„Is’ schon komisch“, sagt die Frau an der Kasse. „Ich bin ja schon wer weiß wie viele Jahre hier.“ Sie zuckt mit den Schultern und zieht mein Schokomüsli über den Scanner. Ein Vormittag beim Kaiser’s in Prenzlauer Berg. Noch gut zwei Wochen, dann ist hier Schluss. Also, zumindest für den Namen, denn dieser Supermarkt wird bald ein Rewe sein. „Tja“, sage ich, und überlege, was man in Berlin jetzt wohl antwortet. So viele Supermarktübernahmen habe ich noch nicht miterlebt, ein Handbuch gibt es auch nicht für so eine Situation. Ich entscheide mich für „toi, toi, toi“, das ist nie verkehrt. Und: „Ich werd’ den Kaiser’s auch vermissen.“
Und das stimmt sogar, wie mir auf dem Heimweg bewusst wird. Kaiser’s, das ist für mich ein Stück Berlin, und ich bin jetzt wirklich ein bisschen traurig, dass der Supermarkt mit dem roten Schriftzug und dieser komischen gelben Kaffeekanne im Logo für immer aus dem Straßenbild verschwinden soll. Kaiser’s, mach’s gut, du wirst mir fehlen. Ade, alter Freund. Time to say goodbye.
Als ich im Januar 2009 aus Norddeutschland nach Friedrichshain zog, war der Kaiser’s an der Warschauer Straße meine erste Anlaufstelle. Damals noch ziemlich verranzt, aber ein Supermarkt mit Türstehern! Wahnsinnig aufregend fand ich das. Wegen eines mageren Volontärgehalts und langer Nächte in Kreuzberger Kneipen konnte ich mir damals meist nur Ravioli, Cornflakes und sauren Chardonnay mit Schraubverschluss leisten.
Aber der Kaiser’s war zuverlässig da, erst bis 22 Uhr und nach der Renovierung sogar rund um die Uhr, was manchmal ganz schön merkwürdig war. Es gibt wirklich Menschen, die kaufen nachts um halb drei Maasdamer, Haferflocken und Milch. Na ja, was auch sonst. Für Bier sind ja die Spätis da.
Das Reinickendorf unter den Supermärkten
In meiner heutigen Stamm-Filiale an der Pappelallee in Prenzlauer Berg gibt es zwar keine Türsteher, die Einkaufszeiten haben sich geändert, und aus dem Chardonnay ist Grauburgunder geworden – doch im Kaiser’s ist noch alles gleich. Bodenständig. Ehrlich. Unaufgeregt. Sozusagen das Reinickendorf unter den Supermärkten. Rewe und Edeka, die jetzt in die Kaisers-Märkte ziehen, sind dagegen irgendwie durchgestylter und schicker. Wie Mitte eigentlich. Mitte ist gut, keiner kann etwas gegen Mitte haben. Aber manchmal muss es eben doch einfach Reinickendorf sein.
In manchen Filialen hat der Umbau schon angefangen. An der Schönhauser Allee in Pankow zum Beispiel wurde am vergangenen Donnerstagmorgen das Kaiser’s- durch das Rewe-Schild ersetzt. Oder in Tempelhof an der Großbeerenstraße, wie eine enttäuschte Kundin mit einem traurigen Emoji bei Facebook auf die Kaiser’s-Seite schreibt.
Ja, der Mensch ist nun einmal ein gefühlsseliges Gewohnheitstier. Ein Nostalgiker und Traditionalist, der es mag, wenn Dinge so bleiben, wie sie sind. Viele waren damals ja auch ganz betrübt, als Plus plötzlich Netto hieß, als Raider zu Twix wurde, Hertie zu Karstadt oder die Dea-Tankstellen zu Shell. Schon komisch. Die Produkte und Läden werden dadurch ja nicht schlechter.
Balsam für die gehetzte Großstädter-Seele
Ich glaube, es beschleicht einen einfach unterschwellig das Gefühl von Vergänglichkeit. Auch wer in dem kleinen Plattenladen an der Ecke noch nie eine Platte gekauft hat, geschweige denn überhaupt einen Plattenspieler besitzt, ist dennoch traurig, wenn er irgendwann verschwindet. Beständigkeit ist einfach Balsam für die gehetzte Großstädter-Seele, die sich in Berlin ja ständig mit neuen Shoppingmalls und Riesenbaustellen herumschlagen muss.
So. Und jetzt ist also Kaiser’s bald Vergangenheit. Ich kann die Kassiererin gut verstehen, dass es ihr schwerfällt, das Kaiser’s-Poloshirt gegen eine Rewe-Klamotte zu tauschen. Immerhin ist Rot weiterhin die Farbe der Wahl. Ein bisschen bleibt also noch alles so, wie es mal war. Zum Glück. Aber vielleicht gehe ich jetzt zur Sicherheit noch schnell einen Jahresvorrat Schokomüsli kaufen.
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