Kultur

Bis eine Mutter zum Schwert greift

| Lesedauer: 3 Minuten
Elisabeth von Hof

Manfred Karge zeigt Brechts „Die Gewehre der Frau Carrar“ am Berliner Ensemble als Lehrstück

Mitten im spanischen Bürgerkrieg zählt für Frau Carrar nur: Kopf einziehen, Mund halten. Lieber beten, als sich am Kampf gegen die faschistischen Generäle um Franco zu beteiligen. „Dem, der nicht kämpft, wird auch nichts geschehen!“, sagt sie gepresst. Als Zuschauer des Bertolt-Brecht-Stücks „Die Gewehre der Frau Carrar“, das auf der Probebühne des Berliner Ensembles Premiere hatte, ahnt man schon zu Beginn: Frau Carrar wird ihre Meinung ändern, so einfach ist es nicht im Krieg. Und man behält recht.

Leiser Kanonendonner holt den fernen Krieg auf die Bühne, in Frau Carrars spartanische Hütte. Die ist auf die wichtigsten Gegenstände reduziert: zwei Stühle, eine Bank, ein Kreuz an der Wand. Die Bühne ist hell erleuchtet, kein Part bleibt im Dunkeln. Daher ist jede Mimik genau nachzuvollziehen. Der Zuschauer kann die Figuren regelrecht studieren, die Frau Carrar da nach und nach mit ihrer pazifistischen Haltung zum Krieg konfrontieren. Da kommt der Dorfpfarrer, der verzweifelt an die Menschlichkeit von General Franco appelliert, die Nachbarin, deren Tochter an der Front fiel, der Verwundete, dessen Leben nur noch an Frau Carrars Verbänden hängt. Immer wieder kommt eine neue Facette des Lebens im Krieg ans Licht. Trotz dieser Dramatik bleiben die Figuren nur Typen, sie wirken wenig menschlich.

Auch Frau Carrar, grandios gespielt von Ursula Höpfner-Tabori, bleibt stur. „Wer zum Schwert greift, wird durch ein Schwert umkommen“, solche und ähnliche Phrasen sagt sie immer wieder mit schmalen Lippen, während das grelle Bühnenlicht ihre Wangen aushöhlt. Höpfner-Tabori artikuliert – wie alle Schauspieler dieser Inszenierung – jeden Satz so überbetont, dass eine Distanz zur Rolle entsteht. Man weiß die ganze Zeit, dass man nicht in Frau Carrars Hütte, sondern im Theater sitzt. Dass die Handlung nicht „echt“ ist, dass hier eben nur geschauspielert wird. Immer wenn es besonders spannend wird, unterbricht ein Chor die Handlung mit Ernst-Busch-Liedern. Manchmal sogar mit Kastagnetten, manchmal mit lauten Trommeln. Das wirkt fast zu parodistisch.

Regisseur Manfred Karge, der schon diverse Brecht-Stücke auf der Bühne arrangierte, inszeniert hier also ein echtes Lehrstück des Brechtschen epischen Theaters, lässt sich bilanzieren. Verfremdungseffekte, die keine Identifikation mit den Protagonisten ermöglichen, Beleuchtung, Bühnenaufbau, hölzerne Dialoge – alles passt. Karge hat genau umgesetzt, wie Brecht sein Theater gedacht hat: Den Zuschauer zum Denken statt zum Fühlen animieren. In diesem Fall geht es gut auf. Da verzeiht man Karge, dass er die Gelegenheit, ein Stück wie dieses aktuell umzusetzen, nicht wahrnimmt.

Es ist den Schauspielern – neben Höpfner-Tabori auch dem kraftvollen Roman Kaminski als Frau Carrars Bruder – geschuldet, dass die Spielart das Stück bereichert. Statt im spanischen Bürgerkrieg stecken zu bleiben, wird die Handlung so aus ihrem Kontext gehoben. Frau Carrars Dilemma im Krieg wird zeitlos. Auch wenn es optisch in den späten 30er-Jahren bleibt, ist die Motivik durch aktuelle Ereignisse omnipräsent: einmischen oder wegducken? Letzteres funktioniert nie, macht das Stück unmissverständlich klar. Denn als ihr ältester Sohn von Francos Truppen beim Fischen erschossen wird, bricht Frau Carrar in stillen Weinkrämpfen auf der Bühne zusammen und steht wieder auf als eine Andere. Sie will ihren toten Sohn rächen, und sich nicht mehr wegducken.

Berliner Ensemble – Probebühne, Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte. Tel.:28408155. Nächste Termine: 1., 16., 20., 25.12.