Früher war das Klassikleben so einfach. Die Leute gingen gern ins Konzert, es gehörte zum guten Ton. Man machte sich fein und erbaute sich an ewigen Werten und Werken. Die Plattenfirmen waren stets auf der Suche nach Nachschub für ihre gut ausgelasteten Aufnahmestudios und klotzten mit Werbeetats für ihre Künstler. So bekamen die Konzertveranstalter die kostenlose PR gleich mitgeliefert. Deren Programme waren hübsch und tourneetauglich. Für die Experimente waren die städtischen Orchester und die Rundfunkklangkörper zuständig.
Das war einmal. Den Konzertdirektionen, einem elitären und ziemlich geschlossenen Kreis, von denen jede große deutsche Stadt mindestens eine hatte, starben die Abonnenten weg. Viel zu spät suchte man nach neuen Vermittlungswegen, um auch an das junge Publikum heranzukommen.
Man hatte gut verdient, aber weder die Zeichen der Zeit erkannt noch an die Zukunft gedacht. Und weil die Werbeetats der verbliebenen Plattenfirmen dramatisch geschrumpft sind, erweisen sich immer weniger Künstler als bekannt genug, um die großen Säle zu füllen.
Bei den Pianisten gelingt das, nach dem Bühnenabschied von Alfred Brendel, nur noch Evgeny Kissin, Maurizio Pollini, Lang Lang und Ivo Pogorelich, der dem Betrieb schon fast abhanden gekommen war. Höchstens der nie von einer Firma geförderte Eigenbrödler Grigory Sokolov hat seit Kurzem einen solchen Kultstatus erreicht, dass er genug Publikum in die Philharmonien zieht.
Inzwischen treten nicht selten auch die subventionierten Orchester als Veranstalter auf, ihr Verkaufsservice und ihre Einführungsveranstaltungen sind ausgeklügelter und aufwendiger geworden. Auch hier herrscht inzwischen meist das Mainstream-Repertoire, und die Karten kosten oft nur die Hälfte im Vergleich zum freien Konzertmarkt.
In Berlin mit seinen vielen staatlichen Orchestern lädt die Konzertdirektion Adler, die einst alle anderen Veranstalter weggebissen hat, als grau gewordener Platzhirsch höchstens noch zwei bis drei der teuren Klangkörper ein, das Freiburger Barockorchester und das Artemis-Quartett bestreiten ihre Abonnement-Reihen unter dem Adler-Dach auf eigene Rechnung. Zu seinem Glück hat Witiko Adler schon früh die Westdeutsche Konzertdirektion erworben, die in Köln noch weit bessere Verkäufe hinlegt.
In München aber, wo sich schon seit geraumer Zeit zu viele freie Veranstalter auf einem enger werdenden, stetig seichteren Markt tummeln und selbst vor Abenden wie "Arien & Pasta" nicht zurückschrecken, sieht es besonders für die beiden Traditionsunternehmen Winderstein und Hörtnagel schlecht aus. Bei beiden Familienfirmen gibt es immer noch keinen Nachfolger, Georg Hörtnagel ist weit über achtzig, bei Winderstein, wo man früher mehr als 25 Abende pro Saison glänzend verkaufte, sind für die Saison 2009/10 nur noch vier Konzerte im Angebot.
Besitzer Hans-Dieter Göhre hofft zweckoptimistisch, in der folgenden Saison wieder zugkräftigere Künstler im neuerlich größeren Warenkorb zu haben, ist sich aber gleichzeitig im Klaren, dass sich inzwischen das Ausgehverhalten extrem geändert hat. Immer weniger Leute wollen sich in Abonnement-Reihen festlegen - dabei waren diese für die Vorfinanzierung extrem wichtig. Man geht lieber spontan oder verbindet den Kunstgenuss bei den vom Alltag enthobenen Musikfestivals mit einem Kurzurlaub.
So haben die privaten Klassikkonzertdirektionen schon länger kleinere Brötchen backen müssen, sie haben Personal abgebaut, Kosten reduziert und mit geringeren Einnahmen geplant. Und gehofft, dass die Krise irgendwie vorbei geht.
Jetzt aber kommt wieder Bewegung in den Klassikmarkt - bei der freilich einige der kleineren Unternehmungen auf der Strecke bleiben könnten. Seit einiger Zeit versuchen nämlich manche Pop-Veranstalter, die bei den hohen Kosten und Gagenforderungen der Bands immer weniger Rendite sehen, nun auch im Klassikbereich mitzumischen.
Vorreiter ist der Berliner Peter Schwenkow, der mit seiner Deutschen Entertainment AG (DEAG) schon länger mit der Universal kooperiert, um deren Spitzenstars lukrativ mit Galakonzerten unters Volk zu bringen. Doch trotz massiver und teurer Werbung ist das ein enger Markt, international bekannte Künstler wie Anna Netrebko oder Lang Lang dürfen nicht zu oft auftauchen, sonst machen sie sich gemein. Außerdem steht für Massenveranstaltungen nur ein begrenztes Musikrepertoire zur Verfügung.
Plattenfirmen wie Universal oder Sony, die immer weniger Künstler vermarkten, dafür aber umso aufwendiger (wobei sich die Investition heute schneller rechnen muss), haben sich schon seit einiger Zeit vertraglich Prozentanteile an den Konzert-Einnahmen ihrer Künstler gesichert.
Dann freilich preschte im letzten Jahr der Netrebko-Agent Jeffrey Vanderveen vor, verließ spektakulär seine Firma IMG unter Mitnahme der prestigeträchtigsten Künstler, um unter dem Dach der Universal eine Rundum-Sorglos-Abteilung aufzuziehen, die nun auch noch die Konzerte und Sonderevents selbst vermarktet. Denn nur so, nicht allein mit CD-Verkäufen, ist noch Geld zu verdienen.
Auch wenn es zunächst dementiert wurde, ist das natürlich auch ein Angriff auf den Partner DEAG, den man faktisch nicht mehr braucht. Deshalb hat sich Schwenkow jetzt mit der ihre Klassikabteilung von New York ganz nach Berlin verlegenden Sony zusammengetan, wo der ehemalige Universal-Manager Bogdan Rosic seit kurzem das Sagen hat.
49 Prozent seiner DEAG verkaufte Schwenkow an die Japaner. Außerdem hat er schon seit einiger Zeit in Hamburg mit dem Ableger Elbklassik eine klassisch solide Agentur aufgebaut. Die wird jetzt auch in Berlin wirken und mit so unglamourösen, zum Teil schon lange eingeführten Künstlern wie Thomas Hengelbrock, Christoph Prégardien oder Elisabeth Leonskaja Konzerte veranstalten. In den eintönig gewordenen Berliner Markt kommt so ein wenig Bewegung.
Das hat die Universal nicht ruhen lassen. Denn ein Vanderveen mit seinen teuren Glitzerkünstlern, der im Übrigen unter hohem Amortisierungsdruck steht, macht noch keinen ganzen Klassiksommer. Zumal seine beiden multimedialen Events "Hoffmanns Erzählungen" an der New Yorker Metropolitan Opera und "Carmen" an der Wiener Staatsoper mit Netrebko, Garanca, Villazón & Co wegen Absagen, Krankheiten, anderen Rollen- und Kinderwünschen schon geplatzt oder zumindest hoch gefährdet sind.
Deshalb hat seine Universal Music Classical Management & Productions (UMCMP) jetzt die Annäherung an einen neuen Zusammenschluss deutscher Konzertveranstalter gesucht. Sie nennt sich First Classics und steht unter der Führung des hocheffizienten, aber in der Vergangenheit nicht unbedingt nur auf Qualität setzenden Münchner Agenturchefs Andreas Schessl. Deutschlands größter Orchestertourneeveranstalter, die renommierte Hannoversche Agentur Schmid, sitzt mit im Boot. So will Vanderveen das Sony/Schenkow-Bündnis in Schach halten.
Es wird interessant sein zu verfolgen, was dieses Duell der Giganten in den nächsten zwei Jahren für Auswirkungen auf den deutschen Klassikmarkt hat. Entweder gibt es wieder blühende Konzertlandschaften oder verbrannte Erde. Kollateralschäden in der bisher kleinteilig und lokal organisierten Branche werden wohl nicht zu vermeiden sein.