Falk Richters „Fear“ bringt hoch aktuelles Polittheater in die Schaubühne

Leicht deplatziert wirkt Falk Richter, wie er zum Schlussapplaus auf der Bühne steht, schwarzer Anzug, dunkles Hemd, und sich einreiht zwischen die Performer. Lise Risom Olsen steckt im Blaumann, Tilman Strauß und Kay Bartholomäus Schulze stehen oben ohne da, in verrutschten Paillettenkleidern. Ein Geschlechterbildertausch. Das aber sind bloß Reste des schrillen Schlussteils von Richters neuem Stück „Fear“, das in der Schaubühne Premiere hatte. Eine Horror-Trash-Parodie: Die ultrarechten Damen Brigitte Kelle, Gabriele Kuby, Frauke Petry und Beatrix von Storch treffen sich zum Hexensabbat, bei dem von Storchs Großvater, der frühere Reichsfinanzminister Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk, in Naziuniform erscheint und in sie fährt. Ein böser, alter Geist. Nazis sind bei Richter die Zombies der Geschichte: Ein tot geglaubter, allzu real wieder herumstolpernder Haufen, der die „Rezombisierung des Abendlands“ betreibt.

Den Großteil des Stücks über gibt es weniger Groteskes zu sehen. Eher finstere Blicke in die Abgründe Deutschlands, wie sie zurzeit täglich die Medien füllen. Eine Art szenischer Essay auf karger Bühne, die mal einen Vorlesungssaal, mal einen Gefängnishof assoziieren lässt. Wie immer bei Richter wird so viel Material verarbeitet, dass einem der Kopf rauscht. Sein Diskurspop mutiert bei diesem Thema jedoch, wenn man so will, zu Heavy Metal. Gut so. Ungewohnt direkt wird verhandelt, wie es möglich ist, heute vor Abertausenden Dinge zu äußern, die bis vor Kurzem allein an Neonazi-Stamm­tischen gesabbert wurden. Stimmen, so Richters Teildiagnose, einer abgehängten, enttäuschten Generation, die ihre Ängste auf alles Fremde projiziert.

Für dieses manchmal ein wenig ratlos wirkende Lehrstück verwendet Richter Originaltöne aus Reden rechter Politiker, aber auch Ausschnitte aus Interviews mit Pegida-Demonstranten. Auf Beats gesampelte Tiraden besorgter Bürger bauen eine gefährliche Musik: „Das sind Schmarotzer. / Zum Einbrechen, zum Klauen sind die da. / Schluss mit der Solidarität.“ Der Videokünstler Bjørn Melhus schneidet idyllische Wald- und Gartenbilder dahinter. Und eine junge weibliche Stimme sagt: „Ich bin ein ganz normaler deutscher Bürger, kein Nazi.“ Man kann an diesem Abend Angst bekommen, dass das nur allzu richtig ist. Auch allerjüngste Zitate sind zu hören: die rassistische Rede Akif Pirinçcis zum Jahrestag von Pegida, gerade mal eine Woche alt. Richters Stück, scheint es, wurde von den Ereignissen eingeholt. Mit seinem Willen zum Zeitdiagnostischen klatscht es gegen eine kaum zu bewältigende Flut aus braunem Dreck.

Am brutalsten ist „Fear“, wenn Lise Risom Olsen und Alina Stiegler selbst rechte Hassreden sprechen, sich zu geballter Aggression und Demagogie hochschrauben. Brillant. Und kaum erträglich. Auch für die Performer selbst, die sich – so Richter in einem Interview – während der Proben weigerten, immer nur „diese Nazischrott-Texte“ aufzusagen. Was direkt in die Inszenierung übernommen wird. Ein Glücksgriff. Immer weiter zu rattern in der Dramaturgie, hätte „Fear“ vermutlich ermüdet.

So werden im letzten Drittel Szenen nur noch erzählt, skizziert. Richter begegnet damit dem Problem, in der Kunst der politischen Gegenwart immer einen Schritt hinterher zu hinken. Er bricht das Stück auf, lässt es ausfransen in die Gegenwart des Theaters selbst.

Zur Erleichterung wird am Schluss noch eine Gegenwelt entworfen: neo-hippieskes Urban Gardening mit Wohlfühlen und Gitarren. Eine etwas flach angelegte Utopie von Begegnung jenseits der Schablonen. Vielleicht ist aber genau das Vage daran seine Stärke: dem überlauten Welterklären etwas Unfertiges, Tastendes entgegenzusetzen.

Schaubühne am Lehniner Platz,
Kurfürstendamm 153. Karten: 89 00 23. Nächste Termine: 27., 30., 31.10., 20 Uhr.