Für ihre Mitschüler blieb Elisabeth auch als Margareta oder Sophie ein Sonderling. Von Anfang an hatte der Dreifachname unter den Katrins und Stephans der Klasse wenig Sympathie hervorgerufen. Was für Eltern taten ihrer Tochter so etwas Überkandideltes an?
Elisabeth Margareta Sophies pubertäre Leidenszeit liegt schon etwas zurück, sie spielte sich in den frühen 80er-Jahren in einem westdeutschen Gymnasium ab. Was man auch daran erkennt, dass um die exklusiv Benannte herum außer Katrins und Stephans noch etliche Sabines und Michaels den Jahrgang bevölkerten. Sowie: eine Jacqueline. Der erging es ähnlich schlecht wie Elisabeth Margareta Sophie. Jacqueline konnte nicht einmal probeweise auf einen Zweitnamen zurückgreifen; und ihr fehlte der Mut, die Geschmacksverwirrung ihrer Eltern mit einem knackigen Jackie zu kaschieren. Sie war und blieb: Dschakeline.
Namen können sehr aufgeladen sein, wenn Eltern mit ihnen Versprechen fürs Leben verbinden: Zora soll wild sein, Kalle rebellisch, Doreen den Aschenputteltraum verwirklichen. Und genau deshalb können Namen für ihre unschuldigen Träger auch eine Last sein: Sie bedeuten einfach zu viel.
Heute wäre eine fünfzehnjährige Jacqueline eher eine Michelle, ihre Mitschüler hießen Laura und Lucas, Lena und Tim. Namen sind dem Zeitgeschmack unterworfen, was gestern noch viel versprechend und modern klang, hört sich heute muffig und fantasielos an. Zugleich wächst bei Eltern das Bedürfnis, dem Nachwuchs nicht mehr wie vor wenigen Jahrzehnten betont unauffällige Namen zu geben, heute soll eher die individuelle Note zum Tragen kommen. Dummerweise entsteht gerade aus diesem Bedürfnis wieder ein übersichtliches Spektrum an populären Namen. Es scheint, als gäbe es milieubedingte Häufungen an zeitgleichen Eingebungen. Eben noch von der charmanten Lilly und dem sanften Paul begeistert, erfahren werdende Eltern dann von der Hebamme, dass gerade gefühlt jedes dritte Mädchen und jeder vierte Junge, denen sie auf die Welt hilft, so heißen sollen.
Die Qual der Namenswahl
Namen geistern als Modephänomen aber nicht nur durch die Zeit, sondern durch alle Gesellschaftsschichten. Sie wandern in der Regel von oben nach unten. Hingerissen vom nordischen Finn muss die gutbürgerliche Mutter in spe erfahren, dass dieser Name längst nicht mehr originell, sondern massenweise überall angekommen ist. Und schon geht die Suche nach dem perfekten Namen von vorne los.
In Untersuchungen über Vornamen und ihre Wirkung bestätigt sich immer wieder, dass ein Name selten allein kommt, vielmehr hat er oft Vorurteile zum Charakter seines Trägers mit im Gepäck. Vor allem aus zwei Gründen: Entweder trägt der Name den Stempel des mittelständischen Strebens nach kreativ-kultivierter Abgrenzung; oder aber er lässt anklingen, dass ein eher trostloses Leben durch exotische Namen aufgewertet werden soll. Die Klischees gehen dann so: Hannah-Leonie stellt man sich als niedliches Mädchen an der Geige vor, mit ein bisschen zu ehrgeizigen Eltern; bei Michelle wird vermutet: Eines Tages wird sie die kettenrauchende Jungmutter, die ihre Mutter heute ist.
Das plakativste Beispiel für einen Namens mit negativem Beiklang ist Kevin, der Anfang der 90er-Jahre im Kinofilm allein zu Haus war. Der inzwischen abgeebbten Popularität dieses Namens steht eine beständige Aversion gegenüber. Kevin muss damit rechnen, für weniger schlau gehalten zu werden als sein Freund Maximilian. Im vergangenen Jahr erst hat eine Befragung unter Lehrern dieses Vorurteil erneut zutage gefördert. Kevin ist schon wegen seines Namens abgehängte Unterschicht.
Die Neigung, Kinder nach Prominenten zu benennen, um damit von deren Glanz zu zehren, ist hingegen übersichtlich. Der Vorname Boris etwa erlebte 1986, ein Jahr nach Boris Beckers erstem Wimbledon-Sieg und Aufstieg zum Liebling der Nation, mitnichten einen Boom. Heute ist der Name ganz aus der Mode. Wer also sein Kind jetzt Boris nennt, erspart ihm Namensgleichheit in der Schule. Doch selbst Kinder, die den meistgewählten Vornamen eines Jahrgangs tragen, bekommen dieses Problem nicht zwangsläufig. Die Topnamen des Jahres 2009, Mia und Leon, liegen beide nahe bei einem Prozent Häufigkeit, wie das Portal beliebte-vornamen.de ermittelt hat.
Wäre das hiesige Namensrecht liberaler, wäre die Namensvielfalt womöglich noch größer. In Deutschland dürfen Kinder nicht einfach nach Orten, also etwa Brooklyn oder Paris, genannt werden. Ebenso wenig darf man sie schwermütig beladen wie es Spanier mit dem Mädchennamen Soledad tun - was Einsamkeit bedeutet und sozusagen als Ausgleich den Rufnamen Sol, Sonne, beinhaltet. Sonne als Mädchenname ist inzwischen auch hierzulande erlaubt.
Eltern klagen Namen ein
Nach einer Elternklage kam es auch dazu, dass kurz vor Weihnachten 1998 das Oberlandesgericht Frankfurt am Main verkündete, der Vorname Jesus sei - wie es im Amtsdeutsch heißt - eintragungsfähig. Bis dahin war Jesus als Jungenname untersagt, um religiöse Gefühle nicht zu verletzen. Das Oberlandesgericht aber erkannte die nationale Beschränktheit dieser Empfindlichkeit. Schließlich ist Jesus unter spanisch- und portugiesischsprachigen Katholiken ein verbreiteter Name. Karriere als Name hat Jesus aber in Deutschland trotz seiner Legalisierung nicht gemacht.
Es bleibt ein Kreuz mit der Namenswahl. Man kann ziemlich viel falsch machen. Wer weder zu modern noch zu exotisch sein will, wer einen zeitlos schönen und zugleich positiv besetzten Namen sucht, dem sei empfohlen, eine Tochter zu bekommen und sie Anna zu nennen. Das geht immer und überall.