Berlin. Warum es sich lohnt, in Berlin die Wochenmärkte zu besuchen – und was man dabei vor der eigenen Haustür erleben kann.
Man kennt das ja aus dem Urlaub – um wirklich zu erleben, wie andere Kulturen leben, sollte man Märkte besuchen. Es gibt weltberühmte wie die Antiquitätenmärkte von Paris, verrückte wie die Night Markets von Bangkok. Die spannendsten, finde ich, sind aber oft die schlichten Landmärkte.
Dort erfährt man nicht nur, wie andere Menschen wirklich leben und essen. Spricht man die Sprache, kann man nebenbei Volkes Stimme lauschen, versteht man kein Wort, macht es auch nichts, ein Markt ist ja immer auch Theater. Und schaut man genauer hin, sieht man auch, was den Menschen fehlt. Mal werden technische Ersatzteile zu Wucherpreisen angeboten, im schlimmsten Fall sind es Grundnahrungsmittel.
Die Menschen vor meiner Kreuzberger Haustür leben demnach in einer nahezu perfekten Welt. Seit einigen Jahren hat sich dort ein kleiner Biomarkt etabliert, mit regionalen und anderen Produkten. Man erfährt viel über denen Herkunft und Produktion, viel mehr aber noch über die Kreuzberger selbst.
Wochenmärkte haben viel zu bieten
Schon von Weitem empfangen einen am Südstern die Schilder: „Bioland“, „Biosphäre“, „Gärtnerinnenhof“. oder auch: „Trinkt mehr Wein aus Österreich!“ – Rohmilchkäse rockt!“. Es klingt wie eine Mischung aus dem Ökotraum der Studenten-WGs in 80er-Jahren und der Delikatessenabteilung im KaDeWe, wofür auch die Preise sprechen. Es gibt Wurst aus der Auvergne oder von der „Schweinemeisterei“ aus dem Brandenburgischen, Honig aus Schönefeld, Schwarzkümmelöl aus dem Orient und ja, auch goldene Milch nach ayurvedischem Rezept. Und natürlich wie immer handgeschabte Spätzle und echte Maultaschen. Denn zur Kreuzberger Wahrheit gehört, dass die Schwaben hier schon viel länger zu Hause sind als in Prenzlauer Berg.
Eigentlich hatte ich neulich nur kurz etwas kaufen wollen, aber dann verlor ich mich doch zwischen den Ständen. Neu im Angebot sind zum Beispiel selbstgehäkelte Gemüsenetze. „No waste – nie wieder Plastiktüten mit Obst und Gemüse!“ Neben mir befühlten zwei Frauen achtsam das Gehäkelte. Die eine wirkte etwas kritisch wegen der Deko-Äpfel aus Plastik in einem der Netze. Die andere klang eher verträumt: „Meine Oma hatte auch so eins ...“
Der Ökomarkt ist ein Markt der Sehnsucht. Nach dem einfachen Landleben, nach der guten alten Zeit, als „Bratwurst“ noch in Fraktur geschrieben wurde (oder enthielt das Schild doch eine versteckte politische Botschaft?) – und gleichzeitig nach der fernen Welt. Neuerdings gibt es sogar karibisches Streetfood.
„Kreuzberger Wasser“ - kein Scherz
Ich blieb einen Moment an einem Stand stehen, der „Kreuzberger Wasser“ anbot, was ich erst für einen Scherz hielt, ähnlich wie die „Berliner Luft“, aber es war keiner. „Wir liefern für Sie nach Hause – in Gallonen“, der Verkäufer hatte den einnehmenden Tonfall eines Verkünders und reichte allen Interessierten durchsichtige Plastikbecher wie einen magischen Trank. Die Besucher neben mir sprachen nur Englisch. Möglich, dass sie sich von der Kraft des Kreuzberger Wassers überzeugen ließen.
Am Obststand schließlich fühlte ich mich schon wieder zu Hause. Ein Mann in karierten Shorts und Plauze wendete mit kritischem Blick eine Pappschale hin und her. In der Packung leuchteten die Kirschen tiefrot und glänzend, doch der Kunde schien nicht zufrieden. „Sind die ooch unten jut?“, berlinerte er – und kippte, bevor die Verkäuferin antworten konnte, die ganzen Kirschen schwungvoll über den Tresen. Die Hälfte kullerte auf den Boden, und ich wusste wieder, wo ich war – in Berlin, Kreuzberg. In der wirklichen Welt.