Wo fand die Varusschlacht im Jahr 9 n. Chr. tatsächlich statt? Generationen von Altertumsforschern haben mit Bienenfleiß antike Schriftquellen und Bodenfunde ausgewertet, um Örtlichkeit und Verlauf der vermeintlichen „Stunde Null der deutschen Geschichte“ auf den Grund zu kommen.
Seit mehr als 20 Jahren ist sich eine Mehrheit von ihnen sicher: Die Schlacht dürfte nicht im Teutoburger Wald (wie der Osning unter Bezug auf Tacitus seit dem 17. Jahrhundert genannt wird), sondern in dessen Ausläufern am Kalkrieser Berg im Wiehengebirge geschlagen worden sein. Auch wenn weiterhin unstrittig ist, dass nördlich von Osnabrück das einzige authentische Schlachtfeld, das aus der Antike auf uns gekommen ist, gefunden wurde, mehren sich wenige Monate vor dem Zweitausendjahr-Jubiläum der Varusschlacht doch Zweifel an bisherigen Deutungen.
Die Suche nach Schlachtfeldern
Schlachtfeldarchäologie hat es zwar schon immer gegeben, aber als eigenes Feld systematischer Forschung und als Kongressthema ist sie in Deutschland neu. In dieser Forschungslücke hat der Gebietschef der größten Ansammlung historischer Schlachtfelder auf deutschem Boden, der Leiter des archäologischen Landesamtes Sachsen-Anhalt, Harald Meller, eine Herausforderung gesehen.
Erst vor Monaten hatte sein Amt überraschende Einsichten in das Kampfgeschehen auf dem Schlachtfeld von Lützen präsentiert. Jetzt setzte er die beiden vielleicht zugkräftigsten Themen der Schlachtfeldforschung, Kalkriese und Lützen, auf die Tagesordnung des 1. Mitteldeutschen Archäologentages in Halle.
Fast nichts, so zeigten die aufs Heftigste entbrennenden Diskussionen, ist in der Schlachtfeldforschung endgültig gesichert. So bleiben unzählige Fragen, ob es sich bei den Kampfhandlungen in der Kalkrieser-Niewedder Senke tatsächlich um die Schicksalsschlacht des römischen Feldherrn Varus gehandelt haben kann, bisher genauso offen wie die Frage, warum der Schwedenkönig und Anführer der protestantischen Heere im Dreißigjährigen Krieg, Gustav Adolf, 1632 bei Lützen hinter die feindlichen Linien geriet und wie er starb. Immer wieder mussten die beteiligten Wissenschaftler einräumen, dass sie erst „am Anfang“ stünden.
Die Römer im Gänsemarsch
„Die Datenbasis ist noch zu gering, um bereits jetzt genaue Aussagen etwa über Marschbewegungen des römischen Heeres treffen zu können“, konstatierte der Osnabrücker Archäologe Günther Moosbauer überraschend vorsichtig. Die Frage, ob Kalkriese als Ort der Varusschlacht identifiziert werden könne, sei für ihn „nicht existentiell“. In Wirklichkeit habe man erst 15.000 bis 20.000 Quadratmeter von 30 Quadratkilometern des langgezogenen Schlachtfeldes untersuchen können, das sich nach Aussage der Quellen über die Marschleistung mehrerer Tage erstreckte.
Kernthese der Kalkrieseforschung ist ein Schlachtverlauf, der sich wegen extremer topographischer Verhältnisse für die Römer nur aussichtslos gestalten konnte. Danach wurden die drei Legionen des Varus, mit Hilfstruppen rund 20.000 Mann, von den Germanen unter ihrem Anführer Arminius in einen Hinterhalt gelockt, der es ihnen nicht erlaubt habe, sich in gewohnter Schlachtordnung aufzustellen.
Eingezwängt zwischen Großem Moor und einem zwei Meter hohen massiven Schutzwall der Germanen hätten sie sich in einen endlos langen „Gänsemarsch“ einreihen müssen, der die vereinten Germanenstämme in den Stand gesetzt habe, sie überfallartig von der Seite her niederzumachen.
Münzen weisen den Weg
Verlässlichster Anhaltspunkt, dass es sich tatsächlich um die Varusschlacht handelte, ist bisher ein Münzfund gewesen, der ausschließlich aus Prägestücken der Jahre vor dem Schlachtdatum besteht. Aber ausgerechnet von Numismatikern kommen seit Jahren auch die gravierendsten Einwände. Danach könne keinesfalls ausgeschlossen werden, dass später geprägte Münzen einfach nicht in den Besitz der Varustruppen im hohen Norden gelangt sind. Inzwischen hält Günther Moosbauer deshalb Knochenfunde für ein „verlässlicheres Argument“.
In Halle berichtete die Anthropologin Birgit Großkopf (Göttingen) über die Entdeckung von zwei Schädelkalotten mit sechs mal acht Zentimeter großen Einschlaglöchern, die von einem Schwert, einem langen Lanzenblatt oder einer Axt herrühren könnten. Zusätzlich seien acht Gruben mit Knochen von einigen Dutzend Menschen und Maultieren gefunden worden.
Aus dem Verfallszustand, der keine Rückschlüsse auf Individuen erlaube und sogar die Unterscheidung zwischen Menschen und Tieren erschwere, lasse sich immerhin schließen, dass das Material zwei bis zehn Jahre unbestattet der Verwitterung ausgesetzt gewesen sei, ehe es mit Erde bedeckt wurde.
Ein solcher Befund würde mit der schriftlichen Überlieferung übereinstimmen, nach der die Toten erst Jahre nach den Kampfhandlungen vom Heer des römischen Prinzen Germanicus beigesetzt wurden – laut Großkopf „ein deutliches Indiz für den Ort der Varusschlacht“.
30 Hektar Gelände sind schon abgesucht
Ganz so deutlich freilich fielen die Antworten auf kritische Fragen dann doch nicht aus. So nannte es Harald Meller „rätselhaft und merkwürdig“, dass keinerlei Hinweise auf die Beteiligung von Germanen entdeckt worden seien – keine Lanzenspitzen, keine Schildbuckel, keine Schuhnägel, also Kleinteile, die sich im Gras verlieren und später auch nicht aufgesammelt werden.
Günther Moosbauer verteidigte sich mit dem Hinweis, die Germanen hätten oftmals mit römischen Waffen gekämpft, außerdem sei das Schlachtfeld jahrelangen Plünderungen durch die Sieger ausgesetzt gewesen, die nun erst analysiert werden müssten. Der Archäologie werde damit „eine Fundstellenkategorie erschlossen, wie sie bisher nicht bekannt war“.
Viel tiefer ins Detail konnten Maik Reichel (Lützen) und André Schürger (Leipzig) bei der Aufschlüsselung des Schlachtverlaufs von Lützen gehen. Hier sind bereits 30 Hektar flächendeckend mit Metallsonden abgesucht und 4000 Funde sichergestellt worden, darunter 700 Bleikugeln, zwei Granatsplitter von Geschützen, 40 Schnallen, zwölf Knöpfe, sieben Münzen, 15 Fingerhüte (!) und eine Petschaft in Form eines Löwen.
Die für Historiker bedeutsamste Entdeckung, die sich damit belegen lässt, betrifft den Schlachtverlauf. Danach hatten Gustav Adolfs Truppen am rechten Flügel bereits die kaiserlichen Heerhaufen Piccolominis und der Kroaten in die Flucht geschlagen, als ihre Front im Mittelabschnitt zu wanken begann. Hier ist es dann zum schicksalhaften Alleingang des Schwedenkönigs gekommen, der sich mit einer Gruppe Getreuer plötzlich von Wallensteins Heer umzingelt sah und tödlich verwundet wurde.
André Schürger verortet die Stelle, an der der König liegen blieb, hundert Meter nördlich der heutigen Gedenkstätte, dort, wo der kleine Löwe, Wappentier Gustav Adolfs, gefunden wurde. Viel Zeit wird womöglich nicht mehr bleiben, die Erkenntnisse abzusichern. Im Wettlauf mit der jungen deutschen Schlachtfeldarchäologie bereitet sich die Mitteldeutsche Braunkohlen AG (MIBRAG) darauf vor, den Schauplatz der Schlacht wegzubaggern.