Potsdam. Hakenkreuze auf Geländemauern und ein offen gezeigter Hitlergruß; Besucher, die SS-Parolen in Gästebücher schmieren oder Kleidung mit verfassungsfeindlichen Symbolen tragen: Zwischenfälle mit rechtsextremem, rassistischem oder antisemitischem Hintergrund häufen sich deutschlandweit in den vergangenen Jahren in Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus.
Dass die Anzahl der Provokationen und justiziablen Delikte auf dem Gelände der Gedenkstätte Sachsenhausen zumindest derzeit nicht ansteige, liege vermutlich auch am hohen Anteil ausländischer Gäste, vermutet deren Leiter Axel Drecoll, zugleich Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten.
Eine Einschätzung, die Kulturministerin Manja Schüle (SPD) nicht beruhigt: „Das ist kein Brandenburger Phänomen, sondern ein bundesweites, dem entschieden begegnet werden muss.“ Den brandenburgischen Gedenkstätten hat sie bereits ihre Unterstützung zugesagt, will unter anderem einen Handlungsleitfaden entwickeln.
850.000 Besucher im Vorjahr in den Gedenkstätten
Und den Bund möchte sie mit in die Verantwortung nehmen: „Ich wünsche mir eine bundesweite Tagung der Gedenkstätten in Potsdam, an der auch Verfassungsschützer teilnehmen, um sich über die Lage und Strategien bei Provokationen der politischen Rechten und Geschichtsrevisionisten auszutauschen.“
Es ist nicht die einzige Herausforderung, der sich Drecoll und sein Team stellen müssen. Gerade international wachse das Interesse an den Angeboten der Gedenkstätten. Allein im Vorjahr informierten sich 850.000 Besucher in den Gedenkstätten und Museen der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, rund 40 Prozent davon aus dem Ausland. Das nahende Ende der Zeitzeugenschaft mache es immer schwieriger, Wissensformate zu entwickeln, mit denen die individuellen Geschichten der Opfer vermittelt werden könnten, sagt Drecoll.
„Die Gedenkfeiern im April zum 75. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager Sachsenhausen und Ravensbrück sind vielleicht die letzte Gelegenheit, Überlebenden der Konzentrationslager zu begegnen“, erklärt der Gedenkstättenleiter. 60 von ihnen, mittlerweile zwischen 95 und 100 Jahren, werden unter anderem aus Polen, Slowenien, Großbritannien, Belgien, Dänemark, Israel, Russland, Frankreich, Südafrika und den USA zu den Gedenkfeierlichkeiten erwartet, darunter 40 Frauen, die in Ravensbrück inhaftiert waren.
Konzert der Big Band aus „Babylon Berlin“
Der 19. April wird in Sachsenhausen der zentrale Gedenktag der mehrtägigen dezentralen Veranstaltungen sein. Geplant sind Gespräche mit Zeitzeugen, Lesungen, Ausstellungseröffnungen, Filmvorführungen, ein interreligiöser Gottesdienst und ein Konzert des „Moka Efti Orchestra“, der aus der TV-Serie „Babylon Berlin“ bekannten Big Band. Neben eigenen Songs werden die Musiker auch im Nationalsozialismus verfemte Stücke und in den Konzentrationslagern entstandene Lieder interpretieren.
Diversität ist das Motto, unter das die Gedenkstätte Ravensbrück ihr dreitägiges Gedenkprogramm (17. bis 19. April) unter Mitwirkung zahlreicher Initiativen aus dem Ausland stellt. „Berichtet wird beispielsweise über das Schicksal polnischer Frauen, die zu den Zeugen Jehovas zählten“, erläutert Insa Eschebach, Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück.
„Die österreichische Lagergemeinschaft wird an die Verfolgung von Mädchen und Frauen erinnern, die inhaftiert wurden, weil sie als asozial und arbeitsfaul bezeichnet wurden.“ Eine französische Gruppe sei den Biographien lesbischer Frauen in Ravensbrück nachgegangen. „Enthüllt werden außerdem Gedenkzeichen für KZ-Häftlinge, die Sex-Zwangsarbeit leisten mussten, und für Häftlinge des KZ-Außenlagers Grüneberg.“
Ausstellung mit Fotos ehemaliger Gefangener
Einer der Höhepunkt für Eschebach ist der Auftritt der 95 Jahre alten Esther Bejarano und ihrer Band „Microphone Mafia“ am 18. April. „Die deutsch-türkisch-italienische Rapgruppe wird antifaschistische Lieder, Lieder der Arbeiterbewegung und jüdische Volkslieder vortragen.“ Bejerano hat Auschwitz und Ravensbrück überlebt. In Ravensbrück musste die damals 20-Jährige zwei Jahre lang Zwangsarbeit in der Siemens-Fertigungsstelle leisten.
Besonders am Herzen liegt Eschebach die Ausstellung „Faces of Europe. Daughters remember their mothers, Prisoners of the Ravensbrück Concentration Camp“, die am 19. April eröffnet wird. Gezeigt werden großformatige Bilder in Schwarz-Weiß von ehemaligen Gefangenen Ende der 40er-Jahre.
„Wir sehen nicht die typischen Fotos von kahlrasierten Frauen in Häftlingskleidung oder den späteren netten älteren Damen. Stattdessen werden Frauen dargestellt, die versuchen, ihren Weg in die Normalität zurückzufinden.“
Ergreifend seien auch die in einer sechssprachigen Broschüre festgehaltenen Erinnerungen der Töchter an ihre zum Teil vergrämten, nie mehr lachenden oder ganz im Gegenteil lebensbejahenden Mütter. Das gesamte Programm unter: www.stiftung-bg.de