Reinickendorf
Ausstellung

Wenn ein Baby als erstes Wort „Krieg“ lernen soll

| Lesedauer: 5 Minuten
Dirk Krampitz
Das ukrainische Künstler-Kuratorinnen-Duo Uliana Bychenkova (links) und Anna Scherbyna (rechts) im alten Klassenraum des Museum Reinickendorf, wo sie eine ukrainische Pflanze aufgestellt haben.

Das ukrainische Künstler-Kuratorinnen-Duo Uliana Bychenkova (links) und Anna Scherbyna (rechts) im alten Klassenraum des Museum Reinickendorf, wo sie eine ukrainische Pflanze aufgestellt haben.

Foto: Dirk Krampitz

Im Museum Reinickendorf stellen ukrainische Künstlerinnen aus. Der neue Kultur-Bezirksstadtrat muss bei seiner ersten Amtshandlung grinsen.

Berlin.  Die ukrainischen Künstler-Kuratorinnen Uliana Bychenkova und Anna Scherbyna stehen im alten Klassenraum des Museum Reinickendorf. Rechts von ihnen unter Glas eine Bärenklau-Pflanze, die die Künstlerin Henrietta Jonkblatt aus der westlichen Ukraine nach Reinickendorf gebracht wurde. An der Tafel wird in englischer Kalligraphie vor der Pflanze gewarnt, die invasiv ist und Krebs erzeugen kann. Titel des künstlerischen Forschungsprojekts „Reisen mit einer Pflanze, für die man kein Mitleid empfindet“.

„How do we turn Salt into Sugar?“ heißt die Ausstellung im Museum Reinickendorf, die bis 13. August läuft. Der Titel rätselt darüber, wie man aus etwas Negativem etwas Positives macht. Gemeint ist damit natürlich auch der Ukraine-Krieg, bestätigen die beiden Künstlerinnen. „Es geht darum, einen Umgang damit zu finden für einen selbst“, sagt Anna Scherbyna. „Wir erkennen uns selbst als ‘privilegierte Flüchtlinge’ an, aber wir wollen uns nicht damit begnügen, in das System einzugliedern, sondern wir wollen unsere trotzigen Träume von einer neuen Welt mit anderen Teilen“, schreiben die beiden in einer Vormerkung zu ihrer Ausstellung.

Erinnerung an Kunst-Faktotum Dieter Rückhaberle

Seit 2019 schreibt der Künstlerhof Frohnau in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Kunst und Geschichte des Bezirksamts Reinickendorf den Dieter-Rückhaberle-Förderpreis aus, der an das Leben und Wirken des Künstlers, Kurators und Kulturpolitikers erinnert. Rückhaberle war Gründungsmitglied und Direktor der Staatlichen Kunsthalle Berlin und Mitbegründer der IG Medien. Der Preis richtet sich an Künstler, die sich in ihrem Werk politischen, ökologischen oder sozialen Themen befassen. Wirklich eng eingegrenzt ist der Bereich damit nicht, wenn man ehrlich ist. Aber Fachjury hat Anna Scherbyna und Uliana Bychenkova ausgewählt, die einen Aufenthalt in Frohnau und diese Ausstellung als Preis bekamen.

Zur Eröffnung am Donnerstagabend steht Reinickendorfs Kultur-Bezirksstadtrat Harald Muschner (CDU) am Eingang und begrüßt alle Leute per Handschlag. Der erfahrene Politiker ist bei der Eröffnung am Mittwochabend gerade erst seit einer Woche neben Kultur, Bildung und Facility Management auch für die Kultur zuständig. „Ich bin der Neue“, sagt Muschner, grinst und man glaubt, ein Schulterzucken erkennen zu können. „Für mich kam das auch überraschend.“ Dass er sich mit den vielen nicht-deutschen Namen schwer tut, hat er auch lieber vorher schon einmal souverän angekündigt.

Die Pflanzen-Installation im eigentlichen Museum ist nur ein kleines Vorspiel. ihre Hauptausstellung sieht man, wenn man das Museum durch den Hintereingang verlässt, vorbei geht an den authentischen Nachbildungen eines reetgedeckten germanischen Gehöftes aus dem 2. bis 3. Jahrhundert im Museumsgarten und schließlich in den ersten Stock über der Kita.

Sie wollten die Gemeinschaft stärken

Dort befindet sich die Kommunale Galerie Etage, wo die beiden Künstlerinnen zusammen mit Berufskollegen ihre Werke zeigen. „Es geht uns auch um die Gemeinschaft, das Gefühl des Zusammenhalts“, sagt Bychenkova. Darum zeigen sie nicht nur ihre Werke, sondern insgesamt elf Werke von acht Künstlerinnen und Künstlern. Alle Künstler sind ihnen persönlich bekannt. die meisten davon aus der Ukraine, aber auch welche, die sie hier in Berlin getroffen haben. Scherbyna wohnt nach der Flucht aus der Ukraine mittlerweile in Neukölln, Bychenkova ist Meister-Schülerin in Weimar.

In der Goethe-Stadt gibt es eher wenige ukrainische Flüchtlinge, erzählt, dass sie das Sprechen ihrer Muttersprache mittlerweile schmerzlich vermisst. „Es ist ein körperlicher Schmerz“, erklärt sie. Inspiriert davon hat sie ihr Werk geschaffen: eine feine Porzellanschale, durch die Licht scheint, mit ukrainischen Buchstaben darin und drum herum. Die Ausstellung hat nicht nur Kunstfreunde gelockt, sondern auch ein Kleeblatt von älteren Ukrainerinnen, die engagiert durch die Berliner Kunstszene streifen, wie sie erzählen. Wie sie es finden? Sie schauen etwas verkniffen und nippen lieber am Vernissage-Wein. „Wir haben ja Kunst studiert ...“

Der Februar war in der Ukraine schon immer böse

Im Garten hört man in einer Klanginstallation wie Olexandr Ieltson. Der Künstler durfte als Mann wegen der Wehrpflicht nicht aus der Ukraine ausreisen. In der Tonkonserve liest er die Monate von Februar (Kriegsbeginn) bis Januar immer wieder. „In der ukrainischen Sprache spiegelt der Name eines jeden Monats charakteristisch die Eigenschaften der ihm innewohnenden Naturkräfte wider“, erklärt Anna Scherbyna. Der Februar gilt übrigens schon immer als der böse, wilde Monat, wegen der Kälte und des Schnees. Und seit 2022 auch wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine. Als Reaktion auf diesen schockierenden Angriff entstand auch das Werk von Valentina Petrova. Sie versucht in einem Video einem ukranischen Baby das Wort „Krieg“ beizubringen.

Und als sie vor dem Krieg geflohen ist, hat auch Kuratorin Anna Scherbyna nicht viel mitnehmen können. „Und auf einmal merkte ich: Ich vermisse meine Kleidung. Gleichzeitig sagte ich mir: Spinnst Du? Es herrscht Krieg, Menschen sterben und Du denkst wirklich an Hosen und Blusen?“ in Berlin hat sie herrenlose Kleidung von der Straße aufgesammelt mit karamellisiert und aufgehängt. So macht man vielleicht nicht aus Salz Zucker, wie im Ausstellungstitel erhofft, aber immerhin aus alten Kleidern Kunst.

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