Berlin. Es sind ein paar Leute zusammengekommen an diesem Abend kurz vor Weihnachten in den Räumen der Jugendclubs „Potse“ und „Drugstore“. Mehr als 20 junge Menschen haben sich in diesem Moment in ihrem zweiten Zuhause in der Potsdamer Straße im Schöneberger Norden eingefunden. Immer wieder kommt jemand dazu, dann und wann verlässt ein anderer die Räume. Jede helfende Hand zählt jetzt, auch wenn es nur für ein bis zwei Stunden ist. Ein Kommen und Gehen in der Nummer 180, so geht das den ganzen Tag, die ganze Woche. Und doch läuft alles sehr gezielt und organisiert ab.
Es ist große Umzugswoche in den linksalternativen Jugendzentren: Jede und jeder, der oder die vorbeikommt, sucht sich selbstständig eine Aufgabe: Zwei junge Mädchen schrauben mit dem Akkuschrauber Bretter auseinander, ein Jugendlicher stapelt Kartons – in jeder Ecke gibt es etwas zu tun. Seit den 1970er-Jahren hat sich was angesammelt auf der 800 Quadratmeter großen Fläche. Aus den Lautsprechern klingt leise ein Lied der Band „Ton, Steine, Scherben“, abgewetzte Sofas und Sessel liegen auf einem Haufen. Daneben bereiten zwei Jugendliche einen großen Topf mit Suppe für alle vor. Wer gerade eine Pause braucht, setzt sich kurz auf den Boden und isst einen Teller. Nervennahrung.
„Potse“ und „Drugstore“ müssen raus. Nach 46 Jahren. Die einzigen selbstverwalteten Jugendclubs der Stadt, nicht nur in der Punkszene eine bundesweit bekannte Institution. Was für die Jugendclubs selbst eine mittlere Katastrophe ist, ist für Berlin ein weiteres Sinnbild der Gentrifizierung, die so viele Kieze der Stadt betrifft. Sie hätte verhindert werden können, wenn die Bezirkspolitiker schon in den 1980er-Jahren weitsichtiger gewesen wären.
Selbstorganisation und Basisdemokratie als Grundsätze
Rückblick: 1972 begründen Jugendliche in den leer stehenden Räumen des Bezirks den Club „Drugstore“ – als Ort für alternative, pädagogische Konzepte. Ein paar Jahre kommt die „Potse“ dazu. Die Jugendbehörde unterstützt beide Clubs. Junge Bands können sich hier ausprobieren, Konzerte geben. Siebdruckwerkstätten, Filmvorführungen, Lesungen und Spieleabende ziehen junge Menschen an. Das Besondere: Beide Jugendclubs sind selbstverwaltet. Alle Mitglieder der Kollektive entscheiden während eines wöchentlichen Plenums gemeinsam über ihre Projekte. Jede Stimme zählt, egal wie alt jemand ist oder wie lange er schon dabei ist. Selbstorganisation und Basisdemokratie als Grundsätze.
Zwei Jugendzentren ganz ohne Erzieher und Sozialarbeiter – ein Konzept, das funktioniert. Doch ihre Räume sind nicht sicher. Schon 1987 verkauft der Bezirk das Haus, zunächst an die BVG. Später geht es an Spekulanten. Seither zahlt der Bezirk die Miete für seine ehemals eigenen Räume. Gerade in den vergangenen drei Jahren wurde die so hoch gesetzt, dass sie kaum noch zu tragen war. Zuletzt auf mehr als 350.000 Euro im Jahr. Immer wieder erzielte der Bezirk eine Verlängerung des Mietvertrags. Als Zeitaufschub, um neue Räume zu finden. Erst Mitte Dezember konnte nun ein neuer Mietvertrag für Räume in der Potsdamer Straße 134/136 unterschrieben werden. Jetzt wird dort saniert, in ein paar Monaten können „Potse“ und „Drugstore“ einziehen. Ideal ist die Lösung nicht.
"Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll"
Während des großen Abbaus unterbrechen Paul und Soso ihre Arbeit, um Pressevertretern die Lage zu erklären. „Einerseits sind wir natürlich froh, dass der Mietvertrag mit der Gewobag unterschrieben ist“, sagt Paul. „Andererseits wissen wir trotzdem nicht, wie es weitergehen soll.“ Denn die neuen Räume sind mit 350 Quadratmetern deutlich kleiner. Was für sie noch viel dramatischer ist: Dort ist wegen des Lärmschutzes nur eine leise Nutzung möglich, Konzerte und Bandproben fallen also weg. „Wir haben pro Woche zwei bis drei Konzerte“, sagt Soso. „Darüber lernen uns die meisten Jugendlichen ja auch kennen.“
Damit die Konzerte auch in Zukunft gespielt werden können, sucht der Bezirk weiter nach passenden Räumen. Aktuell ist er nach Angaben von Jugendstadtrat Oliver Schworck (SPD) in Verhandlungen mit der Tempelhof Projekt GmbH, wo die Jugendzentren an einzelnen Terminen Konzerte organisieren könnten. Auch keine optimale Lösung, da es die Aktivitäten deutlich einschränken würde und die Technik jedes Mal neu transportieren werden müssten. Aber es wäre zumindest etwas für den Übergang. „Wir geben nicht auf, bis wir eine annehmbare Lösung gefunden haben“, sagt Schworck.
Er hat sich in den vergangenen Monaten und Jahren um die Jugendzentren bemüht. Doch freie Gewerbeimmobilien sind in Berlin auch für Bezirkspolitiker schwer zu bekommen. Wie Schworck nun sagt, hätte er sich schon früher mehr Engagement auf Landesebene für den Erhalt der Jugendzentren gewünscht. Unterstützung von Senatsseite habe er verstärkt erst seit diesem September erhalten. „Da hat man schon gespürt, dass auf Landesebene noch mehr möglich ist.“ So stand längere Zeit die Nutzung einer Immobilie der Berliner Immobilienmanagement (BIM) unter Verantwortung der Senatsverwaltung im Raum. In der ehemaligen Filiale der Deutschen Bank in der Potsdamer Straße 140.
Finanzamt bekam den Zuschlag
Doch daraus wird nichts. Der Senat benötigt die Räume für seine Finanzbeamte. Es gab Protest aus dem Schöneberger Norden. Unter anderem schrieb der Quartiersrat einen offenen Brief. Eine Aktion, die BIM-Sprecherin Johanna Steinke nicht nachvollziehen kann. „Wir haben uns bemüht, aber bei Konzertnutzung gäbe es große Probleme mit dem Brandschutz “, sagt sie. Dann habe das Finanzamt Bedarf angemeldet und den Zuschlag bekommen. „Die Verwaltung ist immer noch unser Kerngeschäft“, sagt Steinke. „Berlin wächst und deshalb braucht auch unsere Verwaltung immer mehr Personal und Flächen.“ Nichtsdestotrotz würde sich die BIM weiter um neue Flächen für „Potse“ und „Drugstore“ bemühen.
Zu den Verfassern des offenen Briefes vom Quartiersrat gehört Barbara Krauss. „Ich bin sehr, sehr traurig darüber, dass es nun wirklich zum Auszug kommen musste“, sagt sie. Den Fall „Potse“ und „Drugstore“ sieht sie als weitere Entwicklung dafür, dass Berlin immer mehr an Charme verliert und nur der Kommerz eine Chance hat. „Ich frage mich auch, warum die Gewobag kein Gebäude für eine lärmintensive Nutzung zur Verfügung stellt“, sagt sie. Solche Räume hätte es in jüngster Vergangenheit ja immerhin für das Streetart-Museum Urban Nation der Stiftung Berliner Leben gegeben. „Die Stiftung rühmt sich mit diesem Streetart-Museum, aber diejenigen, die wirklich Streetart machen, müssen jetzt raus“, sagt Barbara Krauss. „Das ist doch absurd.“
Das sehen die Jugendlichen von „Potse“ und „Drugstore“ ähnlich. Sie haben lange gekämpft in der letzten Zeit. Viel Zeit zum Traurigsein bleibt ihnen im Moment nicht. „Wir sind gerade alle sehr produktiv“, sagt Soso. Der Abbau und die Pläne für das Fortbestehen fordern jede Kraft. „Zwischendrin gibt es aber immer mal wieder Momente der Trauer, wenn wir beim Abbau alte Fotos oder Erinnerungen finden.“ Das letzte große Treffen im alten Zuhause ist für den 28. Dezember geplant. „Dann machen wir ein Foto mit allen vor den Wandgemälden“, sagt Paul. „Bevor wir sie zerstören.“
Die Jugendlichen müssen die Räume also trotz Rauswurf noch selbst streichen? „Nein“, sagt Paul. „Wir müssen nicht, aber wir wollen unbedingt.“ Damit sich später niemand an den Graffiti bereichere und sie als „typisch Berlin“, „cool“ und „hip“ verkauft.