Sommerserie Landpartie

Eberswalde: Viel Natur im Städtchen

| Lesedauer: 9 Minuten
Spazieren oder per Fahrrad: Der Finowkanal ist nur in paar Schritte vom Stadtzentrum entfernt.

Spazieren oder per Fahrrad: Der Finowkanal ist nur in paar Schritte vom Stadtzentrum entfernt.

Foto: Patrick Goldstein

Binnen einer Stunde ist man von Berlin in Eberswalde. Dort sind die Wege kurz zwischen modernen Annehmlichkeiten, und purer Erholung.

Nun mal halblang. Wer als Großstadtmensch mit der Bahn von Berlin kommend am Bahnhof Eberswalde aussteigt, betritt eine Welt der Zeitlupe. Autostaus lösen sich hier elegant von selbst auf, Hupen ist nicht, und selbst am punkigsten Plattenladen im Ort sitzen die tätowierten Stammkunden beim Zigarettchen im Sonnenschein, während über die Anlage entspannt Radio Hamburg erklingt. Wenn Berlin Pogo ist, dann ist Eberswalde Walzertanzen.

In der Hinterhof-Werkstatt von Händler und Verleiher Rad-Haus Kattanek haben Karl-Heinz Kloß (63) und Chef Sebastian Kattanek (44) vormittags gut zu tun. In ihrer Stadt setzen viele aufs Velo. Wo sich seit Anfang des 17. Jahrhunderts Frühindustrie, Industrie und Gewerbe ansiedelten, bald wegen des Finowkanal eines Anschlusses an die Eisenbahnlinie Berlin-Stettin florierten, wenig aber die Wende überstand, sind jetzt Medizin- und Reha-Einrichtungen erfolgreich. Mitarbeiter fahren mit Dienst-Rädern durch die Stadt, Pendler lassen ihre Gefährte im hölzernen Parkhaus am Bahnhof.

Literatur über Eberswalde und Zeitungen für die Mittagspause holen wir uns bei Buchhandlung Mahler. Die ist so gut sortiert wie man es aus der Hauptstadt kennt, es gibt Lese-Ecken etwa für Familien, die einen plötzlichen Regenguss überbrücken müssen. Hartwig Mahler (50) erzählt von seiner Familie, in der man beim örtlichen, die Gegend dominierenden VEB Schlacht- und Verarbeitungskombinat arbeitete. Die Connection war sein Glück: „Als ich 1982 beim damaligen Buchhändler den raren DDR-Bildband über die Europameisterschaft 1982 kaufen wollte, bekam ich den nur, weil ich mit einem ganzen Schinken zahlen konnte“, sagt Mahler. Nach dem Mauerfall, dem erste Schließungen im Werk folgten, startete seine Mutter einen eigenen Buchladen.

Unter einer alten Linde neben dem Löwenbrunnen

Von Mahler aus sind wir per Leihrad schnell im Zentrum. Mittags wird es dienstags und freitags voll auf dem Marktplatz. Dann sind die Stände da, vor den Bratwurstanbietern stehen die Menschen still und geduldig Schlange. Mancher setzt sich mit seinem Imbiss unter die alte Linde neben den beruhigend plätschernden Löwenbrunnen von 1836.

Wer dagegen gerade keinen Schatten braucht, nimmt Platz auf dem steinernen Simms am Fuß einer schwarzen Plastik. Sie zeigt eine Gestalt aus Kupfer, eine lebensgroße Teenagerin in Minikleid und Schnürstiefeln, die eine Hand am Mund, die andere resolut in die Hüfte gestemmt. Es ist die „Ruferin“ von Künstler Eckhard Herrmann. Die brüllt da offenbar quer über den Platz. „Jung, weiblich, frech“, wie Herrmann schreibt. Sie fordere „das Recht der Jugend, eigene Wege zu probieren“. Ein vitaler Kontrast zum gemächlich dahinlaufenden Alltag auf dem Platz.

Auf lautes Rufen kann Gemüseverkäuferin Franziska Thamm (36) an ihrem Marktstand verzichten. Ihre am Vortag geernteten Zucchini und Gurken sind von solcher Größe, dass die Kunden ganz von allein kommen. „Eine Stammkundin, die sonst gar keine Auberginen mag – ein echter Bio-Mensch –, sagt, bei unseren sei das völlig anders“, erklärt die 36-Jährige.

Wer ihre Ware vom Gartenbau Finow testen möchte, kann dies auch entspannt mittwochs und sonnabends beim Markt auf dem Charlottenburger Mierendorffplatz tun. Wirkt Frau Thamm an solchen Tagen dann ebenfalls entspannt, ist dies eine Höchstleistung. Immerhin steht die Brandenburgerin für ihre Berliner Termine bereits um vier Uhr morgens auf.

Am Eberswalder Marktplatz machen wir noch einen Abstecher zum „Gustav“. Das Café trägt den Namen in Erinnerung an jenen Bäcker, der in der Stadt an verschiedenen Orten mit begeisterten Zeilen geehrt wird. Schließlich verdanken Eberswalde, Deutschland, ja, man möchte bei der Lektüre meinen: das gesamte Universum ihm die Erfindung… des Spritzkuchens. Der Berliner Konditor Gustav Louis Zietemann kam 1832 nach Eberswalde, eröffnete am Marktplatz ein Geschäft und bot dort erstmals Spritzkuchen an. Als bereits erwähnter Bahnanschluss kam, schickte er seine Bäckerburschen an die Station, um sein Gebäck in die Abteile hinein zu verkaufen.

Im „Gustav“ mit Kaffee und Kuchen eingedeckt, fahren wir zum nahen Finowkanal. Zwischen Breite und Lichterfelder Straße erlebt man auf vier Kilometern die pralle Natur, Ausblicke von Saftig-Grün (Vegetation) bis Himmelblau (Reflexion im Wasser). Auf einer der Bänke bedauert man da jeden, der dies nicht kennt – und freut sich anderseits, dass man sich den stillen Geheimtipp einzig teilen muss mit einer Handvoll vorbeisausender Radfahrer und unterschiedlich intensiv entnervter Eltern, die den Familiengarten ansteuern.

Ein nationales Kulturdenkmal, aus Berlin importiert

Doch es gibt zu viel zu sehen, um dort lange zu rasten. Weiter geht die Tour, gen Westen entlang des Kanals zur Borsighalle. Sie stand ursprünglich ab 1849 in Berlin, wurde dort dann abgebaut und 1899 in Eberswalde auf dem Areal der Eisenspalterei an der Lichterfelder Straße wieder zusammengeschraubt. Weil sie den Grundtyp großer Bahnhofs- und Ausstellungshallen darstellt, etwa in London und am Berliner Alexanderplatz, ist die bis 2021 für 2,8 Millionen Euro sanierte Konstruktion als nationales Kulturdenkmal ausgewiesen. Zurück im Zentrum, lohnt sich ein Halt am Stadtcampus der Hochschule für nachhaltige Entwicklung an der Schicklerstraße 5. Am jüngst sanierten Biotop des Hofteichs sitzen Studenten neben der Großskulptur „Die Durchdringung“, es wird gegessen, Tischtennis gespielt und bei malerischem Naturblick herrscht dort eine Atmosphäre als verfliege die Zeit – wie offenbar üblich in Eberswalde – mit gebremstem Tempo.

Ist das Wetter auch noch so gut: Den Besuch im Museum der Stadt sollte man nicht verpassen. Dort sind markante Exponate, Errungenschaften und Wunderlichkeiten des Ortes multimedial, rasant und gewandt beschrieben. Es befindet sich im ältesten Fachwerkhaus der Stadt, in dem 1623 die Adler-Apotheke öffnete.

Viel Neues erfährt der Besucher über die Stadt: Ein „Eberswalder Goldschatz“ wurde von Arbeitern 1913 gefunden. Schalen und Schmuck von Menschen der Bronzezeit, alle 81 Objekte zusammen 2,6 Kilo schwer. Der Fund wurde dem Kaiser übergeben. 1945 zogen ihn allerdings die Sowjets ein. Bis heute befindet sich der Schatz in Moskau, in Eberswalde sieht man lediglich die Nachbildungen.

Besucher erfahren außerdem vom international ersten Einsatz eines Herzkatheters in Eberswalde 1929 (Nobelpreis dafür 1956) sowie der ersten öffentlichen Fernsprechlinie Deutschlands, 1877 im Postamt Neustadt-Eberswalde eingerichtet. Und eine Schautafel über die Herkunft von Spritzkuchen gibt es ebenfalls.

Nach einem Schlenker durch den Park am Weidendamm, der jetzt durchaus für ein abendliches Picknick taugen würde, steuern wir stattdessen das Restaurant Kreta an. Erhöht blicken wir dort von der Terrasse auf den Kanal, seine stillen Wege – und schauen auch schnell mal im Kalender nach, wann sich terminlich der nächste Besuch in der Stadt einrichten ließe.

Eberswalde – die wichtigsten Adressen und Infos

Anfahrt

Mit dem Auto A114 nach Norden, Ausfahrt A10 Richtung Frankfurt/Prenzlau, Ausfahrt A11 Richtung Stettin (Szczecin)/Prenzlau, weiter auf A11, Ausfahrt 12-Finowfurt auf B167 in Richtung Finowfurt/Eberswalde/Liebenwalde.

Mit der Bahn Direkt ab Potsdamer Platz mit der RE 3. Alternativ: S 2 Richtung Bahnhof Bernau, umsteigen RB 24 Richtung Eberswalde Hauptbahnhof, Alternativ: S 26 nach Waidmannslust, umsteigen Brandenburger Tor in U 5 nach Kaulsdorf-Nord, Bahnhof Lichtenberg umsteigen in RB 24 Richtung Eberswalde Hauptbahnhof.

Tourist-Information, Heimatmuseum Steinstraße 3, 16225 Eberswalde, Telefon: 03334/ 64415, tourist-info@eberswalde.de, tourismus-eberswalde.de, geöffnet dienstags bis sonntags 10-13 Uhr und 14-17 Uhr, weiterer Standort: Tourismuszentrum Eberswalde am Familiengarten Eberswalde, Am Alten Walzwerk 1, 16227 Eberswalde, Telefon: 03334/384910, familiengarten-eberswalde.de, geöffnet dienstags und mittwochs 10-18 Uhr.

Essen & Trinken

Restaurant Kreta Robert-Koch-Straße 15, 16225 Eberswalde, Telefon: 03334/ 386834, info@kreta-eberswalde.de, kreta-eberswalde.de, montags bis freitags 12–14 Uhr und 17.30 Uhr-22 Uhr, sonnabends, sonntags und an Feiertagen 12-23 Uhr, Hauptspeisen ab 13,90 Euro.

Kaffeehaus Gustav Am Markt 2d, 16225 Eberswalde, Telefon: 03334/ 38966260 info@wiese-brot.de, wiese-brot-gustav.de, geöffnet montags bis sonntags 7-18 Uhr, Frühstücksauswahl zwischen 8 und 12 Euro, weitere Speisen, etwa Pancakes (6,50 Euro), Rühreier (6,50 Euro) und Hamburger (8 Euro).

Empfehlungen

Wochenmarkt Eberswalder Marktplatz, dienstags 8-17 Uhr, freitags 8-16 Uhr.

Fahrrad-Verleih Rad-Haus Kattanek, Eisenbahnstraße 87, 16225 Eberswalde, Telefon: 03334/ 212119, info@radhaus-kattanek.de, radhaus-kattanek.de, Angebot (Auswahl): Tourenrad: 10 Euro für halben Tag, ganzer Tag 12 Euro. Kindersitz/Packtaschen 2 Euro pro Tag. Tandem 20 Euro halber Tag, 30 Euro ganzer Tag. E-Bike Standard 15 Euro halber Tag, 30 Euro ganzer Tag. Für eine Ausleihe ist der Personalausweis erforderlich.

Bücher, Presse, Spiele Buchhandlung Mahler, Eisenbahnstr. 2a, 16225 Eberswalde, Telefon: 03334/ 239231, ebw-buch.de, ebw-buch@gmx.de, wochentags 10-18 Uhr, sonnabends bis 13 Uhr.