Emotionen

Wenn man einfach nur noch schreien will

| Lesedauer: 20 Minuten
Cirstin Listing
Hat dieser Junge gerade Fernsehverbot bekommen? Auf jeden Fall ist er stinksauer

Hat dieser Junge gerade Fernsehverbot bekommen? Auf jeden Fall ist er stinksauer

Foto: snapphoto / Getty Images

Es sind oft kleine Dinge, die uns in Rage versetzen. Wut kann eine kreative Quelle sein, aber auch zerstören. Von einem großen Gefühl

Eben war noch alles gut. Lydia saß im Kinderzimmer und zog ihrer Puppe das hübsche blaue Rüschenkleid über den Kopf. Sie schloss eben den Knopf am Halsausschnitt – eine fummelige Arbeit –, als ihre Mutter den Kopf zur Tür hereinsteckte. „Schatz, komm’ ins Bad. Zähne putzen, Schlafanzug anziehen“, ruft sie hinein. Die Fünfjährige springt auf, die Puppe fliegt im hohen Bogen in die Ecke, sie schreit: „Nein! Auf gar keinen Fall!“ Die Mutter ist erst verblüfft, dann regt sich auch in ihr der Ärger. Jetzt wirft sich Lydia auch noch auf den Boden.

Was folgt, kennen alle Eltern, die etwas wollen, was ihr Kind gerade nicht will: anschreien, zurück schimpfen, Tränen, vielleicht auch das Kind am Arm fassen und ins Bad bugsieren. Am Ende sind alle erschöpft. Und traurig. Denn einen Wutanfall vor dem Schlafengehen hat niemand gewollt.

Ein kleiner Auslöser hat ausgereicht, eine eigentlich freundliche Aufforderung wird zum Ausgangspunkt für einen Machtkampf, der sich in jähem Zorn entlädt. Das Kind weiß schon, als die Mutter zur Tür hereinschaut: Am Ende wird es im Bett liegen, mit geputzten Zähnen, sich dem Elternwillen unterwerfen. Die Mutter dagegen fühlt sich hilflos, wenn das Kind sich ihrer Aufforderung verweigert, auch das macht zornig.

Ohnmacht und Hilflosigkeit

„Wut ist an das Gefühl der Ohnmacht gekoppelt“, sagt Ilse-Dorothee Kress, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychoanalyse und viele Jahre Chefärztin der Wiegmann-Klinik in den DRK Kliniken Berlin. „Sie zeigt eigene Verletzungen an.“ Wut als Reaktion auf Unterwerfung, Hilflosigkeit, Machtlosigkeit, Frust.

Wut macht Angst. Entweder, weil man selbst im wütenden Zustand schon einmal das Gefühl hatte, gleich die Beherrschung zu verlieren und Dinge zu sagen oder zu tun, die man so nicht meint, so nicht tun möchte und später bereuen wird. Oder weil man schon einmal einem wütenden Menschen gegenüber stand und sich fragte, ob der eigentlich noch die Kontrolle hat über das, was er tut. Wut ist wild, Wut zerstört. Jemand sieht rot, sagt der Volksmund und meint damit: Zorn ist etwas Schlechtes, gesellschaftlich geächtet. Herumwüten, berserkern, das macht man nicht.

Wut will etwas verändern

Wut tut gut, schreiben dagegen Sam Jolig und Bernhard Voss in ihrem gleichnamigen Buch. Wut und Aggression halten sie für wichtige Emotionen: „Aggression ist im Grunde die gesunde Fähigkeit, Ja und Nein sagen zu können“, schreibt Körpertherapeutin Sam Jolig. Das Treffen einer für uns elementaren Entscheidung an sich sei schon ein aggressiver Akt. „Aggression ist nicht der böse Kellergeist, für den die meisten von uns diese Kraft halten, sondern Aggression ist gesund für unser Selbst.“ Aggression als alltägliche Handlung stelle zum Beispiel eine unerträgliche Situation wie Hunger ab, denn „es ist ein aggressiver Akt, aufzustehen und sich etwas zu essen oder zu trinken zu holen“, so Mitautor Bernd Voss.

Ilse-Dorothee Kress sieht das ähnlich: „Aggression ist ursprünglich eine Bewältigungsstruktur, die uns Dinge angehen lässt und uns fähig macht, sie erledigen zu können.“ Und deshalb sei es schon in der Kindheit wichtig, sie zuzulassen: „Wenn zum Beispiel ein Zweijähriger im Aggredi gebremst wird, in Situationen, in denen er vielleicht etwas alleine machen will und die Mutter das nicht zulässt, entsteht eine hohe Frustration auf Seiten des Kindes.“ Dinge üben, um sich entwickeln zu können, Versuch und Irrtum sind wichtige Lernstrategien für ein Kind.

Wut tut gut, weil sie etwas verändern will, schreiben Jolig und Voss. Sie zeige, dass man mit sich selbst nicht im Reinen ist. Und wenn sie begründet ist, werde sie zu einer kreativen Kraft: „Es liegt Ihnen etwas daran, dass etwas zumindest aus Ihrer Sicht zum Besseren geschieht.“ Jeder Wut liege Engagement und Wertschätzung zugrunde: „Wut ist die intensivste emotionale Hinbewegung zu einem Menschen, zu der wir fähig sind.“

Was ist angemessen?

Ärztin Kress geht noch einen Schritt weiter: Wut und Aggression seien nötig, um sich zu wehren und seine Interessen durchzusetzen. „Aber man muss die Regulierung der Wut lernen, dazu muss ich die Wut identifizieren und prüfen, welche Reaktion angemessen ist.“ Wenn ein Kind eine Bemerkung des Lehrers wütend mache und es das Klassenzimmer demoliere, sei das nicht angemessen. Wenn es aber nach dem Unterricht zehn Mal den Ball ins Tor knalle, sei das angemessen, gibt Kress ein Beispiel.

Doch nicht nur Kindern fällt es schwer, in einer Wutsituation adäquat zu reagieren. Manchmal kommt die Wut nämlich ganz plötzlich. Die kreative Kraft scheint uns tiefschwarz. Laut. Unerwartet aufbrausend. Man liest immer wieder, dass sie auch Promis übermannt. Jürgen Klopp etwa im Jahr 2013. Der damalige Trainer von Borussia Dortmund rastete gegenüber einem Schiedsrichter beim Champions-League-Spiel in Neapel aus. Später entschuldigte er sich reumütig. Oder Naomi Campbell, die für ihren Jähzorn berühmt-berüchtigt ist.

Angst vor dem Kontrollverlust

Es sich selbst offen eingestehen, wollen dann aber doch die wenigsten. Trotzdem nennt der Psychotherapeut Theodor Itten in seinem Buch „Jähzorn. Psychotherapeutische Antworten auf ein unberechenbares Gefühl“ eben dieses Gefühl eine „veritable Volksplage“. Er hat fast 600 Menschen in der Ostschweiz befragt und kommt, rechnet man das Untersuchungsergebnis hoch, auf einen Anteil von 24 Prozent der Bevölkerung der deutschen Schweiz, der jähzornig ist.

Im Schutz der Anonymität des Internet suchen viele nach Rat. Menschen, die selbst unter ihren Jähzorn-Attacken leiden genauso wie deren Partner, die nicht wissen, wie sie mit dem Menschen, den sie lieben, umgehen sollen, wenn er austickt.

„Hellolee“ schreibt, sie sei 16. Nehmen wir an, Hellolee ist ein Mädchen. Sicher ist, dass ihre Wutanfälle sie verunsichern und schockieren. „Ist mein Jähzorn krankhaft?“, fragt sie. „Bin ich ein böser Mensch?“ Kommt der „extreme Wutanfall“, zerschlägt sie Blumentöpfe, zerreißt Bücher, tritt gegen Tische, Stühle, Wände. „Einmal habe ich mir das Handgelenk verstaucht – oder ich schlage so lange zu, bis mir die Haut an den Knöcheln aufreißt“, schreibt sie. Doch die „wesentlich schlimmeren Fälle waren solche, in denen ich meinen Hund geschlagen habe, weil er nicht aufhörte zu bellen. Danach war ich sofort am Boden zerstört. Ich habe angefangen zu weinen, mich neben ihn gesetzt und mich immer wieder entschuldigt. Normalerweise überdenke ich jegliche Form meines Handelns, bevor ich sie ausführe – aber diese Situationen zeigen mir, dass ich mich nicht kontrollieren kann.“

Wut kann krankhaft werden

Dieser Kontrollverlust ist ein großes Problem für Wütende. Auch Itten, freischaffender Psychotherapeut und klinischer Psychologe, stellt in seinem Buch fest, dass der jäh ausbrechende Zorn ein gescheiterter Versuch sei, das primäre Gefühl des Zorns zu kontrollieren. Zorn, so schreibt er, gehöre wie Liebe, Hunger, Angst oder Trauer zu den Grundemotionen des Menschen und habe immer mit dem Wahren und Ziehen von Grenzen zu tun. Ethische, moralische und religiöse Glaubenssätze domestizierten den Zorn. „Im Jähzorn werden wir von dem bis dahin unterdrückten Zorn überwältigt“, so Itten. „Jähzorn gilt nicht als psychische Störung in den trendsetzenden internationalen Klassifikationen psychischer Störungen ICD-10 und DSM IV/2“. Trotzdem können Wut oder Jähzorn krankhaft werden, etwa beim Borderline-Syndrom oder als Intermittend Explosive Disorder, auch Wutsyndrom genannt. Letzteres diagnostizieren Psychiater bei Patienten, die drei oder mehr starke Wutausbrüche pro Jahr erleben. Und, so Itten, jäher Zorn werde als emotionale Störung gesehen.

Warum sind wir eigentlich in der Lage, Wut zu fühlen? Theodor Itten verweist auf die moderne Neurowissenschaft. Die drei Gehirne des Menschen – Stammhirn, Klein- und Zwischenhirn und Großhirn – sind in einer Wechselbeziehung durch Nerven und ihre Synapsen verbunden. Keines dieser drei sei dominant, aber jedes bilde frühere evolutionäre Phasen ab. Das ist wichtig, weil jede dieser Evolutionsphasen eine eigene Wahrnehmung der Umgebung ermöglicht hat. Das Stammhirn reguliert unser Atmen, die Nahrungsaufnahme und den Schlaf, das Klein- und Zwischenhirn die „Überlebensfunktion der Gefühle und des sozialen Zusammenseins“. Das Großhirn aber sei die Basis für Vernunft, Sprache, Kommunikation und motorische Funktionen, die für das menschliche Leben benötigt werden. Es mache uns fähig, Gefühlsambivalenzen auszudrücken, stelle für uns bewusste Schemata zusammen, Informationen würden gefiltert und dosiert, schreibt Psychotherapeut Theodor Itten. Käme das Großhirn dieser Funktion nicht nach, litte der Mensch unter einer andauernden Wahrnehmungs- und Informationsüberlastung.

Jähzorn als Instinkt-Reaktion

„Bei Menschen, die zu Jähzorn neigen, gibt es plötzlich eine emotionale Überflutung“, so Itten. Diese Menschen reagierten auf der Ebene von Kleinhirn und Stammhirn, instinktiv, mit fixen Handlungsvorgaben. „Wir erkennen ein Verhalten als einen Angriff auf unsere Integrität und Unversehrtheit und reagieren darauf mit vorgegebenen, eingeprägten Handlungsmustern.“ Zorn sei eine Verhaltensstrategie, um einer Gefahrensituation zu entkommen.

Unsere Gefühle werden hauptsächlich durch den Hypothalamus im Klein- und Zwischenhirn reguliert. Dabei spielen Neurotransmitter eine Rolle wie Dopamin, das als Glückshormon gilt und antriebssteigernd wirkt, und Sexualhormone wie Oxytocin, das im Volksmund als Kuschelhormon bezeichnet wird und soziale Interaktionen beeinflusst. Neurowissenschaftliche Studien ergaben, dass in der Amygdala, einer mandelförmigen Region in der Mitte des Gehirns und Teil des limbischen Systems, Wahrnehmungen und Denkschemata mit Verhaltensmustern aus bereits erlebten Situationen verglichen und bewertet werden. Die Amygdala ist also zuständig für die automatische Verarbeitung von Gefühlen, besonders von Furcht und Notsituationen. Der Mensch, so Itten, neige dazu, Gefühle, vor deren Lebendigkeit er sich fürchte, zu verdrängen. Doch mit Unterstützung des Großhirns kann der Mensch Fähigkeiten wie Humor, Empathie und Intellektualisierung entwickeln und „höflich, beherrscht, kontrolliert und ausbalanciert“ sein.

Kleiner Anlass, große Wirkung

Was aber löst Wut aus? Hallolee nennt „kleinere verbale Auseinandersetzungen, manchmal reicht ein lauter, anhaltender Stress-Faktor wie Lärm oder eine Unzufriedenheit“. Evita schreibt: „Mein Partner bekommt regelmäßig Wutausbrüche. In der Regel wegen Nichtigkeiten.“

Ilse-Dorothee Kress hat die Erfahrung gemacht, dass „ein Impulsdurchbruch ein multifaktorelles Geschehen ist, das bei jedem Menschen einzigartig ist“. Dabei spielten physiologische Prozesse eine Rolle – „bei manchem reichen vier Impulse in der Amygdala aus, ein anderer braucht zehn“ -, Charaktereigenschaften und konstitutionelle Faktoren. „Mancher ist ein emotional stabiler Mensch, wieder ein anderer ist schnell aus der Fassung zu bringen“, so die Ärztin. „Oft sind es auch Bedingungen, die gar nicht in der Macht der Eltern liegen, Erlebnisse in Kita, Schule oder mit Freunden, die die Schwelle für das Wutempfinden niedriger legen.“ Denn das Erlernen von Verhaltensmustern spiele eine Rolle. „Wenn ein Kind einen jähzornigen Vater hat, muss es sich damit auseinander setzen. Das eine rettet sich, indem es genauso wird, das andere schaltet auf Durchzug.“

Das Zuhause ist dabei der Ort, an dem sich Wut und Jähzorn am häufigsten entladen. „Im Familienverband ist es schwer, Interessen miteinander auszuhandeln. Es steckt viel Aggressionspotenzial darin, wenn es nicht konstruktiv ausgehandelt wird“, so Ilse-Dorothee Kress. Eigentlich logisch, denn „der nahe Mensch kann mich viel mehr verletzen als ein ferner“.

Die leise Seite der Wut

Das ist die eine, die laute, Seite der Wut. Es gibt aber auch noch eine andere. So eine, wie sie Eva M. erlebt. Eine stille, unterdrückte Wut, die zur Depression wird. „Da ist dann eine Traurigkeit, die total bodenlos ist. Ich will lieber sterben, bevor das so weiter geht“, sagt Eva.

Sie hat lange nicht verstanden, wo das Gefühl herkam. Bis das mit der Schlaflosigkeit begann. Schlecht einschlafen, nicht durchschlafen, stundenlang wach liegen. Monatelang. „Ich war immer sehr müde, niedergedrückt und schnell genervt, ohne eine Idee zu haben, wo es her kommt“, erzählt Eva. Sie ging zum Arzt, verschliss drei Allgemeinmediziner, ließ sich Blut abnehmen und unzählige Untersuchungen über sich ergehen. Nichts. Sie schien völlig gesund. Eva suchte im Internet nach einer Lösung – bis sie auf eine mögliche Diagnose stieß: Depression.

Seit zwei Jahren nimmt die Social Media Managerin schon ein starkes Antidepressivum. Begleitend macht sie eine tiefenpsychologisch fundierte Therapie. Bei der Suche nach dem Grund für ihre Depression brachte sie die Therapeutin auf eine verblüffende, unvermutete Ursache.

„Keiner merkt es“

Eva war wütend. Aber sie bemerkte es nicht. „Erst in der Therapie habe ich gemerkt, ach so, ja seltsam, ich bin eigentlich total wütend.“

Sie erzählt es ganz ruhig. Überhaupt, wie Eva ihrer Gesprächspartnerin im Café gegenüber sitzt, so entspannt, so scheinbar in sich ruhend, so reflektiert. „Ich kann einen Funktionsschalter umlegen, kann auch in der schlimmsten Zeit arbeiten gehen und keiner merkt es“, sagt sie. Erzählte sie es nicht, man käme nicht auf die Idee, dass sie depressiv ist. Oder gar wütend. Zorn verbindet mit man gemeinhin mit Lautstärke und Rage. Aber nicht mit dieser Ruhe.

Eva kennt diese laute Seite der Wut, den Jähzorn. Sie hat herausgefunden, dass der Schlüssel für ihre Erkrankung in ihrer Kindheit liegen muss. „Meine Mutter hat uns Kinder stark kontrolliert.“ Eva klingt sehr distanziert, als sie das erzählt. Das ist irgendwie weit weg. Und doch sind die Auswirkungen von damals so nah.

Als ihre Eltern sich trennten, war Eva zehn, die Scheidung ein schmutziger Rosenkrieg. Wenn die Mutter arbeiten war, „hab ich den ganzen Haushalt geschmissen und meine Brüder erzogen“. Oft genug nicht zur Zufriedenheit der Mutter. „Sie hat uns immer geschlagen, wenn sie nicht mehr weiter wusste“, sagt Eva, „sie hat uns als Ventil für ihren Druck gebraucht“.

Ausrasten wegen Kleinigkeiten, wegen Dingen, die Kinder halt so machen. Es hagelte Strafen: Taschengeldentzug, Ausgehverbote, Lieblingsbücher wegnehmen, eine Extraportion Hausarbeit. Eva versuchte, dem etwas entgegen zu halten: „Einmal, da habe ich die Strafe ,gut gelaunt’ verrichtet und habe gesungen beim Putzen. Sie war sofort auf 180, hat mich an die Wand gepresst und mit dem Kochlöffel auf meinen Po eingeschlagen.“

Sie unterdrückte die Wut

Schlagen bis zum Kontrollverlust. Heute ist Eva deshalb wütend. Damals aber schluckte sie den Zorn hinunter. Auch aus Angst: „Ich konnte doch nicht wütend sein, meine Mutter war mir total überlegen und man fragt sich, kloppt die mich zu Tode?“

Wut unterdrücken, bis man sie nicht mehr spürt. In Situationen, in denen andere verärgert reagieren, beschwichtigte Eva sich selbst. „Ich habe den Fehler bei mir gesucht. Heute trenne ich mich von der Person, die mich verletzt.“ Doch das Unterdrücken der Wut äußert sich in Erschöpfung. Als sei man in Watte gehüllt, sagt Eva. In einer Depression würden alle Impulse niedergedrückt. Das koste das psychische System so viel Kraft, dass kaum noch Lebensenergien für den Alltag übrig blieben, schreibt Bernhard Voss in „Wut tut gut“.

Zorn zulassen kann Eva immer noch nicht, weil sie das Gefühl als unkontrollierbar erlebt hat. Gläser an die Wand werfen hilft ihr ganz gut. Oft geht Eva auch joggen und powert sich aus. „Wütend sein kann ich nur, wenn niemand dabei ist, weil ich weiß, dass es anderen Angst macht.“ Ilse-Dorothee Kress kann das verstehen: „Man kann nicht lernen, mit Wut umzugehen, ohne dass etwas passiert. Mancher eckt mehr an, mancher weniger.“ Trotzdem ist es wichtig, dass man seine Wut zeigt, „um zu lernen, die Welt geht nicht unter, wenn ich es tue. Auch um zu lernen, wo welches Verhalten angemessen ist.“

Eine neutrale Person kann helfen

Für den Umgang mit der normalen, nicht pathologischen Alltags-Wut hat die Psychologin einige Ratschläge. Eine neutrale Person dazu holen, wenn man eine heftige Wut spürt, ist ein Tipp besonders für Eltern. „Es ist gut, wenn die Oma oder eine Freundin da ist, zu der das Kind sagen kann, ,Die Mama ist doof’.“ Auch bei Streit mit dem Partner hilft es, einen Dritten dazu zu bitten. Nach einem Telefonat mit Freunden komme man in anderer Verfassung zurück.

Wichtig vor allem: Ruhe bewahren, auch wenn die Gefühle kochen. „Je ruhiger man bleibt, desto eher wird Deeskalation möglich, desto näher kommt man einer Lösung“, so Ilse-Dorothee Kress. Man solle sich nicht reizen lassen, aber selbst auch den anderen nicht reizen, „denn vor dessen Wutanfall steht das subjektive Empfinden von Ohnmacht“.

Doch was tun, damit man selbst wieder ‘runter kommt’? „Sich motorisch abarbeiten“, sagt Kress. Regelmäßig Sport treiben helfe auch prophylaktisch. „Motorik und Aggredi sind eng miteinander verbunden, Bewegung ist für die meisten ein gutes Entlastungsmittel.“

Auch Haustiere wirken beruhigend

Kampfsport kann helfen, weil es das Ohnmachtsgefühl verringere und man sich stark fühle. Ebenso Yoga oder Achtsamkeitsübungen, denn es löse nicht nur aus, dass man erste Anzeichen der Wut spüre, sondern man lerne dabei, dass auch das Gegenüber etwas spürt. „Jedes Entspannungsverfahren, mit dem man etwas anfangen kann, ist hilfreich.“ Wütende Menschen erzählen auch oft, dass es sie beruhigt, sich mit einem Haustier zu beschäftigen, Hund oder Vogel zu erzählen, was sie auf dem Herzen haben.

Wer verzeihen kann, hat es leichter, seine Wut zu kühlen. „Aber dazu gehört, dass man zugeben kann, dass man verletzt wurde und dass man kränkbar ist“, so Kress. „Gemeinsames Bereuen, dass eine Situation schief gelaufen ist, hilft“, sagt sie. „Allerdings ist verzeihen nur möglich, wenn mein Ego sagt, ich überlebe das. Wenn ich immer wieder gekränkt bin, wenn ich mich an diese Situation erinnere, ist es schwierig.“

Manchmal hilft vielleicht auch Humor. In einem Forum lautete eine Antwort auf Evitas Sorgen mit ihrem jähzornigen Ehemann: „Ich hab auch so einen Schreihals zu Hause, und wenn ich merke, dass er sich in irgendwas hineinsteigert, begieße ich ihn mit kaltem Wasser. Inzwischen lacht er schon, wenn er mich mit einer Tasse in der Hand sieht.“ Wie schön wäre es, könnte man seine Wut jedes Mal einfach weglachen.