Großflughafen

BER-Debakel ist auch für Matthias Platzeck eine Blamage

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Gudrun Mallwitz

Nach Absage der Eröffnung wurde zunächst vor allem Wowereit kritisiert. Mittlerweile wird Platzeck eine große Mitverantwortung angelastet.

Im Brandenburger Landtag hatte Matthias Platzeck neulich die Lacher endlich wieder einmal auf seiner Seite. „Ich hätte da mal einen Wunsch“, rief er dem stellvertretenden CDU-Fraktionschef Dieter Dombrowski zu. „Wenn Sie das nächste Mal meinen Rücktritt als Regierungschef fordern, sprechen Sie frei, mit Empörung, mit Emphase – und lesen Sie nicht das ab, was Ihnen Ihre Fraktionschefin Frau Ludwig aufgeschrieben hat.“

Der Versuch, sich über seine Kritiker lustig zu machen, gelang – aber nur für einen Moment. Seit Monaten sind es der brandenburgische Ministerpräsident und sein Parteifreund in Berlin, Klaus Wowereit, über die sich alle lustig machen.

Kritik galt zunächst Wowereit

Nach der kurzfristigen Absage der Eröffnung des Airports für den 3. Juni hatten Hohn und Kritik zunächst vor allem Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit getroffen. Doch mittlerweile gilt in der öffentlichen Wahrnehmung auch sein sozialdemokratischer Amtskollege in Brandenburg als Mitverantwortlicher für das BER-Chaos und die weltweite Blamage. Die bisherige Bilanz des berlin-brandenburgischen Flughafendesasters: eine dreimal verschobene Eröffnung, Mehrkosten bis dato von knapp 1,2 Milliarden Euro – und ein nicht enden wollendes Chaos bei der Planung und auf der Baustelle. Dem Aufsichtsrat unter Wowereit und Platzeck als dessen Stellvertreter scheint die Kontrolle über das größte Infrastrukturprojekt Ostdeutschlands komplett entglitten zu sein. Die schonungslose Analyse des neuen Chefplaners Horst Amann klingt erschütternd.

Obwohl auf Brandenburger Boden in Schönefeld gemeinsam mit dem Bund geplant, galt der neue Flughafen immer als Berliner Projekt. Matthias Platzeck hingegen durfte sich bis zur geplanten Eröffnung am 3. Juni dieses Jahres mit den wütenden Brandenburgern im Umfeld des Flughafens herumschlagen. Sie bekommen den meisten Fluglärm ab und sollten dann auch noch mit zu billigem Lärmschutz abgefunden werden.

Als dreieinhalb Wochen vor der Airport-Eröffnung bekannt gegeben werden musste, dass aus dem Termin nichts wird, war die Aufregung in Brandenburg erst einmal gering. Die zumeist betroffenen Anwohner wie in Blankenfelde-Mahlow waren über den Aufschub nicht unglücklich. Dazu kommt: In der Prignitz oder Uckermark treiben die Menschen ganz andere Probleme um als eine Dauer-Mammut-Baustelle nahe der Hauptstadt. Der Brandenburger ruht auf eine ganze eigene Weise in sich. Turbulenzen in der Regierung bleiben meist ohne nachhaltige Wirkung. Selbst in der Zeit, als Platzeck nach Skandalen ein Minister nach dem anderen abhanden kam, sorgte dies über die Landeshauptstadt hinaus für nur wenig Gesprächsstoff.

Zum Gespött aber wollen auch die stoischen Brandenburger nicht werden. Etwa 80 Prozent sind davon überzeugt, dass die Probleme beim Bau des Flughafens dem Ansehen des Landes geschadet haben. Das ergab jüngst eine von der oppositionellen Landes-CDU in Auftrag gegebene Umfrage. 67 Prozent der Brandenburger sehen mittlerweile eine große „Mitverantwortung“ Platzecks für das BER-Debakel und zwei Drittel das Amt des Ministerpräsidenten beschädigt. In einer deutschlandweiten, repräsentativen Emnid-Umfrage des Senders N24 sprachen sich immerhin mehr als ein Drittel der Befragten für einen Rücktritt Wowereits – und Platzecks aus. Je mehr Einzelheiten über das Planungs-, Bau- und Kontrollchaos am BER bekannt werden, desto stärker rückt auch er in die Kritik. Im Hauptausschuss des Landtags wollen die oppositionelle CDU, die FDP und die Grünen am heutigen Montag von Platzeck erfahren, wie die Kostenexplosion am BER nun finanziert werden soll. Auf Brandenburg kommen wie auf Berlin rund 444 Millionen Euro zu. Sie wollen aber auch wissen, weshalb Flughafen-Chef Rainer Schwarz trotz des Desasters weiter auf seinem Posten ist.

Der BER stürzt Klaus Wowereit in eine tiefe Krise, Matthias Platzeck dagegen könnte – wieder einmal – mit Blessuren davonkommen. Wie jetzt eine Studie bestätigte, beurteilen Brandenburger Wähler ihre Politiker besonders milde. In keinem anderen Bundesland sind sie so zufrieden mit ihren Politikern. Der auf Harmonie und Zuversicht setzende Platzeck hatte schon immer ein gutes Gespür im Umgang mit den Märkern. So lässt sich der 58-Jährige derzeit wieder häufiger im Land sehen. Das Kabinett tagt auch mal außerhalb Potsdams. Bei einer Sommertour hörte er sich die Sorgen und Nöte der Bürger an. Er versteht es, den Blick stets auch aufs Positive zu lenken. So wie auf die Nachricht, dass Brandenburg erneut das Länderranking der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft als wirtschaftlich dynamischstes Bundesland anführt.

Kandidatur als SPD-Landeschef

Inzwischen hat Platzeck im Aufsichtsrat Fehler der Vergangenheit beim Schallschutz für die vom BER-Fluglärm Betroffenen ausgemerzt. Er setzte durch, dass die Flughafengesellschaft einen besseren und teueren Schallschutz ermöglicht. Allerdings musste zuvor erst das Oberverwaltungsgericht rügen, dass der Lärmschutz bei weitem nicht den Vorgaben des Planfeststellungsbeschluss entspricht

Wenn Matthias Platzeck am 22. September erneut als SPD-Landeschef kandidiert, kann er trotz allem mit einem sehr guten Ergebnis rechnen. Die Sozialdemokraten wollen wieder mit ihm als Spitzenkandidat in den Landtagswahlkampf 2014 ziehen. Die Stimmung ist alles andere als gut, aber auch nicht alarmierend: Selbst auf dem Höhepunkt des Flughafen-Skandals blieb die SPD in der von der CDU in Auftrag gegebenen Umfrage mit 35 Prozent stärkste Partei. Die seit 2009 mitregierende Linke käme bei der Landtagswahl auf 20 Prozent, die CDU auf 25 Prozent. Die Grünen lägen bei sieben, die Piraten bei fünf Prozent, die FDP bei drei Prozent. Noch aber hat der geplante Untersuchungsausschuss in Berlin seine Arbeit nicht aufgenommen. Das Gremium will die Ursachen und Verantwortlichkeiten beim BER-Desaster aufdecken.

Pleiten und Pannen

Verschiebung: Der BER sollte ursprünglich am 30. Oktober 2011 eröffnet werden. Als Verschiebungsgrund galten die Pleite eines Planungsbüros und neue EU-Richtlinien für Gepäckkontrollen, die weitere Bauten erfordern. Aber auch der Termin 3. Juni 2012 wird abgesagt – der Brandschutz funktioniert nicht. Doch auch der 17. März 2013 ist nicht zu halten. Nun soll es der Start am 27. Oktober 2013 sein.

Finanzierung: Die drei staatlichen Gesellschafter Bund, Berlin und Brandenburg gehen davon aus, dass der Flughafen 4,3 Milliarden Euro kosten wird. Von den 1,2 Milliarden Mehrkosten müssen Berlin und Brandenburg je 444 Millionen Euro übernehmen, der Bund 324 Millionen. Kritiker befürchten aber eine weitere Kostenexplosion. Die Gesellschafter brauchen für die Finanzspritze die Genehmigung der EU.

Schließung: Der Flughafen Tegel wird nach der Eröffnung des neuen Flughafens geschlossen. Der Airport geht spätestens sechs Monate nach Fertigstellung und Inbetriebnahme der beiden Start- und Landebahnen des neuen Flughafens in Schönefeld außer Betrieb. Das sagt Berlins Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) in einer Antwort auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Harald Moritz.