In ihrer Berufspraxis begegneten Stefanie Kunz zunehmend Menschen, die sich überlastet fühlten. Inzwischen hat sich die Diplom-Psychologin von „Coaching Friedrichshain“ auf die Arbeit mit Menschen spezialisiert, die unter Erschöpfung oder Burnout Syndrom leiden. Wir haben mit ihr über Ursachen und Gegenmaßnahmen gesprochen.
Immer mehr Menschen klagen darüber, nicht genügend Zeit zu haben. Woran liegt das? Wir leben doch in relativem Wohlstand und haben immer mehr Maschinen, die uns die Arbeit abnehmen...
Stefanie Kunz: In den meisten Bereichen gibt es eine Verdichtung von Arbeit. Und: Arbeit muss effektiv sein. Neue Technologien tragen zur Beschleunigung bei. Die Erwartung, ständig erreichbar sein zu müssen, führt bei vielen zu dem Gefühl, gar keine freie Zeit mehr zu haben. Ich beobachte außerdem, dass es den klassischen Feierabend nicht mehr gibt. Viele beantworten am Abend noch E-Mails oder führen Telefonkonferenzen. Andere nehmen Aufgaben mit nach Hause, um endlich einmal in Ruhe arbeiten zu können. Wir leiden unter einem permanenten Effektivitätszwang. Einfach mal nichts tun oder Löcher in die Luft starren, das gibt es kaum noch.
Kann man sich denn endlos optimieren?
Davon möchte ich nur abraten. Im Übrigen wird die Arbeit nicht besser, wenn jemand ständig unter Druck steht – im Gegenteil. Es fehlt die Zeit, seine Arbeit zu reflektieren. Immer kommt sofort die nächste Aufgabe. Dabei sind Zeiten des Nichtstuns gerade für Kreative und Wissensarbeiter elementar. Zeitmanagementtools unterstützen den Effektivitätsgedanken noch. Das kann eine Falle sein. Und wer sich lange Zeit bis über seine Grenzen fordert, kommt schließlich aus dieser Struktur kaum noch heraus. Handlungen, die häufig wiederholt werden, bilden irgendwann Vernetzungen im Gehirn, die nur mit Mühe zu ändern sind. Ist die Überforderung zur Gewohnheit geworden, reagieren Betroffene wie ferngesteuert. Sie wollen sogar „effektiv“ Yoga machen oder meditieren. Zeit für wichtige Fragen fehlt dann, wie: Was will ich wirklich im Leben?
Ist Burnout eine Modekrankheit?
Auch in Fachkreisen wird die Frage diskutiert. Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass Burnout keine Modediagnose ist. Die Beschwerden beginnen unspezifisch. Am Anfang stehen fast immer Schlafstörungen. Die Betroffenen liegen im Bett und quälen sich mit kreisenden Gedanken. Sie fühlen sich angespannt, leiden unter Rückenproblemen oder einer erhöhten Anfälligkeit für Infekte. Statt sich Ruhe zu gönnen, versuchen die Erschöpften paradoxerweise, sich noch mehr anzustrengen.
Wie denn?
Um ihr Arbeitspensum zu schaffen, geben sie das auf, was ihnen gut tut, zum Beispiel Sport. Oder sie gehen in den sozialen Rückzug. Der Unterschied zur klassischen Depression ist, dass sich die Beschwerden schlagartig bessern, wenn die Betroffenen in den Urlaub fahren. Wirklich Depressiven geht es auch am Strand nicht gut. Aber auch Burnout-Kandidaten können in eine Spirale von negativem Denken rutschen. Sie sehen alles schwarz. Im Endstadium ist ihr Zustand nicht mehr von einer handfesten Depression zu unterscheiden.
Wie gehen diese Menschen mit ihrer Lebenszeit um?
Wer im Hamsterrad steckt, verliert ein Stück weit die Kontrolle über sein Leben. Statt zu überlegen, was er will, funktioniert er nur noch reaktiv. Alles kommt von außen. Manche können sich schlecht abgrenzen, sie versuchen, den Erwartungen anderer zu entsprechen. Irgendwann kommen sie aus dem Hektikmodus gar nicht mehr raus, auch wenn gerade nichts anliegt. Wichtiger wäre es, in die Stille zu gehen und sich zu fragen: Was ist mir wichtig? Denn am Ende seines Lebens würde wohl kaum jemand sagen: Ich würde gerne noch zwei Stunden im Büro bleiben.
Aber ist der Druck in der Arbeitswelt nicht immer mehr gewachsen?
Burnout ist auch ein gesellschaftliches Phänomen, mit ausgelöst durch krankmachende und destruktive Bedingungen in der Arbeitswelt. Das Ergebnis: Die Menschen fühlen sich ausgebrannt. Die Erschöpfung ist weniger das Problem. Das passiert jedem einmal. Problematisch wird es, wenn Menschen es nicht mehr spüren und sich keine Erholungsphasen mehr gönnen.
Aber sind wir den manchmal übermenschlichen Ansprüchen unserer schnelllebigen Zeit nicht ausgeliefert?
Nein. Das sind wir auf keinen Fall. Ungeachtet der gesellschaftlichen Verhältnisse tragen wir immer auch selbst etwas zu der Situation bei. Da gibt es diverse Stellschrauben, an denen wir drehen können. Ich kann mich fragen: Was führt zu der Erschöpfung? Gerade Führungskräfte glauben, sie müssten immer alles alleine machen. Sie können schauen, wo sie delegieren können. Man kann sich auch vornehmen, nicht mehr erreichbar zu sein nach Feierabend, und das Handy auslassen. Wir sollten aufhören, in die Zeit so viel wie möglich reinzupressen. Manchmal ist es auch eine Kopfsache. Wenn ich mir immer wieder sage, dass ich nicht genug Zeit habe, macht das die Sachen auch nicht besser.
Es gibt ja eine Gegenbewegung.
Ja, viele wollen aus den krankmachenden Strukturen aussteigen und sehnen sich nach Entschleunigung. Die Zeitungen sind voll mit Wellnessangeboten und Artikeln über Flow oder Minimalismus. Dass weniger manchmal mehr ist, zeigen auch die neuesten Erkenntnisse aus der Stressforschung. Multitasking funktioniert einfach nicht. Wir können nicht uneingeschränkt effektiv sein. Nur in der Arbeitswelt ist diese Erkenntnis noch nicht angekommen. Leider.
Entschleunigung? Wie geht das, wenn man so viel zu tun hat?
Ich empfehle Achtsamkeitstraining, weil man da lernt, auch mal nichts zu tun und im Moment präsent zu sein. Es ist wichtig, wieder mit sich in Kontakt zu kommen. Sonst geht vieles verloren. Etwa der Zugang zum Körper. Bewegung ist das beste Mittel, das wir zur Verfügung haben. Allerdings sollte das nicht wieder in Stress ausarten. Und wir brauchen dringend einen gesünderen Umgang mit den neuen Medien. Außerdem finde ich, dass die meisten Menschen eigentlich vollkommen in Ordnung sind, wie sie sind, und wir wegkommen sollten von der Idee, uns ständig selbst optimieren zu müssen.