Oft sieht es ja so aus, dass Freunde oder die Familie (vorzugsweise die eigene Mutter) ankommen und sagen: „Du siehst müde aus. Mach doch mal Yoga.“ Oder auch kritischer: „Du verbringst nicht genug Zeit mit deinen Kindern. Du bist immer so gestresst.“ Und natürlich (also zumindest ich) rollt man dann mit den Augen. Weil jede berufstätige Mutter tief in ihrem verwundbarsten Inneren weiß: Es stimmt. Aber da die Vereinbarkeitslüge real, Homeoffice der Witz des Jahrhunderts und Kinder mit Karriere-Ambitionen in Deutschland nicht kompatibel sind, MACHE ICH EINFACH SO WEITER. Weil es die Wahl nicht gibt.
Es tut manchmal weh, seine Kinder morgens zu drücken und zur Arbeit zu rennen. Glücklich sind die, denen es weniger so geht, weil sie es schaffen, dem bescheuerten schlechten Gewissen auszuweichen. Dazu kommt, dass unser Sommer sehr stressig war. Wenn ich ihn in ein Bild gießen müsste, dann wäre es meine Tochter, mein Sohn und ich, während wir gerade zu einem MEINER Termine laufen. Und nun ist der Sommer eben zu Ende, und es hätte alles so weitergehen können, wäre da nicht diese Gesprächsrunde am Mittwochmorgen gewesen. Für den Sender RTL sollten zwei berufstätige Mütter und ich den Vorfall um Madeleine Henfling kommentieren. Die Grünen-Abgeordnete hatte vergangene Woche den Thüringer Landtag verlassen müssen, weil sie ihren sechs Wochen alten Sohn in einer Trage mitgebracht hatte.
Die Mütter und ich sollten für die Sendung „Punkt 12“ den Vorfall diskutieren. Ich vertrat wie gewohnt meine Position, dass berufstätige Mütter alles dürfen sollten, um nicht in der gesellschaftlichen Isolation zu sein, dass alles andere unfeministisch wäre. Die beiden anderen Mütter (sehr patente, freundliche, auch alleinerziehende Frauen) fanden wiederum, dass es mehr Betreuungsmöglichkeiten geben sollte – auch richtig. Aber lange Rede, kurzer Sinn, irgendwann ging die Kamera aus, und wir saßen noch eine Weile im Halbdunkeln auf unseren Stühlen und plauderten. Und von Hölzchen auf Stöckchen kamen wir auf das Thema, wann denn unsere Kinder so ins Bett gingen. Ich erzählte auf Nachfrage, dass wir noch so im Sommerrhythmus seien und meine Kinder am Wochenende etwa bis halb neun schliefen, weil sie so um neun Uhr ins Bett gingen. Die beiden schauten sich an. Plötzlich sagte die eine von ihnen: „Wie, die schlafen bis halb neun am Wochenende? Das würde bei meinen gar nicht gehen.“
„Na ja“, erwiderte ich, „aber es ist ja auch manchmal ganz schön, die halbe Stunde länger zu schlafen. Es ist ja Wochenende.“ Beide schüttelten wieder den Kopf, und eine von ihnen sagte: „Ja, um neun Uhr sind wir doch längst auf einem Ausflug. Wenn wir nicht früh genug losgehen, beschweren sich meine Kinder, dass sie nicht lang genug im Wasser waren oder im Zoo.“ Und dann fragte mich die andere: „Macht ihr denn keine Ausflüge?“
Das saß. Die Frage traf mich unerwartet, ein Gefühl des Versagens bohrte sich unerwartet in mein Herz. Was für eine süße, unschuldige Frage, die das absolut Selbstverständlichste des Elternseins zutage fördert. Denn was nützt der Termin-Sprint, die Yoga-Zehnerkarte, der ganze Feminismus-Talk, wenn ich nicht einmal genug bei mir selbst bin, um einen Tag die Woche intensiv Zeit mit meinen Kindern zu verbringen? Familienzeit, das Wort klingt so schrecklich tantig und spießig, aber meinen Kindern ist das egal. Sie wollen ins Lego-Center. Schon so lange. Und ich habe immer Nein gesagt. Bis jetzt. Nun habe ich Karten gekauft. Und wir wollen um Punkt neun Uhr los. Ich weiß, ich werde es bereuen.
Caroline Rosales liest am 13. September in der Buchbox (Kastanienallee 97) aus ihrem Buch „Single Mom“

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