Oft fragt sich Beata Riecker, ob ihre Kinder zu viel oder zu wenig Taschengeld bekommen und ob sie darauf einwirken soll, was die Kinder mit ihrem Geld machen. Ihr zwölfjähriger Sohn Marceli bekommt 4,50 Euro Taschengeld pro Woche. Das Geld investiert er in die Entwicklung eines Servers, auf dem er und seine Freunde im Internet spielen und chatten können. Seine neunjährige Schwester Emilia steckt ihre zwei Euro meistens ins Sparschwein. Außerdem bringen die Kinder Pfandflaschen zum Supermarkt und kaufen sich dafür Süßigkeiten. Beata Riecker lässt ihre Kinder meist selbst entscheiden, aber die Ärztin polnischer Herkunft horcht auch viel in sich hinein, weil sie nicht eingefahrene Verhaltensweisen aus ihrem eigenen Umgang mit Geld auf die Kinder übertragen will.
„Ein Patentrezept für Taschengeld gibt es nicht“, beruhigt Kirstin Wulf. Mit der Finanzpolitik kennt sie sich bestens aus. Lange beschäftigte sich die Politologin beruflich mit ökonomischen Fragen. Trotzdem konnte sie eines Tages die Fragen ihres jüngsten Sohnes nicht beantworten. Seine Geschäftsidee: Gesteinsbrocken von Mars und Venus gewinnbringend verkaufen. Und Fragen folgten: Warum verkaufen Menschen etwas? Wie viel verdient ihr? Die gebürtige Lüneburgerin wünschte, eine „Super-Nanny“ würde ihr die richtigen Antworten einflüstern. Da wurde ihr klar, welchen Grundsatz sie verinnerlicht hatte: „Über Geld spricht man nicht.“ Damit war sie nicht allein. Selbst im Bekanntenkreis hat sie erlebt, dass das Thema Geld tabu ist.
Eigene Erfahrungen machen
Doch Kirstin Wulfs Erklärungsnöte brachten sie auf eine Geschäftsidee. Mittlerweile bringt die 44-Jährige im Rahmen ihrer in Anlehnung an das Grimm-Märchen vom Goldesel benannten Firma Bricklebrit anderen Eltern in Vorträgen und Seminaren das Einmaleins der Fi8nanzerziehung bei. Das Interesse ist groß. Schließlich ist die Unsicherheit im Umgang mit diesem Thema bei Eltern groß.
Die Erfahrung der Finanzexpertin: „Wir schätzen uns viel rationaler ein, als wir es wirklich sind. Doch im Verhältnis zum Geld haben wir alle unsere eigene Biografie mit individuellen blinden Flecken.“ Sie selbst ist auf einem Bauernhof groß geworden und musste schon als Kind mitarbeiten. „Es waren bescheidene, manchmal fast erdrückende Verhältnisse.“ Damals dachte sie: „Wenn uns die Eltern ein Eis kaufen, können wir dadurch in existenzielle Not geraten.“
Diese Angst will sie aber nicht auf ihre Kinder übertragen. Daher plädiert Kirstin Wulf dafür, dass jeder seine eigene Lösung findet. Doch dabei gibt es auch Extreme. So hat sie einmal eine Elfjährige getroffen, die bereits 3000 Euro für den Führerschein zurückgelegt hatte. „Die meisten Eltern glauben, sie haben ein Konzept“, weiß sie. Doch das stimmt nicht. Den Kindern einfach Geld in die Hand zu drücken reicht nicht. Und das Taschengeld sollte auch nicht nur in die Sparbüchse wandern. Sinnvoll sei es, die Kinder in die Planung mit einzubeziehen. So darf etwa das Taschengeld erhöht werden, wenn die Kinder bestimmte Ausgaben übernehmen. Dadurch können sie gleich das selbstständige Wirtschaften lernen. Der Anreiz: Wenn ihnen das gut gelingt, haben sie mehr Geld zur Verfügung.
Im Elternseminar von Kirstin Wulf zeigt sich auch, welch unterschiedlichen Stellenwert Menschen Geld beimessen und wie sich diese Haltung auf die Kinder überträgt. Die Ergotherapeutin Hilke Meinhold berichtet davon, wie ihre 14-jährige Tochter, weil sie als Einzige in der Klasse nicht aus einem Akademikerhaushalt stammt, von einigen abgewertet wird. Immer wieder hört sie Sprüche wie: „Ihr macht eine Fahrradtour? Wir fliegen auf die Malediven.“
Kein Ersatz für Zuwendung
Die Vorsitzende vom Berufsverband der Kinder- und Jugendpsychotherapeuten, Marion Schwarz, kennt die umgekehrte Form von Ausgrenzung, die mitunter Kindern aus wohlhabenden Familien widerfährt. Ihre kostspieligen Hobbys wie Reiten oder Golfspielen sowie weite Urlaubsreisen können dazu führen, dass sie in die Isolation geraten. Positiv beurteilt Schwarz, dass durchaus nicht alle Reichen ihren Nachwuchs mit Geld überschütten. Viele orientierten sich an herkömmlichen Taschengeldtabellen. Denn auch wer aus einer begüterten Familie kommt, sollte lernen, dass die Dinge einen Wert haben. Im altersgemäßen Dialog mit den Eltern sollten die Kinder begreifen, dass Reichsein nicht selbstverständlich ist und dass man Geld wieder verlieren kann. Wenn die Eltern dafür sorgen, dass ihre Kinder die Bodenhaftung nicht verlieren, lernen sie auch eine weitere wichtige Lektion: dass man sich mit Geld vieles kaufen kann, nicht aber Liebe und Freundschaft. „Auf keinen Fall sollte Geld als Ersatz für die emotionale Zuwendung dienen“, mahnt der Münchner Kinderpsychologe Holger Simonszent. Es sei ein Trugschluss, wenn Eltern so viel arbeiten, dass sie keine Zeit mehr für ihr Kind haben, nur um ihnen etwas bieten zu können.
Glücklich ohne Statussymbole
Gerade für Jugendliche ist es wichtig, „dazuzugehören“. Alle Statussymbole müssen sie dafür aber nicht haben, findet Simonszent. Zu einem gesunden Reifungsprozess gehöre auch, den eigenen Wert nicht nur an Äußerlichkeiten festzumachen. Wichtig sei ebenfalls das Modell, das die Eltern ihren Kindern vorleben. Idealerweise sollte das heißen: Ich kann ein glückliches Leben führen, auch wenn ich nicht jedem Trend hinterherlaufe.
„Die Gesellschaft erwartet heute eine hohe Eigenverantwortung von privaten Haushalten. Eine Überforderung für viele Familien, denen häufig der Überblick für das eigene Wirtschaften fehlt“, weiß Bettina Sobkowiak vom Präventionsnetzwerk Finanzkompetenz, das 2004 aus der Schuldnerberatungsszene hervorgegangen ist. Entwickelt hat die Schuldner- und Insolvenzberaterin außerdem Erlebnis-Seminare für Eltern und Kinder zum Umgang mit Geld. In der „Familienwerkstatt“ schult sie deutschlandweit Mitarbeiter sozialer Einrichtungen, die ihr Wissen anschließend kostenfrei weitergeben. Die Hauptfrage ist immer die gleiche: Welches sind meine Lebensziele und wie kann ich diese Wünsche in Einklang bringen mit den eigenen wirtschaftlichen Möglichkeiten?
Eine weitere Frage beschäftigt Kirstin Wulf: „Wie viel verrät das Geldausgeben über einen Menschen, über seine unbewussten Motive?“ Ihr Fachwissen wird zu Hause in der Patchworkfamilie mit den vier geschäftstüchtigen Söhnen zwischen neun und 13 ständig auf eine harte Probe gestellt. Eine gute Gelegenheit, ihr eigenes Konzept immer wieder auf Alltagstauglichkeit zu überprüfen.