Berliner Museen

Elf Freunde: Lokale Fußball-Geschichte im Tempelhof Museum

| Lesedauer: 5 Minuten
Katrin Starke
Auch ein Tischkicker ist Teil der Ausstellung.

Auch ein Tischkicker ist Teil der Ausstellung.

Foto: Katrin Starke

Eine neue Sonderausstellung im Tempelhof Museum in Alt-Mariendorf beleuchtet die lokale Fußballgeschichte seit den 1880er-Jahren.

Berlin. Sepp Herberger war ein Mann der flotten Sprüche. „Das Runde muss ins Eckige“ oder „Der Ball ist rund und das Spiel dauert 90 Minuten“ sind solche Sätze des 1977 verstorbe­nen Fußballnationaltrainers. Auch der Satz „Elf Freunde müsst ihr sein“ wird oft ihm zugeschrieben. Fälschlicherweise, wie jetzt in der neuen Ausstellung des Tempelhof Museums mit eben diesem Titel zu erfahren ist.

Mag sein, dass Herberger den Satz mal gesagt hat. Aber dessen Schöpfer ist er nicht. Denn der Satz findet sich schon in dem 1919 erschienenen Buch „Fußball: Technik, Theorie, Taktik“ von Richard Girulatis – einem gebürtigen Berliner, der 1892 als 14-Jähriger gemeinsam mit anderen Jugendlichen in Tempelhof den Berliner Thor- und Fußball-Club Union (Union 92) gründete. Auf Seite sieben des Buches heißt es: „Elf Freunde müßt ihr sein, um Siege zu erringen.“ Im Gegensatz zu Sepp Herberger ist der Spieler und Trainer Girulatis heute weitgehend unbekannt. So wie ebenfalls weitgehend in Vergessenheit geraten ist, dass der Berliner Fußball in Tempelhof seine Wurzeln hat.

Genauer gesagt: auf dem Tempelhofer Feld. Hier trafen sich Ende des 19. Jahrhunderts junge Männer, um hinters runde Leder zu treten. „Die Torstangen mussten die Mannschaften selbst aufstellen, das Spielfeld selbst markieren“, berichtet der stellvertretende Museumsleiter Philipp Holt, der die Ausstellung gemeinsam mit Lena Rudeck kuratiert hat. Holt deutet auf ein Schwarz-Weiß-Foto, das Fußballer in langen Hosen zeigt. „In kurzem Sportdress zu spielen, ziemte sich damals nicht.“ Nicht einmal eine Umkleide für die Sportler gab es. „Zum Umziehen gingen sie in die Gaststätten in der Umgebung.“

Hier fand auch das erste deutsche Länderspiel statt

In den 1880er- und 1890er-Jahren hoben Schüler und Studenten in Tempelhof eine ganze Reihe von Fußballvereinen aus der Taufe – darunter der FC Viktoria 1889, der BFC Preussen oder der BFC Germania 1888, der als ältester noch bestehender Fußballclub Deutschlands gilt. „In ihren frühen Jahren gewannen Tempelhofer Vereine eine Berliner Meisterschaft nach der anderen“, erzählt Philipp Holt. „Und sogar einige deutsche Meisterschaften“, fügt er hinzu.

Dafür steht das Abbild der Bronzefigur „Viktoria“ mit ihren weit nach oben gereckten Flügeln, 1903 vom Deutschen Fußball-Bund gestiftet und bis 1944 die Meisterschaftstrophäe. Gern hätte Philipp Holt das Original in Tempelhof ausgestellt, das sich im Fußballmuseum in Dortmund befindet. Aber auch auf dem Foto sind die Wappen der Deutschen Meister auf dem Sockel der Statue gut zu erkennen – darunter neben den Logos von Teams wie Schalke 04, dem Hamburger SV oder Hertha BSC auch das Wappen des Tempelhofer Clubs FC Viktoria (Deutscher Meister 1908 und 1911).

Sogar Länderspiele wurden einst in Tempelhof ausgetragen – zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch immer auf provisorischen Sportplätzen mit nur ein oder zwei Zuschauerreihen. „Auf dem Viktoria-Platz an der Eisenacher Straße fand am 20. April 1908 das erste Länderspiel in Deutschland statt“, informiert Holt. „Deutschland unterlag England mit 1:5. Für die deutsche Mannschaft spielte unter anderem Torhüter Paul Eichelmann von Germania, Schiedsrichter war der Viktoria-Spieler Paul Neumann.“

Eine Fülle historischer Fotos

Die ersten großen Stadien entstanden in den 1920er-Jahren, darunter das 40.000 Menschen fassende Preussen-Stadion am nördlichen Rand des Tempelhofer Feldes (das bereits im Mai 1936 dem Flughafen weichen musste). Dort wurde 1927 einer der ersten Fußballfilme in Deutschland gedreht. Ausschnitte aus „König der Mittelstürmer“ können sich Museumsbesucher anschauen. Zwar dreht sich der Film um eine fiktive Mannschaft namens FC Alemania. Doch Kenner der Materie werden sofort feststellen, dass die Männer Preussen-Trikots tragen.

Ein weiteres Exponat: eine Zeitungsannonce von 1925. „Arbeiterkinder gehören nicht in bürgerliche Vereine!“ heißt es da – ein Indiz für die Rivalitäten zwischen dem Arbeiterfußball und den bürgerlichen Vereinen während der Weimarer Republik. Dargestellt wird ebenfalls die Zerschlagung des Arbeitersports sowie des jüdischen Vereinswesens nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten – und auch die Haltung der Tempelhofer Vereine gegenüber der NS-Politik. Auf einer Tafel ist nachzulesen: „Besonders regimetreu zeigt sich der Verein Preussen, der bereits vor 1933 eine eigene SA-Sportabteilung betreibt.“ Auch der Wiederaufnahme des Spielbetriebs nach dem Krieg mit Erlaubnis der Alliierten ist ein Kapitel gewidmet, ebenso den Tempelhofer Rekordmeistern und dem Frauenfußball, obwohl dieser eine „ziemliche Leerstelle“ sei.

Neben einer Fülle historischer Fotos und den in sattem Fußballplatz-Grün gehaltenen Texttafeln wartet die Ausstellung mit einigen Original-Objekten auf – wie den bisher unveröffentlichten Zeichnungen von Spielszenen aus dem 1910er-Jahren. „Ein Zufallsfund im Archiv“, berichtet Kurator Holt. Vom Zeichner weiß man aufgrund der Signatur nur, dass er E. Göhlke hieß. „Vielleicht erfahren wir ja von Besuchern Näheres“, hofft Philipp Holt.

Museums-Info

  • „Elf Freunde müsst ihr sein …“ Ausstellung zur Tempelhofer Fußballgeschichte seit den 1880er-Jahren, bis zum 17. August, Eintritt frei.
  • Tempelhof Museum Alt-Mariendorf 43, Tel. 902 77 61 63, Di.–So. 13–18 Uhr, Do 10–18 Uhr, www.museen-tempelhof-schoeneberg.de
  • Führungen Die Kuratoren führen am 2. April, 4. Juni und 20. August durch die Ausstellung. Beginn ist jeweils um 15 Uhr.