Eine neue Ära beginnt mit Christine Hopfengart. Ihr Vorgänger Manfred Reuther war 20 Jahre im Amt als Chef der Nolde-Stiftung. Sie wird andere Wege gehen. Als neue Direktorin hat sie gleich zwei Standorte zu bespielen, das idyllische Stammhaus in Seebüll hoch im Norden, zu dem auch ein wunderbares Gartenparadies gehört, und die Berliner Dependance am Gendarmenmarkt, die sie mit neuem Programm stärken möchte. Hier gibt es zwei bis drei Ausstellungen pro Jahr, 40.000 bis 60.000 Besucher werden durchschnittlich seit Eröffnung im Jahr 2007 registriert. Insgesamt umfasst die Nolde-Sammlung 600 Gemälde des bedeutenden Malerpoeten und rund 4000 seiner Aquarelle. Zudem existiert ein umfangreiches Künstlerarchiv. Ihre Ausbildung absolvierte Christine Hopfengart an der Neuen Nationalgalerie und auch für die Berlinische Galerie hat sie gearbeitet. Morgenpost Online sprach mit der Kunsthistorikerin.
Morgenpost Online: Sie sind angetreten, um in der Nolde-Dependance in Berlin etwas zu verändern. Eine Aufgabe wird es sicher sein, Nolde, den Klassiker, für die Zukunft zu rüsten.
Christine Hopfengart: In Seebüll gibt es ein Liebhaberpublikum, das von weit her reist, nur um Nolde in der selbst geschaffenen Umgebung seines Atelierhauses und seines Gartens zu sehen. In Berlin sind die Voraussetzungen anders. Hier gibt es keinen Originalschauplatz und das Publikum ist an ein reichhaltiges Ausstellungs- und Veranstaltungsangebot gewöhnt. Das heißt, wir müssen unser Profil noch schärfen – im Hinblick auf den Standort und auf ein jüngeres Publikum.
Morgenpost Online: Ist das Berliner Publikum so anders?
Hopfengart: Das Berliner Publikum muss intellektueller angesprochen werden und mir scheint, es genügt nicht, Noldes Werk lediglich in verschiedenen Abschnitten oder Themengruppen zu zeigen.
Morgenpost Online: Was genügt dann?
Hopfengart: Wir müssen hier stärker herausarbeiten, dass Emil Nolde ein komplexer und auch widersprüchlicher Charakter war. In seiner Autobiographie hat er sich gerne als unbeholfenen Bauernsohn dargestellt, der dem Großstadtleben nicht gewachsen war und sich am liebsten in die Einsamkeit seiner Heimat zurückzog. Tatsächlich aber verbrachte er über Jahre den Winter in Berlin und nahm am Kultur- und Gesellschaftsleben regen Anteil. Er ging ins Theater und ins Cabaret und traf sich mit Künstlerkollegen. Es muss eine Art Hassliebe gewesen sein, die ihn mit Berlin verband, und die ihn den klassischen Stadt-Land-Gegensatz äußerst spannungsvoll erleben ließ.
Morgenpost Online: Berlin hat er ja künstlerisch verarbeitet…
Hopfengart: Die Hauptstadtkultur ging auch in sein Werk ein. Dabei hatte er keinen eigenen Berliner Stil. Aber nicht nur in den Caféhaus-Bildern, sondern auch den aparten Physiognomien, die für ihn charakteristisch sind, meint man die Schönheiten der Großstadt wieder zu erkennen. Die neue Forschung beschäftigt sich schon seit einigen Jahren damit, was für eine gewichtige, „andere“ Berlin-Seite Nolde hatte. Daran möchte ich anknüpfen und Nolde im Kontext der Berliner Kultur und im Kontext seiner Künstlerkollegen zeigen.
Morgenpost Online: Kann man Klassische Moderne, so beliebt sie bei den Besuchern auch ist, heute überhaupt noch klassisch präsentieren? Die Sehgewohnheiten speziell beim internetgewöhnten jungen Publikum haben sich stark verändert.
Hopfengart: Tatsächlich kann man heute im Museum nicht nur Bilder an die Wand bringen und für sich selbst sprechen lassen. Ich habe, gerade im Bereich der Klassischen Moderne, gute Erfahrungen gemacht mit Ausstellungen, die Kunsterfahrung und Dokumentation gleichermaßen angeboten haben. Das Publikum hat sich mittlerweile stark verbreitert und schätzt die Annäherung an die Kunst über gut aufbereitete Informationen. Das gilt ganz besonders für ein junges Publikum, das gewohnt ist, über das Internet einzusteigen.
Morgenpost Online: Heute sprechen alle über die junge Gegenwartskunst, gerade in Berlin, wo es tausende junger Künstler gibt. Kann sich da ein Künstlermuseum wie Nolde überhaupt „abschotten“, braucht es nicht die Anbindung an die zeitgenössische Kunst?
Hopfengart: Hier müssen wir uns tatsächlich fragen, gibt es zu Noldes Position auch Parallelen in der heutigen Kunst? Mich interessiert dabei weniger Noldes Einfluss, als die Frage, wie typische Nolde-Themen – zum Beispiel seine Faszination für die elementare Natur, oder für die Wirkung von Farben – mit heutigen Mitteln realisiert werden. Dabei denke ich weniger an Maler, als zum Beispiel an Künstler wie Olafur Eliasson oder James Turrell. Heute sind Noldes Bilder populär, aber man darf nicht vergessen, wie er in seiner Zeit wirkte, mit seiner Kompromisslosigkeit und den Diskussionen, die er vom Zaun gebrochen hat. Interessant ist auch der Aspekt seines Künstlergartens. Das Konzept für diese künstlerischen Paradiese war sehr ausgetüftelt.
Morgenpost Online: Wie also werden Sie Nolde einem 22-jährigen Besucher künftig präsentieren?
Hopfengart: Das ist natürlich die am schwersten zu erreichende Besuchergruppe. Die Altersgruppe von etwa 14/15 bis um die 30 ist vor allem damit beschäftigt, sich zu orientieren und zu etablieren, Partnerwahl, Beruf, Familie. Für die Museen ist diese Zielgruppe extrem schwierig und von geringer Resonanz, und das erst recht, wenn es sich um Klassische Moderne handelt und man als Museum nicht Fotografie, Film, Video vertritt. Bei Kindern ist es da einfacher. Sie können einfach mit den Farben umgehen.