Wir wollen hier noch einmal festhalten: Wolfgang Wagner, dem es nach Auskunft seiner Tochter glänzend geht (nur die Füße machen eben Schwierigkeiten), ist auch in seinem 58. Festspielsommer uneingeschränkt gesamtleitender Hügelherr - zumindest offiziell. Schließlich tritt er erst am Ende des diesjährigen Festivals am 28. August von seinem Amt auf Lebenszeit zurück, zwei Tage vor seinem 89. Geburtstag.
Aber seltsam, irgendwie wird man den Eindruck nicht los, die Bayreuther Gewichte hätten sich schon längst total verschoben. Denn medial beherrscht seine zweite Tochter Katharina (30) inzwischen die Lage an allen Fronten. Selbst auf Fluglinienmagazinen prangt sie als "Bayreuths neue Königin" ("Dancing to a new tune on the green hill"), in der "Bunten" schafft sie es - noch vor Anne-Sophie Mutter - auf Platz 45 als eine von zwei Klassikdamen unter die "50 wichtigsten deutschen Frauen". Und in der gleichen Zeitschrift wird auch verraten, dass sie mit dem verständnisvollen Endrik "Cosimo" Wottrich weder Hundinghütte noch Walkürenfelsen mehr teilt (der gleichwohl weiter in Bayreuth auftritt), sondern sich - "Eine neue Liebe verleiht ihr Flügel" - mit einem feschen Piloten getröstet hat.
Katharina entwickelt die Marke Bayreuth weiter
Doch auch jenseits des boulevardesken Gedöns nötigt es Respekt ab, wie vehement sie als Geschäftsführerin der neuen Bayreuther Festspiele Medien GmbH in den vergangenen paar Wochen vor allem die Marke Katharina kolossal entwickelt hat; es wäre nicht die erste große Katharina aus deutschen Landen, die weiß, wie man sich wirkungsbewusst inszeniert.
Man könnte fast meinen, Katharina Wagners (hoffentlich in Teilen ihres Deutungsdauerfuriosos überarbeitete) "Meistersinger"-Inszenierung vom vergangenen Jahr wäre auch in dieser Saison die wichtigste Novität.
Sie wird am 27. Juli multimedial und live per Festspielhaus (2000 natürlich ausverkaufte Plätze), Internet (10.000 Abos à 49 Euro) und Public Viewing auf dem Bayreuther Volksfestplatz (15.000 kostenlose Plätze) unter das Wagnersüchtige Opernvolk gebracht; im Herbst kommt die DVD heraus, erstmals ohne die Kooperation mit der bisher in Bayreuth federführenden Unitel. Dann erscheint auch ("mit aktuellen Fotos der Saison 2008") bei Schott ein Bayreuth-Backstage-Buch, natürlich mit Kathi als sportiver Regie-Amazone auf dem Umschlag.
Jetzt schon kann man bei Clasart die Dokumentation "Katharina Wagner Feuertaufe" erleben, wo zwar keine Waberlohe züngelt, aber zu sehen ist, wie dramatisch das aus der Versenkung hochfahrende Chortreppenpodium des dritten Aktes mit 900 vollen Bierkisten auf seine Tauglichkeit geprüft wurde.
Mit Bayreuth-Software sieht es mau aus
Katharina Wagner muss solches wahrscheinlich tun, denn auf den Videos seines sonst nicht aufgezeichneten Hasifal-"Parsifal" sitzt Christoph Schlingensief, und sonst sieht es mit noch nicht anders-wo verwerteter Bayreuth-Software eher trübe aus. Auch die neue, stylish graue Festspiele-Webseite, die die schon rührend altmodische mit ihren "Mitteilungen der Intendanz" ersetzt, ist mit ihren Podcasts und Hinterbühnenclips eine einzige Katharina-Feier; anderes Material scheint es (noch) nicht zu geben.
Immerhin fehlt im übersichtlichen Souvenir-Angebot mit Kugelschreiber, Anstecknadel, Schlüsselband, Kristallquader "Parsifal 2008" (limitiere Auflage, 500 Stück) und dem Festspiel-Shopper-Täschchen aus Tarpaulin noch die Wackel-Katharina: nur ihre ziemlich doppelbödig verstehbare "Hänsel und Gretel"-Regieanalyse für die Kleinen ist auf CD erwerbbar.
Was will uns Katharina Wagner damit beweisen? Dass sie etwas tut, dass der Aufbruch in Bayreuth nicht nur beschlossene - wenn auch noch nicht abgesegnete - Sache ist, und dass bereits etwas passiert. Nach dem unerwarteten Tod von Gudrun Wagner scheint die Bayreuther Käseglocke endlich gelüpft, der Hügel beginnt sich zu strecken und das Morgen zu sondieren. Wolfgang Wagner stört da nicht mehr sonderlich: Zum Ende des Sommers wird er aufs Altenteil geschickt werden und ganz schnell in der Versenkung verschwinden.
Eva Wagner hat noch in Frankreich zu tun
Jetzt ist eben Katharina Kult. Kann sie was dafür? Sicher nicht, aber was bleibt ihr anderes übrig? Die Medien brauchen Supernasen als Identifikationsfiguren, und die Alphatierchen-Gene hat sie neben dem Charakterzinken auch mitbekommen. Anders als Halbschwester Eva, die nun doch noch als fleischgewordener Kompromiss mit ins Leitungsboot gehievt wurde und die offenbar komplett abgetaucht die schweigsame Frau gibt. Gut, sie hat augenblicklich in Aix-en-Provence in der Festspielleitung noch zu tun, aber es scheint auch deutlich Strategie.
Katharina Wagner hingegen dominiert die Schlagzeilen und Bilder, mal als zur Ikone versteinerte Blondprinzessin, mal als verschwitzte Kunstarbeiterin. Noch immer wirkt vieles an ihr sympathisch ungelenk, ja authentisch. Man wünschte ihr manchmal ein wenig mehr vom den vitriolgetränkt messerscharfen Sottisen ihrer ausgebooteten Cousine Nike, und auch bisweilen ein wenig philosophisches Schweigen statt stetes Drauflosplappern.
Doch eigentlich will Deutschland hier keine Intellektuelle auf dem Festspielthron, sondern eben genau diese - jenseits von ererbtem Sendungsbewusstsein und anerzogenem Machtstreben - wohltuend durchschnittliche junge, tatkräftige Geschäftsfrau mit dem verrauchten Animierdamenfränkisch, das jedes musiktheatralische Weltabgehobensein sofort relativiert. Kein Wunder, dass sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel in diesem Dunstkreis so wohl fühlt, dass sie die oberfränkische Provinz bereits tags zuvor dem in Obama-Ovationen taumelnden Berlin vorzieht.
Rollenbesetzung ist schwierig
Ganz egal, was nun Ende August herauskommt, das Bayreuther Haus ist spielplanmäßig für die nächsten Jahre längst bestellt, auch wenn so mancher dort zu kurz gekommene Musikmensch in endlos öden Zeitungsserien ungefragt programmatische Hilfestellung gibt. "Lohengrin" mit Hans Neuenfels und Andris Nelsons, "Tannhäuser" mit Sebastian Baumgarten und Thomas Hengelbrock sind vertraglich fixiert, ein "Ring" aus Katharinas Regiehand wohl auch. Man kann darum herum künftig noch einiges an klugen Gebinden zur Ergänzung und Erheiterung winden, wenn sich der Etat erhöhen lässt.
Die Besetzungen, der wirklich wunde Punkt der vergangenen Jahre in Bayreuth, werden - siehe den diesjährigen "Parsifal" - hoffentlich langsam besser. Mit dem fantasievoll überbordenden, eminent theatralisch denkenden Stefan Herheim und dem eleganten, südliches, bitte nicht zu langsames Klangflair einbringenden Daniele Gatti steht heute Abend ein so ernst zu nehmendes wie interessantes Team am Premierenstart.
Sieht man freilich die bisherigen, windschnittigen und längst auch anderswo anzutreffenden Neuerungen im Service- und Vermarktungswesen, wird man fast ein wenig sehnsuchtsvoll nostalgisch über die bisherige so echt provinzielle Anmutung dieses internationalen Festivals. Alles war nicht schlecht bei Wolfgang Wagner, der dem modischen Zeitgeist so hartnäckig zu trotzen wusste. Kein Zweifel, seine Apotheose hat schon begonnen.