Das Gewerbegebiet im Südwesten ist im tiefgreifenden Wandel – und will sich vor allem Start-ups öffnen.

Sex on the Beach, Ladykiller, Boston oder Mule – 1500 fertig gemixte Cocktails in kleinen Flaschen können demnächst pro Stunde aus einer neuen Abfüllanlage vom Band laufen. Aufgebaut wird sie gerade für das Start-up „Kukki Cocktail“ im Goerzwerk in Lichterfelde. Die jungen Unternehmer haben in einem Büro in Oberschöneweide angefangen. Jetzt erweitern sie bereits zum vierten Mal ihre Produktionsstätte an der Goerzallee. Das Start-up ist nur ein Beispiel für den Wandel im Gewerbegebiet im Südwesten, das auf dem Weg ist, sich neu zu erfinden.

Das 85 Hektar große Gelände zwischen Beeskowdamm und Lichterfelder Weg ist ein alter Industriestandort mit einigen Hundert Unternehmen und mehreren Gebäuden. Carl Paul Goerz ließ im Werk an der Goerzallee 299 ab 1917 optische Linsen und Lampen produzieren, später hatte dort die Zeiss Ikon AG ihr Stammhaus für Schließanlagen, bis es Assa Abloy, eine Firma für Sicherheitssysteme aus Schweden, übernahm. Mittlerweile haben Unternehmen wie Rexam und Krone ihre Werke in Lichterfelde geschlossen, die Schweden einen Teil des Unternehmens ausgelagert. So stand das Goerzwerk fast leer, als es Silvio Schobinger mit seinem Bruder 2015 übernommen hat.

„Wir haben innerhalb von vierzehn Tagen Räume gesucht“

Das sieht heute schon wieder ganz anders aus – die Wirtschaft 4.0 zieht ein. Bei einem Rundgang durch die langen Gänge – wo schon die Zwischendecken und der dunkelbraune Nadelfilzboden herausgerissen sind – kann der 54-jährige Eigentümer viele Türen öffnen. „Wir machen eine Schlossführung“, begrüßt Schobinger seine Mieter, darunter Architekten, Messebauer, Software-Entwickler. Ein großer weißer Raum im Loft-Style wird gerade für ein Modeunternehmen ausgebaut, das vom Ullsteinhaus an die Goerzallee zieht.

„Wir haben innerhalb von vierzehn Tagen Räume gesucht“, erzählt Kukki-Cocktail-Geschäftsführer Saif Hamed von den Anfängen. Das klang utopisch. Aber nicht für Silvio Schobinger. Mit ein bisschen Improvisation klappte es. In Adlershof hätte das Start-up einen Vertrag über fünf Jahre unterschreiben müssen. Zu riskant. Im Goerzwerk haben sie einen unbefristeten Vertrag mit einer dreimonatigen Kündigungsfrist.

Er wolle vor allem flexibel sein, sagt der Eigentümer. Alles, was unter produktionsnahe Dienstleistungen fällt, also auch Firmen aus dem IT-Bereich, sind potenzielle Mieter. „Es füllt sich gut“, sagt Schobinger über die Auslastung der 30.000 Quadratmeter Fläche im Goerzwerk. Die Stadt wachse und viele seien nicht mehr bereit, die Preise an anderen Standorten, wie in Mitte, zu bezahlen. Im Goerzwerk in Lichterfelde kostet der Quadratmeter derzeit acht Euro.

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Eine Zukunftsregion Südwest soll entstehen

„Wir haben eine starke Start-up-Szene in Berlin und sie kommt jetzt im Südwesten an“, sagt Michael Pawlik, Leiter der Wirtschaftsförderung im Bezirk Steglitz-Zehlendorf. Er ist dafür verantwortlich, das Gewerbegebiet in die Zukunft zu führen. In fünf bis zehn Jahren werde es an der Goerzallee richtig „brummen“, ist sich Pawlik sicher. Gerade habe er eine Anfrage von einem Interessenten aus der Medienwirtschaft, dem es an der Oberbaumbrücke zu teuer geworden ist.

Aber der Bezirk Steglitz-Zehlendorf hat noch ganz andere Pläne. Eine Zukunftsregion Südwest soll entstehen – ein Wissenschaftsstandort, in dem die Freie Universität, das neue Technologie- und Gründungszentrum an der Fabeckstraße, das Helmholtz-Zentrum und der Steglitzer Charité-Campus zusammenarbeiten sollen. Das ehemalige Krone-Werk gehört der landeseigenen Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) und soll offenbar nun doch nicht verkauft werden. „In diesem Gebäude wollen wir Flächen bereithalten für Ausgründungen aus der Fabeckstraße“, sagt Pawlik.

Im Gründungszentrum dürfen die Start-ups nur in der Entwicklungsphase bleiben. Sobald ein Produkt die Marktreife erlangt hat, müssen sie sich neue Räume suchen, um anderen Start-ups Platz zu machen. Im Krone-Haus könnten sie dann mit ihrem jungen Unternehmen starten. Künstliche Hüftgelenke und Hörgeräte werden heute schon an der Goerzallee produziert. In diese medizintechnische Richtung könne es weitergehen, hin zu einem „Life-Science-Standort“, so Pawlik.

Komplett ausgeschlossen ist die Umwandung des Gewerbegebiets in ein Wohngebiet

Um diese Pläne umzusetzen, hat der Bezirk das Regionalmanagement Südwest gegründet. Projektmanager Klaus-Martin Grünke sieht noch Nutzungsreserven im Gewerbegebiet an der Goerzallee. „Steglitz-Zehlendorf ist kein klassischer Wirtschaftsstandort“, sagt Grünke. Deshalb sei es wichtig, wirtschaftsnahe Forschungsunternehmen und industrienahe Dienstleistungen anzusiedeln. Komplett ausgeschlossen sei die Umwandung des Gewerbegebiets in ein Wohngebiet.

Die Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft will jetzt eine Potenzialanalyse für das Gelände an der Goerzallee unterstützen. Die Standortentwicklung war auch das Thema einer jüngsten Debatte der IHK mit Vertretern aus dem Bezirk, Senat und Eigentümern des Gewerbegebiets. Diskutiert wurde in der neu geschaffenen Event-Etage im Goerz­werk. Die ist noch im Entstehen, aber schon heute treffen sich dort regelmäßig die Unternehmer aus dem Haus, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Dieses Netzwerk will Silvio Schobinger noch ausbauen. Deshalb hat er einen Verein gegründet, den Goerzallee e. V. Es solle ein „Wir“ entwickelt werden, vielleicht auch ein „Wir in der Goerz­allee“, sagt er zu seinem Ziel. Einmal im Monat gibt es ein Netzwerktreffen und dazu Cocktails – natürlich von dem hauseigenen Start-up Kukki.