Wer in den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts seinen Lebensunterhalt mit Blues bestritt, hatte es leichter als im heutigen Bluesgeschäft. Ein Musiker wie Robert Johnson musste lediglich beim Teufel seine Seele gegen unbeschränkte Virtuosität eintauschen, gerade 29 Songs aufnehmen und beizeiten sterben, an der Syphilis.
Jack White macht 70 Jahre später keinen Hehl aus seiner Sehnsucht nach den Dreißigern. Nach einer Zeit gesamtgesellschaftlicher Depression und erdiger Musik, für White „ein einsamer Höhepunkt menschlichen Ausdrucksvermögens“. Jedenfalls in Anbetracht der hinterlassenen Legenden und der Schelllacke, die seit dem gnädigen Erlöschen der Besitztumsrechte emsig digitalisiert und aufbereitet werden.
Die volkstümlichen Seiten des Blues
Für den heutigen Musiker stellt sich der Blues als mühsames Geschäft heraus. Was tut Jack White nichts alles, um ihn glaubhaft zu verkaufen: Seit zehn Jahren unterhält er die White Stripes, sein auf das Wesentliche reduzierte Duo mit der Trommlerin Meg White. Ihr sechstes Album „Icky Thump“ beschreibt in 13 rustikal-rabiaten Klageliedern eine Welt, in dem die Männer noch zu Fuß die Landstraßen benutzen und sich vom Bestatter nach dem letzten Weg polierte Schuhe wünschen.
Auf dem Cover sitzt das Musikantenpaar auf einem Baumstamm und trägt mit Pailletten übersäte Anzüge. Jack White spielt eine Hirn erweichende Gitarre im „Catch Hell Blues“. Er gerät beim Kreischen in Ekstase. Er zerdehnt den Dialekt als sänge er auf einem Baumwollfeld vor New Orleans. Meg White drischt auf ihr Schlagzeug ein als säße sie zum ersten Mal daran. Sie schinden unvermindert Eindruck, bis man allen Argwohn fahren lässt und den White Stripes den Blues doch besser glaubt.
Herrje, der Blues: Es gibt nichts lästigeres als ein Straßenfest, bei dem die Väter ihre Freizeitrockband auf die Bühne wuchten und den „Hoochie Coochie Man“ zur abendfüllenden Improvisation ausschlachten. Das wäre die volkstümliche Art einer Berufsblues-Pflege derer Eric Clapton und die Rolling Stones nicht müde werden. Eng damit verbunden ist die reine Lehre. Immer findet sich jemand, der einen Vorträg über Mississippi-Delta, Wanderarbeiter und 12-Takt-Schema hält.
Die Geschwister-Inszenierung der White Stripes
Die offene Form wurde in ein geschlossenes Buch verwandelt. Auch der Bluesrock kam kaum weiter als bis AC/DC. Erst die Postmoderne rechtfertigte wieder eine kauzige Besinnung. Beck, Jon Spencer oder Howe Gelb meinten es durchaus ernst, aber die Leute zwinkerten sich zu und grinsten. Blues blieb die Musik des alten Mannes, der sie wie ein Dogma hütete. Und erst Jack White nahm sie ihm wieder weg und stellte eigene Regeln auf.
Während die Stadt Detroit nach Industrie-Soul und Garagenrock auch Techno-House gebar, entwickelte Jack White in jungen Jahren seine damals merkwürdigen Vorlieben für Ursprünge, Gitarren und Vinyl-Schallplatten. Was er auch begriff: Der „wahre“ Blues war ohne Mythen, Lügen und Konzepte nie zu haben.
Es beginnt mit der Geschwister-Inszenierung, dem inzestuösen Ruch, den das geschiedene Ehepaar verbreitet. Dann benannten sie ein Album nach „De Stijl“, der Künstlergruppe um Piet Mondrian, die sich der Strenge eines rigorosen Regel-werks, der Klarheit und der Harmonie verpflichtet fühlte.
Neues Album mit Kirchenorgel und Dudelsack
Die White Stripes erhoben die Zahl Drei zu ihrem Dogma. Stimme, Gitarre, Schlagzeug. Poesie, Melodie, Rhythmus. Rot, Weiß, Schwarz. Der aus dem amerikanischen Pfefferminzbonbon gewonnenen Trikolore folgt das Duo in Garderobe, Cover-Kunst und Auftritt; es wird bald die ersten Seminararbeiten dazu geben.
Weitere Regeln: Kein Gerät soll digital sein und nach 1965 hergestellt. Kein Album sollte fünfstellige Produktionskosten verschlingen. Etwas abgewichen ist die „Band“ zuletzt von ihrer Selbstbeschränkung, keine weiteren Instrumente zu benutzen. Bereits „Get Behind Me Satan“ (selbstverständlich wies der Titel auf den Teufelspakt in der Legende Robert Johnsons hin) gestattete dem Zuhörer Piano und Marimba.
„Icky Thump“ beschäftigt sich nun fast verschwenderisch mit Kirchenorgel, Dudelsack, Trompete. Manches Stück verzichtet sogar auf den Blues wie ältere Männer ihn erwarten und sucht Wurzeln in der mexikanischen und schottischen Folklore.
Nackt musizieren im Freien
Wer es ernst meint mit dem Blues, darf ihn natürlich nicht in Ehrfurcht konservieren wie einen erstarrten Leichnam. Gralshüter werden in „Era Vulgaris“, dem aktuellen Album der Queens Of The Stone Age, alles andere als Blues vernehmen. Nämlich vordergründigen Krach. Aber das stampfende Ein-Akkord-Stück „Sick, Sick, Sick“, das von verzerrten Slide-Gitarren wimmernd hintergangene „Into The Hollow“ und das vom Klavier getragene „Make It Wit Chu“ denken Led Zeppelin und ZZ Top einmal bis in die Gegenwart zu Ende.
Auch hier darf man das Theater jenseits der Musik nicht unterschätzen: Was als Stoner Rock gefeiert wird, ist wieder ländlicher Natur. Josh Homme, eine rothaarige, reich bebilderte, zwei Meter hohe Statue aus der Mojave-Wüste Kaliforniens, sammelt keine Band um sich, sondern eine kommunenartige Familie mit einem verzweigten Heavy-Metal-Stammbaum.
Gern wird mit Benzingeneratoren nackt und breitbeinig im Freien musiziert. Archaisch, manisch, rostig, apolitisch. Homme hat seine offene Gruppe auf ein festes Trio reduziert. Und was er früher als Roboter-Rock bezeichnete, klingt heute wie ein außer Rand und Band geratener Ölbohrturm oder eine im Wüstensand entgleisende Eisenbahn.
Vielleicht hat es der Blues der Gegenwart aber auch einfacher als in den Dreißigern. Die Menschheit reißt sich schon zu Lebzeiten der Musiker um ihn. Jack White beklagt: „Die Einrichtungen, die wir eigentlich bekämpfen, haben sich auf uns gestürzt.“ Er meint das Popgeschäft. In Robert Johnsons trüben Augen stünden heute Freudentränen.
The White Stripes: Icky Thump (XL/Beggars)
Queens Of The Stone Age: Era Vulgaris (Interscope/Universal)