BIZ

„Es ist sinnvoll, dass sie bei mir sind“

| Lesedauer: 8 Minuten
Von Andreas Tölke

Wie hilft man den Flüchtlingen in Berlin? Viele spenden Geld oder Dinge, andere helfen mit. Unser Autor stellte spontan seine Wohnung zur Verfügung

Ich hab doch ‘nen Knall. 120 Quadratmeter Designerbutze, die grade für eine Homestory geknipst wurde und ich mache die Tür auf für... Ja für wen eigentlich? Ich kenne die Leute ja garnicht.

Was ist, wenn der 1.90 große Ägypter mit Armen wie Popeye nachts am Bett steht und mich meucheln will? Was ist mit meinem Portemonnaie? Mit dem iPad? Und dem ganzen anderen Kram, an dem mein Herz hängt? Ganz normale Gedanken als Sonntagabend die fünf Männer bei mir vor der Tür stehen, die sonst, nach einem Wolkenbruch, im Matsch vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) in Berlin Moabit die Nacht verbracht hätten.

Die Behörde kämpft sich durch eine Flut von Flüchtlingen, und ohne die freiwilligen Helfer von „Moabit hilft“ wäre im wahrsten Sinne des Wortes Land unter. Fast 200 Leute, Christen, Atheisten, Muslime, Juden opfern ihre Freizeit, ihren Urlaub, um wildfemde Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen. Buchstäblich! Wasser gab es bei 36 Grad auf dem Gelände nämlich nicht. Bis zu 700 Menschen kommen hier an. Jeden Tag. Ist das schlecht? Keine Ahnung, ich bin weder der Papst noch Angela Merkel.

Und das ist auch gut so, denn ehrlich gesagt versagt an dem Punkt aus meiner Warte sowohl der eine als auch der andere. Obwohl ungeschlagen die Top Ten der Versager Pegida & Co anführen, deren Berliner Ableger allen Ernstes vor dem LaGeSo eine dieser beknackten „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen....“-Demos aufführen.

Egal. Bei mir stehen fünf Männer, drei Ägypter, ein Moldawier, ein Bosnier. Dem ersten, der jetzt bei Bosnien denkt „Wirtschaftsflüchtling“, sei mit auf den Weg gegeben: Der Bosnier ist mit 17 1/2 Jahren aus seinem Kaff, das von einer Flutwelle zerstört wurde, geflüchtet. Weg von seiner Familie, die auf der Straße lebt, dem alkholkranken Vater und – das war zwischen den Zeilen zu hören – häuslicher Gewalt.

In Deutschland kam er in ein Heim für Kinder und Jugendliche, und sein Geschenk zum 18. Geburtstag war: Obdachlosigkeit. Ein Volljähriger muss schließlich selber sehen, wo er bleibt. Sein Lachen hat er auf der Odysse nicht verloren und wie die anderen vier, die durchnässt vor der Tür standen, verschwindet auch er im Bad. Eine Dusche, Normalität für uns, für die Fünferbande reiner Luxus.

Ach ja, der Luxus. I love Luxus. Der Bosnier auch, nach zweistündigem Dauerduschen kam er umhüllt von einer Wolke Etro Patschouli zum Abendessen. Hat ihm mein Tom Ford Extreme nicht gefallen? Er grinst. Ehrlich gesagt: das kann ich aushalten, dass ich in mein Schlafzimmer gehe und die Tür hinter mir zumache, während fünf Männer auf (dünnen) Matratzen schnarchen. Selig schnarchen.

Der Akopad auf Beinen (ein ganzkörperbehaarter Moldawier) ist schon während des Essens beinahe eingeschlafen und ist, wohl auch mangels einer gemeinsamen Sprache, sofort in „sein“ Bett. Die drei Ägypter erzählen. Pardon, eigentlich nur zwei, denn einer spricht nur Arabisch und meins ist so ein bisschen eingerostet (kleiner Scherz). Kein Scherz: Vom LaGeSo werden sogenannte Laufzettel ausgegeben mit den Terminen, die die Flüchtlinge zur medizinischen Untersuchung, zur Geldausgabe, zur Identitätsfestellung haben. Die Laufzettel sind in welcher Sprache? Richtig. Deutsch. Und zwar nur.

Ein deutscher Laufzettel

Das muss klasse sein, wenn man nach zig Wochen hier ankommt und als Crashkurs in landeseigener Zunge erstmal Behördendeutsch übersetzen muss. Wie dem auch sei, an meinem Küchentisch ist Sprache Trumpf, einer der Ägypter ist Student der Vergleichenden Literaturwissenschaften, spricht fünf Zungen. Und Popeye, der mit 15 Jahren nach Italien „verkauft“ wurde, hat auf dem Bauernhof, auf dem er gearbeitet hat, die Sprache fließend sprechen gelernt. Mit 17 wurde er von der Polizei entdeckt und dann kam das, was allen dreien gemeinsam ist: Der große Aufstand am Tahir-Platz in Kairo.

Doch die Hoffnung auf Demokratie endete in Verfolgung. Die drei also über Libyen nach Lampedusa, durch Italien nach München und von dort nach Berlin. Jetzt müssen sie um sechs Uhr morgens in die U-Bahn zum LaGeSo und da wieder in die Schlange, die sich schon nachts bildet. Wenn um acht Uhr die Behörde öffnet, geht die Schlacht um eine Nummer, die Bearbeitung garantiert, wieder los. Meine Männer sind untergekommen, und ich war plötzlich auf dem Radar von Sebastian Weist, der sie mir frei Haus geliefert hat.

Sebastian aus dem Orga-Team von „Moabit hilft“ ist seit 14 Tagen im rollenden Einsatz und isst zu wenig. Sebastian, iss was! Kennzeichen der Freiwilligen von „Moabit hilft“: Unfassbar gute Umgangsformen (die Flüchtlinge werden in der Regel als Gäste bezeichnet), Fröhlichkeit und Dauereinsatz. Woher ich das weiß? Ich bin hingegangen und habe es mir selber angeschaut. Im Schlepptau von Tanya Neufeldt, die mir den Draht zur Gruppe gemacht hat. Ein glücklicher Zufall dank Facebook.

Nach dem Besuch hing ich zwei Stunden am Telefon, weil die beiden Jungs aus dem Irak weg von der Straße mussten. Und Lulu, die im neunten Monat ist und stressbedingt ihre ersten Wehen hatte, ja schlecht im Park gebären konnte und die zwei Männer mit der schwangeren Frau auch mal ausschlafen wollten. Die drei sind über das Mittelmeer. Eigentlich zu viert, aber das Kleinkind hat geschrien und wurde von den Schleppern über Bord geschmissen. So, jetzt kurz Atem holen. Geht´s wieder?

Die drei lachen sich nämlich gerade kaputt, weil mein Hund, Herr Müller, ihnen in einem unbeobachteten Moment das auf der Wiese abgestellte Essen wegfrisst. Müller, du Sau!

Egal, ich habe „sturmfreie“ Bude und nehme eine fünfköpfige Familie mit. Die Habibis aus Afghanistan. Oma, über 80, Vater, Mutter und zwei Söhne. Die wohnen jetzt erstmal bei mir. Wie die beiden Jungs bei meinem Freund Gerd, die beiden älteren Männer bei meiner Freundin Ulrike und Lulu bei Hilla. Wobei Lulu Hilla richtig auf die Ketten geht, das ist nämlich eine... mmm... kann man das sagen? Ach was: eine Tusse. Es sind Menschen, die da kommen, da sind nette dabei, welche, die einem egal sind und welche die bezaubern. Ganz normal. Wie wir. Und was ich mache ist eine ganz, ganz kleine Nummer.

Kostet wenig Mühe, sammelt Karma-Punkte und auf meine „Armani Casa“ lasse ich ausnahmsweise mal jeden. Aber nur so lange, wie ich das will. Man muss klar sagen, was möglich ist. Darum verkünde ich als erstes, dass es nur für eine Nacht ist. Dann kann man ja weitersehen. Und so machen es meine Freunde auch.

Mittlerweile sind es acht Wohnungen nur aus meinem Netzwerk, die Plätze zur Verfüngung stellen. Wir wissen alle, dass unser Angebot begrenzt ist und wir wissen alle, dass nicht jede Geschichte stimmen muss. Aber wenn mir abends die Habibis Fotos ihrer ermordeten Freunde zeigen (und zwar die, auf denen auch mal gemetzelte Leichen zu sehen ist) dann weiß ich: Es ist sinnvoll. Dass sie hier sind. Und dass sie bei mir sind.

Der Text erschien zuerst im Magazin „Grazia (Nr. 36 vom 27. August 2015).