Berlin. Die zukünftigen Bewohner haben alten Baumbestand überall um sich herum auf einem Gelände, das park- und waldartig anmutet. Und dennoch leben sie in der Großstadt, haben zwei S-Bahnhöfe und einen U-Bahnhof dicht vor der Tür. Allerdings befindet sich nur wenige Meter entfernt auf dem Gelände das Krankenhaus des Maßregelvollzugs mit seiner hohen durchsichtigen Wand, die den videoüberwachten Komplex umfasst.
Denn gleich neben dem Krankenhaus befinden sich nämlich, hinter einem zum Teil umgestürzten Bauzaun, die Sternhäuser. Die ehemaligen Bettenhäuser der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik heißen so wegen der Form ihres Grundrisses. Ungefähr dort, wo sie aktuell noch stehen, soll das Zentrum des neuen Wohnquartiers entstehen. 600 Wohnungen mit ein bis fünf Zimmern, die Hälfte davon Sozialwohnungen, für rund 1200 Bewohner will die Gesobau dort errichten.
Vier Planungsbüros waren an einem Werkstattverfahren beteiligt, dass im Oktober 2022 begann. Nun hat sich die Jury – bestehend aus Mitarbeitern der Gesobau, der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, dem Bezirksamt Reinickendorf sowie unabhängigen Gutachtern – entschieden sich für den Entwurf der Arbeitsgemeinschaft der Büros „plus4930“ und „Lohrengel Landschaft“. Die Ergebnisse des Werkstattverfahrens hängen bis Ende März auf dem Gelände vor den Sternhäusern an einem Bauzaun und sind auch im Internet unter https://mein.berlin.de zu sehen.
Die grüne Lunge soll erhalten bleiben
Die Landschaftsplaner und Architekten des Siegerentwurfs schwärmen von der lange gewachsenen „grünen Lunge“, die die zukünftigen Bewohner umgibt. Diese Qualität gelte es zu erhalten. Doch klar ist auch: Wo gebaut wird, da fallen Bäume. Insgesamt müssten 126 Bäume gefällt werden laut den Planungen, das Konzept sieht aber im Gegenzug vor, 160 Bäume an passenden Stellen neu zu pflanzen auf dem Gelände.
Die frei stehenden Häuser sollen sich laut Planung locker um die Höfe gruppieren, an den Außenkanten der Häuser ist „ein Boulevard mit urbanem Charakter“ geplant. Doch allzu städtisch soll das bislang verwilderte Grundstück auch nach der Bebauung nicht werden: Der Entwurf setzt auf eine autofreie Erschließung. Der motorisierte Individualverkehr wird in einem sogenannten „Mobility Hub“ gesammelt. In diesem Parkhaus mit Aktivitätsparcours auf dem Dach finden knapp 200 Autos Platz.
Autos nur im Parkhaus, dafür 1200 Fahrradparkplätze
Verteilt übers ganze Gelände gibt es hingegen 1200 Fahrradstellplätze. Die Erschließung erfolgt von der Oranienburger Straße, für die Nachbarschaft im nördlichen Bereich ist eine gesonderte Zufahrt von der Hermann Pieper Straße vorgeschlagen. Eine Querung des Grundstücks soll nur für Radfahrer oder Fußgänger möglich sein.
Dafür gibt es Gemeinschaftsgärten, Mietergärten, Dachgärten, Wohnhöfe und insgesamt viele Freiflächen. Solarmodule sollen 75 Prozent des Strombedarfs decken. Auf den Dachflächen der Eckgebäude sind Gewächshäuser als Dachgärten geplant. Ebenfalls auf den Dächern soll das Regenwasser gesammelt und gehalten werden. Als Reminiszenz an die Geschichte und auch aus ökologischen Gründen sollen die gelben Klinker der Sternhäuser als Baumaterial recycelt werden.
Die Jury lobte am Entwurf unter anderem die klare Ausbildung eines zentralen und urbanen Quartierbereichs. Zudem fanden sie gefallen daran, dass die Gebäude von innen nach außen in der Höhe abgestuft werden. Nacharbeit wünschten sie sich aber bei den städtebaulichen Dominanten und die Bebauung im nördlichen Bereich wirke gegenüber den vorhandenen denkmalgeschützten Bauten „zu beliebig“.
Der denkmalgeschützte Maßregelvollzug ist der letzte Überrest der ursprünglichen Nutzung des Areals. Ab 1880 entstand dort die erste Nervenheilanstalt Berlins. 2001 ging das Gelände mit Ausnahme des Krankenhauses des Maßregelvollzugs an den landeseigenen Krankenhauskonzern Vivantes GmbH über, der die Flächen als Zentrale nutzte.
Seit 2006 kein regulärer Klinikbetrieb mehr
2006 wurde der Klinikbetrieb auf dem Gelände, mit Ausnahme des Maßregelvollzugs, eingestellt, seit 2015 werden einige ehemalige Klinikgebäude als Flüchtlingsunterkünfte genutzt. Aktuell betreibt das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten auf dem Gelände ein Ankunftszentrum sowie sogenannte Tempohomes. 2018 wuchsen die ersten Ideen, das Gelände für den Wohnungsbau zu nutzen, seit 2020 ist die landeseigene Gesobau mit ersten Überlegungen an Bord, aber erst Ende 2022 kaufte die Wohnungsbaugesellschaft das Gelände.
Wann die Bauarbeiten losgehen, steht noch nicht fest. Eigentlich sollten die Sternhäuser bereits Mitte dieses Jahres abgerissen werden, doch nun wird es wohl Spätsommer/Herbst bis zum Beginn der ersten (Abriss-)Arbeiten auf dem Gelände, nach Auskunft der Gesobau und so liegt der Baubeginn wohl frühestens im Frühjahr 2024.