Potsdam. Max Baur ist erschüttert, als er im Oktober 1945 aus Süddeutschland in sein „Paradies“ zurückkehrt. Potsdams Zentrum liegt in Trümmern. Die stadtbildprägende Kuppel der Nikolaikirche ist zerstört, die barocke Innenstadt liegt in Schutt und Asche, verschwunden die Pracht von Schlössern und Parks. Keine Spur mehr von dem „Sehnsuchtsort“, den der gebürtige Bayer seit seinem Zuzug 1934 in zahlreichen Fotografien festgehalten hatte. Regelrecht Schmerzen empfinde er, wenn er den Alten Markt betrete, notiert Baur (1898–1988) damals. Dennoch greift er erneut zur Kamera, dokumentiert in einer Bildserie von 60 Aufnahmen die ruinöse Potsdamer Landschaft, gibt seiner Trauer über die Folgen des Krieges im Bild Ausdruck. Fotos, die nur einen Teil der Sonderausstellung „Potsdam, ein Paradies für meine Kamera“ ausmachen, mit der das Potsdam Museum vom 13. April bis 26. August den „Potsdam-Fotografen“ ehrt.
„Seine Fotografien von Stadtschloss bis Sanssouci sind zu Klassikern der historischen Stadtansichten geworden“, erklärt Judith Granzow. Es gebe kaum einen Potsdamer Haushalt, in dem nicht ein Bild Baurs an der Wand hänge. Gemeinsam mit Anja Tack hat sie die Ausstellung kuratiert. Drei Jahre arbeiteten die Frauen an Konzept und Umsetzung, knüpften Kontakte zu Baurs Familie, studierten Briefe, sichteten die Aufnahmen in den Beständen des Potsdam Museums, im Lichtbild-Archiv Max Baur und im Bundesarchiv. 300 SchwarzWeiß-Fotografien haben es schließlich in die Retrospektive geschafft.
Dass Baur auch drei Jahrzehnte nach seinem Tod noch ein Begriff in der Landeshauptstadt ist, wundert Anja Tack nicht. Denn: Baur, gelernter Buchhändler, der mit 30 Jahren sein erstes Foto schoss und sich im Selbststudium das Fotohandwerk beibrachte, hatte ein kaufmännisches Händchen. Von Anfang an habe er auf den Verkauf seiner Motive als Grußkarten gesetzt, dafür eigens einen Verlag gegründet, Fotobände publiziert.
Potsdam ist die „Fundgrube“, die ihn inspiriert. Die Stadt entdeckt er eher zufällig. In Wernigerode lebend, sieht Baur 1933 einen Film über Potsdam und Sanssouci. „Schlösser, Tempel, Plastiken, eingebettet in herrliche Parklandschaften entrollten sich vor meinen Augen. Das schien mir weit schöner als in Nymphenburg oder auf der Herreninsel im Chiemsee“, schreibt Baur in unveröffentlichten Erinnerungen. Er reist nach Potsdam, richtet hier seine Fotowerkstatt ein.
Passanten und Vögel retuschiert er aus den Bildern
Aus dem Landschaftsfotografen entwickelt sich der Mann für die Architektur. Sanssouci, Glienicker Brücke, Garnisonkirche und das Holländische Viertel gehören zu seinen Lieblingsmotiven. Menschen stören ihn eher in seinen Kompositionen: Passanten und Vögel retuschiert er kurzerhand aus dem Bild. Die politischen Konflikte und gewalttätigen Auseinandersetzungen in den 30er-Jahren, die sich beim Aufmarsch des deutschnationalen Stahlhelms und später der NSDAP, der KPD und des republiktreuen Reichsbanners in Potsdam abspielen, bleiben bei Baur unerwähnt. Stattdessen wird er zu einem städtebaulichen Chronisten.
Die Kuratorinnen sparen das Widersprüchliche in Baurs Biografie nicht aus. Thematisiert wird, dass auch der Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt, Albert Speer, Gefallen an Baurs Werk fand: Baurs 200 Aufnahmen der Reichskanzlei, dem Vorzeigeprojekt der Nationalsozialisten, werden ab 1939 in zahlreichen Publikationen veröffentlicht. Weder privat noch öffentlich habe sich Baur dazu später geäußert, sagt Anja Tack. Er habe lediglich betont, dass seine Arbeit für die Nazis „nicht Ausdruck einer Zustimmung zum Regime“ gewesen sei, sondern „Herausforderung und Anerkennung seiner Arbeit“.