Affentheater

Die Gorillaz kapitulieren in Berlin

| Lesedauer: 7 Minuten
Michael Pilz

Die Gorillaz, einst eine animierte Botschaft an die Popkultur, gab es in Berlin nun in 3D und zum Anfassen. Erstmals traten sie in Deutschland auf. Das Konzert war eine Offenbarung - und eine Kapitulation vor dem gewöhnlichen Konzertbetrieb.

Wer zählt die Künstler, nennt die Namen? Auf der Bühne stehen Bläser, Chorsänger und Rapper, es gibt ein arabisches Ensemble, eine herkömmliche Rockband und berühmte Gäste, die so unvermittelt auftauchen wie sie wieder verschwinden. Über ihren Köpfen hängt, was man in analogen Zeiten eine Leinwand nannte: die konzertübliche Projektionsfläche, auf der die Bühnenbilder laufen. Nur dass es an diesem Abend im Berliner Velodrom nie klar wird, ob die Kurzfilme die Stücke illustrieren, oder ob die unzähligen Musiker die Videos begleiten. In den Nullerjahren war es eindeutiger: Die Gorillaz lieferten die Tonspuren der Trickfilme, in denen sich die Band vertreten ließ. Ihr Sänger wurde von einer Figur verkörpert, die 2D hieß. Öffentlich spielten sie anfangs hinter Leinwänden. Und als es die 3-D-Technologie erlaubte, trat 2D als holografische Erscheinung auf, in Opernhäusern und Theatern.

Heute sieht man Damon Albarn leibhaftig inmitten seiner Gäste „El Mañana“ singen, eine Sehnsuchtshymne von 2005, und über ihm sieht man: 2D hat sich bereits zurückgezogen, seine Insel hat sich von der Erde und der Schwerkraft frei gemacht. So treibt der Held zufrieden durch die Lüfte. Aber auch über den Wolken ist 2D nicht sicher vor den Kampfhubschraubern irdischer Barbaren, sie zerschießen seinen Leuchtturm, sie zerstören das Idyll. Die letzten Schlachten sind geschlagen. Als das 20. Jahrhundert ausklang, waren die Gorillaz plötzlich da, die Band als Comic. Damon Albarn schien seiner bisherigen Existenzen müde. Einer Kindheit als Dozentensohn in Essex, einer Jugend als Student an Londoner Kunstschulen und des Jahrzehnts mit Blur, der zweiten stolzen BritPop-Band neben Oasis. Albarn sah im eindimensionalen BritPop keine Zukunft, auch New Labour hatte sich für ihn als neoliberales Trauerspiel erwiesen. Blur, die Musiker- und Männerfreundschaft, war zerrüttet. Es war an der Zeit, sich umgänglichere Gefährten zu erfinden und ein zweites Leben.

Jamie Hewlett, der damals die Comicserie „Tank Girl“ zeichnete, schrumpfte den Sänger zu 2D. Hinzu gesellte er einen Bassisten namens Murdoc, eine minderjährige Japanerin als Gitarristin und den Trommler Russel. Die Gorillaz wollten nicht als Band verstanden werden, eher als animierte und vertonte Botschaft an die Popkultur. Es war die Zeit, als das Musikgeschäft sich an die Monkees aus den Sechzigern erinnerte, eine für Seifenopern rekrutierte Gruppe. Man begann, in großem Stil wieder Retortenbands zu züchten. Damon Albarn klagte, als er die Gorillaz, seine eigene streitbare Retortenband, der Industrie entgegen stellte, über die verschwundene Magie im Pop. Zugleich brach eine neue Gründerzeit an für Gitarrenbands, die sich der Wirklichkeit verpflichten fühlten.

Die Gorillaz griffen auch an dieser Stelle korrigierend ein. Sie warfen Fragen auf, die sich der Pop seit jeher stellt: Was haben Stars mit der Realität zu tun? Sind ihre Kapitalerträge planbar? Und wer trägt den Müll hinaus? Im digitalen Dasein galt das Künstliche mitunter sogar als wahrhaftiger, so eine Zeit war das. Als die Gorillaz vor vier Jahren ihren ersten Grammy abholten, traten sie mit Madonna auf. Während Madonna im Gymnastikanzug durch die Gegend turnte, stand 2D als Hologramm gelangweilt neben ihr und spielte mit dem Handy. Die Gorillaz haben sich konzeptionell erschöpft. Und vielleicht gingen mit den Nullerjahren, in denen die Band in Dimensionen von U2 und Depeche Mode vorstieß, die Frontlinien der Popmusik verloren.

Eigentlich soll die Konzertreise auch ihre letzte sein. Eine Revue unter dem Titel „Escape To Plastic Beach“, in der es um den Müll geht. Wie bei einer Rockoper reihen die Songs sich zu einer Geschichte aneinander: Murdoc, der Bassist, haust übellaunig in seinem Musikstudio, das er auf einem im Pazifik schwimmenden Abfallberg errichtet hat. Er hält 2D in Geiselhaft und zwingt ihn zum Gesang. Darunter spielt sich das Konzert ab, vor einer Gorillaz-Leuchtreklame - damit wird der Witz der virtuellen Band zum Warenzeichen. Zugeschaltet wird Snoop Dogg, der Rapper, er erklärt: „The revolution will be televised.“ Dass die Revolution am Bildschirm stattfindet, hatte der Sänger Gil Scott-Heron 1970 strikt verneint. Jetzt können immerhin noch überwältigende Bilder der gescheiterten Musik- und Kunstrevolution betrachtet werden. Jamie Hewletts frühe Skizzen und die längst computergenerierten Meisterwerke, die sich vor den Manga-Schlössern von Hayao Miyazaki ebenso verneigen wie vor frühen Plattenhüllen des Band Yes.

Es sind die Bilder einer Band, die niemals eine Band war, sondern eine Utopie, und deren visionäre Tanzmusik die Hitparaden unterwandert hat. Für die Tournee macht Damon Albarn sich wieder verdient um Großbritanniens Stolz, indem er auf die Bühne holt, was von der wegweisenden Band The Clash noch übrig ist. Mick Jones spielt die Gitarre und Paul Simonon den Bass, und dabei tragen sie Matrosenmützen. Ferner treten auf: die Soullegende Bobby Womack und die HipHop-Veteranen De La Soul, die etwas in Vergessenheit geratene Neneh Cherry und verschiedene Musiker, von denen man noch hören wird.

Was in Berlin gesungen und gespielt wird, ist, verglichen mit der gängigen Tourneemusik, noch immer eine Offenbarung. Auch die Bildermacht wirkt ungebrochen. Rasende Geländewagen, Sehkühe und singende Kinder, denen man mit ihren schadhaften Gebissen zutraut, Damon Albarn, wenn es Zeit wird, zu beerben. Allerdings nimmt auch die Zahl der Zombies zu, und es kommt vor, dass eine der Figuren aus Verzweiflung in die Kamera läuft und es vorübergehend finster wird über der Bühne. So grandios es wirkt, ein Gastspiel der Gorillaz mit „Feel Good Inc.“ und „Clint Eastwood“ als vorhersehbare Zugaben: Es ist auch eine Kapitulation. Die Welt erscheint im Abbild immer dreidimensionaler. Die Retortenbands sind ein gewöhnliches Geschäftsmodell, das längst verantwortungsbewusst betrieben wird. Und der Musikmarkt hat sich in die Mehrzweckhallen verlagert. Damon Albarn ruft nun in Gestalt von Damon Albarn nahezu akzentfrei: „Jetzt sind wir Berliner!“ Als Geschenk hat er ein syrisches Orchester mitgebracht, zum west-östlichen Divan der Gorillaz. Man muss sich nichts dabei denken und nichts hinterfragen, wenn im Bühnenbild ein Derwisch kreiselt und der Sänger zum Stück „White Flag“ ein Stück weißes Leinen schwenkt. Eine Fahne ist eine Fahne ist eine Fahne.