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Zusammen statt allein

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Auf einem Industriegebiet in bester City-Lage wird von33 Architekten ganz kollegial die Werkbundstadt Berlin gebaut

ELISABETH SCHWIONTEK

Mit einem ungewöhnlichen Planungsverfahren, ohne öffentliche Förderung und auf einem Industriegebiet in bester Stadtlage plant der Deutsche Werkbund ein neues City-Quartier. Neben dem Heizkraftwerk Charlottenburg sollen rund 1200 Wohnungen entstehen. 33 Architekturbüros aus Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden entwerfen die Häuser zwischen der Quedlinburger Straße im Norden und der Spree im Süden. Baubeginn könnte Ende 2018/Anfang 2019 sein.

Noch ist das rund 29.000 Quadratmeter große Areal der künftigen Werkbundstadt eine Lagerfläche mit riesigen Öltanks – ein Industriegebiet, das der Werkbund in ein urbanes Quartier verwandeln will. Kollegiale Zusammenarbeit statt der sonst üblichen Konkurrenz um Prestige und Aufträge: Claudia Kromrei, Vorsitzende des Berliner Werkbundes, bezeichnet das 2015 begonnene Planungsverfahren als „gelungenes Experiment“. 33 Architekten wurden eingeladen, darunter Arno Brandlhuber, Hans Kollhoff, Klaus Theo Brenner und Christoph Mäckler. Gemeinsam haben sie in sieben Workshops das Modell einer funktional und sozial gemischten, dichten Stadt erarbeitet – mit Diskussionen und Losverfahren statt einer Juryentscheidung. Die Ergebnisse wurden im Herbst 2016 vorgestellt. Fünf kleinere Blöcke, eine lange Hausreihe, ein zentraler Platz bilden das neue Stadtquartier. Häuser in unterschiedlicher Höhe, Größe und Gestaltung sorgen für Vielfalt. Auf den Straßen sollen Autos fahren, aber nicht parken. Die Planer setzen auf Carsharing, Fahrräder und Elektroautos.

Mit dem ehrgeizigen Projekt in Berlin will der Werkbund an die Innovationskraft längst vergangener Tage anknüpfen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehörte der 1907 gegründete Zusammenschluss von Künstlern, Architekten und Unternehmern zur internationalen Architektur- und Design-Avantgarde. Mit der Siedlung Am Weißenhof in Stuttgart setzte der Werkbund 1927 einen Meilenstein der Architekturgeschichte. In Brünn, Breslau, Prag und Wien entstanden danach weitere Musterhaussiedlungen der Moderne.

Bei allem Stolz auf die Tradition: Zeitgemäßes, modernes Wohnen sieht heute anders aus als vor hundert Jahren. „Wir bauen keine Siedlung am Rande der Stadt, sondern ein urbanes Quartier mit kurzen Wegen – eben eine Werkbundstadt“, sagt Claudia Kromrei. Im Planungsprozess geht es nicht nur um städtebauliche und architektonische Qualität, sondern auch um die Frage, welche Flächen für das Wohnen in der Stadt überhaupt noch zur Verfügung stehen. Claudia Kromrei: „Berlin hat viele Industrieareale in verdammt guter Lage. Wie wir solche Gebiete für Wohnzwecke nutzen können, ist ein hochaktuelles Thema.“

Auch das Bundesbauministerium setzt sich für ein leichteres Nebeneinander von Gewerbebetrieben, Wohnungen und sozialen Einrichtungen ein. Im Städtebaurecht gibt es deshalb die neue Baugebietskategorie „Urbane Gebiete“. Sie erlaubt den Kommunen, künftig auch in Gewerbegebieten Wohnungen zu bauen. Ziel ist, das Miteinander von Wohnen und Arbeiten in den Innenstädten zu erleichtern und neue Möglichkeiten für den Wohnungsbau zu schaffen.

Die will der Werkbund nutzen. „Das Bebauungsplanverfahren ist auf den Weg gebracht“, sagt Projektleiterin Corinna Scheller. Die Zusammenarbeit mit der Genehmigungsbehörde, dem Bezirk Charlottenburg, sei sehr gut. Die drei Eigentümer des Grundstücks, darunter der Hamburger Projektentwickler Plus Bau, haben ihre Zustimmung zu einem städtebaulichen Vertrag gegeben, nach dem 30 Prozent der Wohnfläche mietpreis- und belegungsgebunden sind.

Plus Bau wollte an der gleichen Stelle früher großflächigen Einzelhandel ansiedeln – was der Bezirk ablehnte. An der Werkbundstadt will das Unternehmen nicht mitbauen. Corinna Scheller: „Wir sind in Verhandlungen mit potenziellen Investoren, die das Grundstück erwerben und die Werkbundstadt finanzieren.“ Die Berliner Werkbund-Vorsitzende Claudia Kromrei ist zuversichtlich: „Bei allen Anpassungen, Änderungen und Kompromissen, die es geben wird: Die Geschwindigkeit und Dynamik, die das Projekt entwickelt hat, möchten wir beibehalten.“

www.werkbundstadt.berlin