Pogo-Bar!