Bei RTL läuft heute die 4000. Folge von “Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“. Die Soap war ein Sprungbrett für Newcomer wie Yvonne Catterfeld oder Oliver Petzokat. Mittlerweile kommt die Serie urbaner daher als früher, allerdings hat das Bundesgesundheitsministerium bei den Drehbüchern auch ein Wörtchen mitzureden.
Auch ein Blinder kann noch sehen, dass Emily (Anne Menden) voll auf Droge ist. Nicht, dass der Liebling der RTL-Soap "Gute Zeiten, Schlechte Zeiten" (GZSZ) irgendwie einen verlotterten Eindruck machen würde. Dass ihr Loft den Eindruck erwecken würde, die Putzfrau sei erkrankt. Nein, es ist viel schlimmer. Der schwarze Kajalstrich um Emilys Augen ist zerlaufen. Sie sieht aus wie eine verheulte Fledermaus.
Drogen in der Daily Soap? Ja, aber nur mit freundlicher Genehmigung des Bundesgesundheitsministeriums. Wenn Emily schon in einen Strudel aus Kokainsucht, Beschaffungskriminalität und Nacktfotos gerät, dann natürlich nur für einen guten Zweck. Längst nutzt die Politik Deutschlands erfolgreichste Soap als Sprachrohr, um jene Klientel zu erreichen, die um Wahlurnen einen Bogen macht: junge Erwachsene. In der Pressestelle der Produktionsfirma Grundy UFA heißt es, an den aktuellen Folgen hätten Experten vom Gesundheitsministerium mitgeschrieben.
Als am 11. Mai 1992 die erste Folge von GZSZ lief, da wäre das noch undenkbar gewesen. Mit GZSZ empfahl sich RTL als trendigerer Bruder des "Bravo"-Sorgenonkels Dr. Sommer. Die Soap entführte ihre Zuschauer in den Alltag einer Clique von Schulabgängern aus gutem Hause. Ihre Probleme waren überschaubar. Auf der Liste der Super-GAUs rangierte die Scheidung der Eltern knapp vor dem ersten Liebeskummer und der verhauenen Lateinarbeit.
"Wir haben die Chance, die erste deutsche Soap zu produzieren"
Die Drehbücher schrieb ein Mann, der schon damals zu den renommiertesten Filmautoren der Bundesrepublik gehörte: Felix Huby. Es waren deutsche Adaptionen der australischen Soap "The restless years." Huby sagt, es sei gewissermaßen ein Freundschaftsdienst gewesen, den er dem Ufa-Chef Wolf Bauer damals erwies, als der ihn bat, die Bücher ins Deutsche zu übersetzen. Die Worte des Big Bosses hat er noch im Ohr: "Wir haben die Chance, die erste deutsche Soap zu produzieren. In drei Monaten gehen wir auf Sendung. Ich kenne keinen, der das so schnell hinbekommt – außer dir."
Fragt man Huby heute, ob er damals damit gerechnet hätte, dass sein Adoptiv-Baby 4000 Folgen später von der Politik gehätschelt werden würde, dass die Darsteller zur Feier des Tages sogar von der Bundeskanzlerin empfangen werden würden, sagt er: "Nein, ich hätte gedacht, es ginge schief."
Die Erzählweise sei schließlich eine völlig andere gewesen als die, welche hierzulande üblich gewesen sei. "Es gab mehrere Stränge, die sich verzopften – und einen großen Cliffhanger für den Freitag." Es sollte 90 Folgen dauern, bis sich das Publikum an diesen neuen Stil gewöhnt hatte. Dann erst wagte es Huby, sich vom Original zu lösen und Geschichten zu erzählen, die sich enger an der deutschen Lebenswirklichkeit orientierten. "In einer Folge ging es zum Beispiel um Tiertransporte."
"Die Figuren sind wie Geschwister"
Das Publikum machte diesen Schwenk mit. Nach einem zögerlichen Start stieg die Quote am Vorabend auf über sieben Millionen Zuschauer. Inzwischen liegt sie nur noch bei vier Millionen Zuschauern und bei einem Marktanteil von 21,8 Prozent in der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen. Doch damit ist sie immer noch erfolgreicher als andere Soaps wie "Verbotene Liebe" (ARD), "Marienhof" (ARD) oder "Alles, was zählt" (RTL).
Die Folgen entstehen inzwischen wie am Fließband. An die Stelle eines Autors ist ein Team von Schreibern getreten, die sich die Arbeit aufteilen, vom Dialogschreiben bis zum Entwurf der Handlung. Das unterscheidet eine Daily Soap wie GZSZ von einer Vorabendserie wie "Verliebt in Berlin". Es fehlt eine individuelle Signatur. Die Dialoge sind hölzern, die Darsteller wirken mitunter wie ferngesteuert. Wenn Paula (Josephine Schmidt) ihrer Ex-Freundin Franzi ins Gewissen redet, klingt sie wie ihre eigene Großmutter. "Franzi, was muss denn noch alles passieren? Hör mal, Du machst Dich kaputt mit diesem Scheiß-Gekokse."
Kurioserweise lieben die GZSZ-Fans die Serie nicht trotz, sondern wegen solcher Sprechblasen. Sie passen zu den Darstellern, die alle so wirken, als hätte sie eine Model-Agentur für den neuen Katalog von H & M gecastet. Es ist wohl kein Zufall, dass die Soap zum Sprungbrett für stromlinienförmige Newcomer wie Yvonne Catterfeld oder Oliver Petzokat ("Oli P.") geworden ist. Mit Jungs und Mädchen ohne Ecken und Kanten sich die Zuschauer besser identifizieren. "Die Figuren sind wie Geschwister", sagt Felix Huby.
Er kann sich kaum noch daran erinnern, wann er sich zuletzt in die Soap hereingezappt hat. Nach Folge 260 war für ihn Schluss. Er sagt, er erkenne GZSZ kaum noch wieder. Tatsächlich hat sich in den vergangenen 16 Jahren einiges geändert.
Die Realität schleicht sich durch die Hintertür in die Soap
Die Soap kommt urbaner daher. Viele Szenen werden seit zwei Jahren in Potsdam-Babelsberg auf einem Außenset gedreht – dem Nachbau einer Berlin-Kulisse. Und zur 4000. Folge wird in die Produktionshalle eine zusätzliche Ebene eingezogen. "Wir können dann zweiteilig drehen", heißt es in der PR-Abteilung.
Ginge es nach Jörn Schlönvoigt, dann heben die Drehbuchautoren als nächstes das Thema "häusliche Gewalt gegen Kinder" auf die Tagesordnung. Der 21-jährige Berliner ist seit vier Jahren bei GZSZ dabei, er spielt den Diplomatensohn Philip Höfer, den Bruder von Franzis Freundin Emily (Anne Menden).
Ihm gefällt es, dass sich die Realität durch die Hintertür in die Soap schleicht. Er sagt, dass das Thema Drogenmissbrauch ausgeblendet werde, ärgere ihn schon lange. Im Unterricht sei es nie ein Thema gewesen. "Dabei wette ich, dass auf meinem ehemaligen Schulhof im Jahr rund hundert Kilo Gras und mehr verkauft wurden."
Es klingt, als hätte ihm Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt diesen Satz souffliert. Drehbuchautor Felix Huby weiß nicht so recht, was er von dieser neuen Linie halten soll. Gutes Koks? Schlechtes Koks? Er erschaudert aber bei der Vorstellung, dass politische Lobbyisten sein Skript umschreiben. Doch das Thema GZSZ, bilanziert er seufzend, sei für ihn sowieso schon lange vorbei: "Ich bin ja fast 70."
Die 4000. Folge von GZSZ läuft am 2. Juni um 19.40 Uhr auf RTL.