Late Night

"Polittalker" Jauch flüchtet sich in den Alkohol

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Bendrik Muhs

Foto: dpa / dpa/DPA

Euro-Krise? Occupy-Bewegung? Linksterrorismus? Fehlanzeige! Statt über Aktuelles zu diskutieren, griff Günther Jauch zu einem Dauerbrenner-Thema.

Es braucht einen Blick auf die Internetseite der ARD, um sich noch einmal zu vergewissern: Ja, bei Günther Jauch handelt es sich wirklich um einen "Polittalk aus dem Herzen der Hauptstadt". "Aktuell, relevant und bewegend" widme man sich in der Live-Sendung dem "Thema der Woche". So viel zum Anspruch.

Was sich dem geneigten Zuschauer dann allerdings am Sonntagabend real bietet, sieht eher nach muffigem Archiv aus oder, um gleich auf das Thema der Sendung einzuschwenken, nach arg abgestandenem Bier.

Mit dem völlig zeitlosen deutschen Dauerbrenner-Thema "Trinker-Republik – Unterschätzen wir die Volksdroge?" müssen sich Günther Jauch und seine Redaktion schon zu Beginn der Sendung sehr verbiegen, um hier etwas "aktuell" erscheinen zu lassen.

Da kommt Andreas Schockenhoff, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, gerade recht. Der hat sich nämlich nach einem Unfall mit Fahrerflucht und über zwei Promille im Blut entschieden, seinen Alkoholismus öffentlich zu machen und sich in Therapie zu begeben.

Jauchs Nachfrage, ob dieser plötzliche Entschluss nach etwa "zehn Jahren" Sucht nicht auch eine erzwungene Rettungsaktion seiner Karriere war, verneint Andreas Schockenhoff. Doch so richtig überzeugend wirkt das nicht. Keinesfalls habe er seinen Gang in die Öffentlichkeit mit einem "Hintergedanken" verknüpft und "Kronzeuge für ein Saulus-Paulus-Erlebnis" wolle er keinesfalls sein.

Schnell ist man vom "Tabu" des alkoholkranken Politikers beim großen Ganzen gelandet. Stichwort Berlin. Ist die Hauptstadt mit ihrem Stress, mit ihrem öffentlichen Druck nicht eigentlich mit Schuld daran, dass das politische Personal oft und gern zu Flasche greift?

"Alkohol ist der Schmierstoff des politischen Betriebes in Berlin"

Politiker in Berlin zu sein, sei "ein Leben unter Beobachtung" konstatiert auch Christine Haderthauer, bayerische Ministerin für Arbeit, Sozialordnung, Familie und Frauen mit dem Parteibuch der CSU. Sie kritisiert auch, dass Prominente immer gerne ihr Sektglas in die Kamera halten, das sei keine gute Vorbildfunktion. Sie selber trinke auf der "Wiesn" höchstens mal "eine Maß". Dass die fesche Ministerin dazu in irgendein Objektiv lächelt – unvorstellbar.

Peter Richter, Journalist und Buch-Autor, der in hochprozentige Talkrunden wie diese gerne eingeladen wird, wenn man jemanden braucht, der die lustvolle Dimension des Alkoholrausches noch zu schätzen weiß, hält das parlamentarische System ohne Alkohol sogar für undenkbar. Der "Schmierstoff" sei immer auch symbolische Politik und werde fürderhin gebraucht.

Man ist fast dankbar, dass der bekennende Hedonist in dieser "trockenen" Runde den Allgemeinplatz vorbringt, dass eine Party mit Alkohol meistens lustiger sei als eine ohne. Doch sein "Recht auf Rausch" darf der an einem sonntäglichen Kater leidende Autor - es ist schließlich Buchmesse zurzeit - nur kurz auskosten.

Ein Suchtexperte, der heimliche selbst Alkoholiker war

"Das ist vollkommener Blödsinn", herrscht ihn Rüdiger-Rolf Salloch-Vogel an, der über 30 Jahre als Arzt und Suchtexperte Alkoholiker behandelte und gleichzeitig ein geheimes Doppel-Leben als Trinker führte. Es ist ein heftiger, ein sehr persönlicher Angriff, der in seiner Intensität dann doch verwundert. "Herr Richter verachtet die Alkoholiker", sagt Salloch-Vogel und bezieht sich dabei auf Richters beschwipstes Buch-Essay "Über das Trinken".

Aber vielleicht beneidet hier der trockene Alkoholiker eben auch einfach den gelegentlichen Genuss-Trinker, der er nie wieder sein kann. Man weiß das bei diesem emotionalen Ausbruch nicht so genau. Das alles hat zwar sehr wenig mit einem politischen Gespräch zu tun, aber wenigstens kommt jetzt ein bisschen Stimmung auf.

Dass der in jedem Sinn doppelte Suchtexperte Salloch-Vogel sich nicht wirklich um Jauchs staksige Fragen schert, quittiert der Moderator dann auch neidlos mit dem Bekenntnis, dass dessen Einlassungen deutlich interessanter seien als seine Fragen.

"Bei Youtube nur mal eingeben: Saufen und Kotzen"

Und da es in jeder Talkrunde zum Thema Alkohol natürlich auch um den versoffenen Nachwuchs gehen muss, gibt Bernd Siggelkow, Pastor und Leiter des Jugendhilfswerks "Die Arche e.V.", ein paar neue Anregungen: "Man braucht doch nur mal bei Youtube einzugeben: Saufen und Kotzen", entfährt es ihm, dann wisse man auf welchem Weg die Jugend heute sei. Es werde heute "härter" und "mehr" getrunken als früher. Auch weil positive Vorbilder fehlten.

"Wir leben das vor", assistiert Christine Haderthauer und trifft damit einen interessanten Punkt. Was es der Jugend signalisiere, wenn im Kühlregal "die Spirituosen neben der Milch" stehen, fragt sich auch Pastor Siggelkow und setzt sich für ein nächtliches Verkaufsverbot von Alkohol an Tankstellen ein.

"Letztendlich laufen die drastischen Maßnahmen darauf heraus, dass man die Trunkenheit aus dem öffentlichen Leben verbannt", meint Rausch-Verfechter Richter einmal. Alkohol sei nun mal "Volksdroge" und zwar "die einzige legale Droge, die wir noch haben". Durch Verbote schaffe man Probleme nur aus dem Sichtfeld, nicht aus der Welt.

Keiner will mehr die Verantwortung übernehmen

Einig ist man sich in der ungleichen Runde eigentlich nur darüber, dass niemand mehr so richtig "Verantwortung" tragen wolle für die Jugend. Nicht die Eltern, nicht die Schulen, nicht die Gesellschaft. Eine fast verstörende These. Günther Jauch interessiert sie, ebenso wie seine Gäste, ganz offensichtlich nicht.

Im Laufe der Sendung werden Spirituosenberge im Studio aufgetürmt und schockierende Einspieler über "komasaufende" Jugendliche gezeigt. Alles wird irgendwie angerissen und doch nichts wirklich diskutiert. Von einer gesellschaftspolitischen Debatte zum Thema Alkohol mal ganz zu schweigen.

Was dem Gebührenzahler hier mit enormen Produktionskosten als Debatten-Fernsehen aus der Metropole Berlin verkauft wird, erschreckt in seiner piefigen Bräsigkeit dann aber doch. Und so fühlt man sich auch eher wie in einer x-beliebigen nachmittäglichen Produktion des Privatfernsehens als auf dem Königsplatz des politischen Talks in der ARD.

Wie steht es doch so schön auf der Homepage der Sendung: "Aktuell, relevant und bewegend". Zumindest an diesem Sonntagabend haben Günther Jauch und sein Team aus dieser Ankündigung eine dreiste Schwindelei gemacht.