Am Donnerstag kommt “Vicky Cristina Barcelona“ mit Scarlett Johannsson und Penelope Cruz in die Kinos. Im Gespräch mit Morgenpost Online erklärt Regisseur Woody Allen seine neue Vorliebe für Europa. Er hat immer fest an ein Bild geglaubt. “Wenn es nicht stimmt – dann sagen Sie’s mir nicht.“

Musste man nach den letzten beiden Film befürchten, die Kreativität des 73-Jährigen sei reif für den Ruhestand, so überrascht Woody Allen mit der leichtfüßigen Tragikomödie „Vicky Cristina Barcelona“ mit der Star-Besetzung Penelope Cruz, Scarlett Johannsson und Javier Bardem.

Nicht nur dass er zum ersten Mal in Spanien drehte, auch die Mischung aus Romantik und Melancholie mit ihren souverän aus dem Ärmel geschüttelten Handlungswendungen ist ein Novum in seiner Karriere. So gesehen dürfte ein Wunschtraum Allens weiterhin unerfüllt bleiben – seine eigenen Filme zu vernichten.

Morgenpost Online: In Ihrem Film „Vicky Cristina Barcelona“ taucht ein Künstler auf, der sich weigert, seine Werke der Öffentlichkeit zu zeigen. Kam der Gedanke auch Ihnen schon mal?

Woody Allen: Sehr häufig sogar. Wenn ich Prosa schreibe, werfe ich extrem viel in den Papierkorb, weil es so schlecht ist, dass niemand das sehen soll. Bei Filmen habe ich oft das gleiche Bedürfnis. Aber so sehr ich meine Arbeit hasse, ich muss sie herausbringen – schließlich habe ich dafür 15 Millionen Dollar ausgegeben, die nicht mir gehören.

Morgenpost Online: Welche Ihrer Filme hätten Sie gerne in den Müll gesteckt?

Allen: Als ich zum ersten Mal „Manhattan“ sah, dachte ich, das ist nicht das, was ich machen wollte.

Morgenpost Online: Immerhin ein Werk, das als eines Ihrer besten gilt und Ihnen eine Oscarnominierung einbrachte.

Allen: Ja, aber ich war der Auffassung, dass meine ursprüngliche Idee nicht dabei herüber kam. Also ging ich zum Studio United Artists und sagte: „Bitte bringt diesen Film nicht heraus. Als Entschädigung mache ich einen für euch umsonst.“ Aber man erklärte mir, dass das verrückt sei. Schließlich hätte man dafür einen Kredit aufgenommen und müsste Zinsen zahlen. Also kam „Manhattan“ in die Kinos, und wie sich herausstellte, war er ein großer Erfolg.

Morgenpost Online: Wie erleichtert waren Sie?

Allen: In keiner Weise. Wenn du deinen Film nicht magst, was mir eben immer wieder passiert, und das Publikum liebt ihn, dann fühlt sich das gar nicht gut an. Es wäre mir viel lieber, wenn ich von meiner eigenen Arbeit begeistert wäre und sie gefällt keinem Menschen. Denn das letztere wäre mir egal. Dann hätte ich immer noch die Sicherheit, dass ich einen guten Job als Künstler gemacht habe. Aber andersrum denke ich nur: ‚Die Leute verstehen nichts, sie sind viel zu nachsichtig.’ Das ist schrecklich!

Morgenpost Online: Welches Gefühl hatten Sie bei „Vicky Cristina Barcelona“?

Allen: Gar keines. Ich war mir nicht sicher, ob ich versagt hatte oder nicht. Denn diese Art von Film hatte ich noch nie gedreht. Ich arbeitete mit zwei spanischen Schauspielern in einem anderen Land. In einigen Szenen ließ ich sie auf Spanisch improvisieren, ich verstand kein Wort davon. In diesem Falle war ich wirklich neugierig, wie die Leute reagieren würden.

Morgenpost Online: Können Sie sich erklären, warum die Reaktionen so positiv waren?

Allen: Nein. Warum das Publikum so oder so empfindet, ist mir ein Rätsel. Gerade weil es so oft meiner eigenen Wahrnehmung widerspricht. Wenn es sich für einen Film begeistert – was ja auch schon bei „Match Point“ passiert ist – dann ist das purer Zufall.

Morgenpost Online: Vielleicht liegt es an der Stimmung romantischer Leichtigkeit, die den Film durchzieht. Hat Barcelona etwas in Ihnen gelöst?

Allen: Das mag damit zu tun haben, wobei die Geschichte ja eher traurig endet. Aber wenn ich als Filmemacher an einen neuen Ort reise, dann entwickle ich eine persönliche Begeisterung, weil ich alles mit frischem Blick sehe. Ich entdecke schöne Plätze oder gute Restaurants, die ich mit dem Publikum teilen möchte. Das passierte mir schon in London, wo ich meine letzten drei Filme drehte, und das wiederholte sich in Barcelona. So etwas gibt mir eine positive Energie.

Morgenpost Online: Eine sehr positive Energie offenbar. Ihr Film zeichnet ja ein überaus verklärtes Bild von Europa.

Allen: Es gibt in der amerikanischen Literatur, angefangen mit Henry James, die Vorstellung, dass Europa ein geheimnisvollerer, kosmopolitischer, kulturell weiter entwickelter und sexuell freierer Kontinent als das puritanische Amerika ist. Der Mythos besagt auch, dass amerikanische Besucher durch diese Erfahrung für immer verändert werden. Ich kenne dieses Bild speziell aus den europäischen Filmen, die ich als junger Mann sah. Und ich habe immer daran geglaubt. Wenn es nicht stimmt – dann sagen Sie’s mir nicht. Denn ich will weiter daran glauben.

Morgenpost Online: Erinnern Sie sich an Ihre erste Europareise?

Allen: Das war 1965 – als ich am Drehbuch zu „Was gibt’s Neues, Pussy?“ schrieb, flog man mich ein. Erstmal nach London, das war aber kein großer Unterschied zu den USA, aber dann kam Rom. Da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass ich in einer fremden Welt bin. Zuletzt landete ich in Paris. Ich bedaure heute noch, dass ich nicht da geblieben bin. Zwei Mädchen aus New York, die die Kostüme für den Film machten, ließen sich nieder. Aber ich hatte nicht den Mut dazu.

Morgenpost Online: Wären Sie dort ein glücklicherer Mensch geworden?

Allen: Schwer zu sagen. Aber New York war eine gute Alternative. Die Leute sagen auch, ich hätte eine romantisierte Sicht dieser Stadt, ganz anders als ein Martin Scorsese oder Spike Lee. Nun – das ist eben das New York, wie ich es wahrnehme. Und jetzt erlebe ich eine besonders glückliche Phase in meinem Leben – mir geht es viel besser als meinen Filmfiguren.

Morgenpost Online: Was ist aus Ihrem notorischen Pessimismus geworden?

Allen: An dem hat sich nichts geändert. Ich nehme ja durchaus Schönheit wahr. Schon allein mit Hauptdarstellerinnen wie Scarlett Johansson und Penelope Cruz arbeiten zu können, ist ja eine hoch angenehme Erfahrung. An Orten wie Barcelona werde ich von den Intensität des Lebens überwältigt – der Strand, die Menschen, die Palmen, die Architektur – das alles ist traumhaft, aber es hat keine Dauer. Denn dein Leben ist ja ganz schnell vorbei. Manche Leute vermögen seine Genüsse trotzdem zu schätzen, aber ich finde in letzter Konsequenz alles ganz traurig. Für mich wird das Glas immer halb leer sein.

Morgenpost Online: Wann leiden Sie am meisten?

Allen: Wenn ich versuche, eine Idee für einen neuen Film zu finden. Da kann es passieren, dass mir Tage absolut nichts einfallen will. Das ist eine regelrechte Qual.

Morgenpost Online: Trotzdem sind Sie produktiver als die meisten Kollegen. Woher nehmen Sie die Energie, jedes Jahr einen Film zu machen?

Allen: So schwer ist das nicht. Wer hat schon einen Job, wo er nur ein Projekt pro Jahr abwickelt? Ein Schullehrer unterrichtet mehrere hundert Stunden, ein Doktor behandelt 10.000 Patienten. Einen Film pro Jahr zu drehen, ist nicht schwierig. Ein Regisseur, der das Gegenteil behauptet, der macht sich bloß wichtiger als er in Wirklichkeit ist.

Morgenpost Online: Wird Ihr nächster Film wieder an einem romantisch aufgeladenen Schauplatz spielen? Oder könnten Sie sich auch einen ganz faden Ort vorstellen?

Allen: Der Film, der als nächstes heraus kommt, der entstand in New York. Denn ich musste vor dem möglichen Schauspielerstreik fertig sein. Also war ich gezwungen im Frühsommer zu drehen, und in dieser Zeit gehen meine Kinder zur Schule. Ich kann sie also nicht einfach nach Europa schleppen, so gern ich das getan hätte. Aber grundsätzlich ist jeder Ort denkbar.

Morgenpost Online: Jeder?

Allen: Das würde ich sagen. Mich fragte eine Frau aus Usbekistan, ob ich dort mal etwas machen möchte. Und ich würde ernsthaft darüber nachdenken. Solange man mir dort das notwendige Geld gibt. Und vorausgesetzt, mir fällt etwas ein.